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Wer nicht weiß, wie er sich in herausfordernden Situationen stabilisieren kann, bricht ein.

Foto: APA/epa/Mughal

"Worauf es ankommt, ist, mit der beachtlichen Veränderungsdynamik im Kopf klarzukommen!" Hans Eberspächer, der anerkannte Fachmann für mentale Kompetenz, schätzt die zielorientierte Ausdrucksweise. Und diese Dynamik ist nicht allein beachtlich, sie sorgt vor allem auch für beachtliche Unsicherheit.

Darauf macht der angesehene Münchner Zeitforscher Professor Karlheinz A. Geißler aufmerksam: "Wir wissen: Morgen geht gestern nicht weiter. Aber wir wissen nicht: Wie soll's weitergehen? Die permanente Unsicherheit wird zum Normalzustand." Die Konsequenz ist naheliegend. Sie heißt nahezu ununterbrochene Neuorientierung, verlangt, sich mit Umständen auseinanderzusetzen, die mit denen von gestern oft nur noch wenig bis gar nichts mehr gemein haben. Das Leben in und mit dauerhaft instabilen, turbulenten Umwelten wird Teil der ganz normalen Alltagsbewältigung.

Wie wird unter diesen Umständen Handlungskompetenz gesichert? "Reine Kopfarbeit", sagt Eberspächer, ehemaliger Psychologieprofessor an der Universität Heidelberg und gefragter Helfer in Sachen Selbstmanagement in Belastungssituationen und mentales Training. Und greift sogleich das Stichwort "Handlungskompetenz" auf. Genauer, verweist auf einen verbreiteten Irrtum, "die viel zu eindimensionale Interpretation von Handlungskompetenz".

Welche Dimensionen gehören alle dazu? Gemeinhin werde Handlungskompetenz verstanden als die Fähigkeit, sich ziel-, situations- und anforderungsangemessen zu steuern und zu organisieren. Doch "warum nur wird in Situationen, in denen es darauf ankommt, so oft und so gnadenlos Lehrgeld gefordert", fragt Eberspächer. Weshalb brächen die sachkompetentesten Leute in solchen Situationen wider alle Erwartungen sang- und klanglos ein, enttäuschten sich und andere?

Eine Reduktion, die schadet

"Kein wirklich geheimnisvoller Vorgang", sagt Eberspächer. Weil Handlungskompetenz fälschlicherweise meist auf bloße Sachkompetenz reduziert werde: Beherrsche deine Sache, und du hast Erfolg - das sei der große Irrtum, der Ursprung vieler unnötiger Probleme, sachlicher wie psychischer. Natürlich sei Sachkompetenz eine unverzichtbare Facette von Handlungskompetenz, aber eben auch nur eine. Sachkompetenz sei noch bei weitem nicht das, was tatsächliche, belastbare Handlungskompetenz begründe. "Wie eigentlich schon aus der Definition von Handlungskompetenz ersichtlich: Fähigkeit, sich ziel-, situations- und anforderungsangemessen zu steuern und zu organisieren", sagt Eberspächer.

Hinter diesem Irrtum, erläutert er, "steht die Überzeugung: Um eine Sache zu beherrschen, muss man sie nur häufig und fleißig wiederholen und einüben, und schon hält man den Schlüssel zum Handlungserfolg in Händen." Diese Überzeugung sei keineswegs falsch, nur sei sie eben auch nicht komplett richtig. Handlungskompetenz entfalte sich nicht nur in Sachfragen als Sachkompetenz, sondern auch noch in zwei weiteren grundsätzlichen Bereichen: in der sozialen Umwelt als Sozialkompetenz und im Umgang mit sich selbst als Selbstkompetenz. Und an dieser Kompetenz, mit sich selbst im Sinne der Definition von Handlungskompetenz kompetent umzugehen, daran mangele es häufig, da eben fehle die Übung. Das, sagt Eberspächer, "das ist das, was ich Kopfarbeit nenne", worauf schon die geläufigere Bezeichnung für Selbstkompetenz verweise: mentale Kompetenz.

"Aus reicher Erfahrung" besteht für Eberspächer kein Zweifel daran, dass aus Defiziten in der mentalen Kompetenz eine Vielfalt persönlicher Probleme resultiere. Nicht wenige fühlten sich dadurch in vielen Situationen der Situation hilflos ausgeliefert und empfänden sich aufgrund dieser verunsichernden Hilflosigkeit ziel- und chancenlos. "Wer unter Stress Erfolg haben will, und Stress ist heute ja beinahe schon ein Synonym für Berufsausübung, tut also gut daran, sich von den althergebrachten eindimensionalen Sachkompetenzrastern zu verabschieden", sagt Eberspächer.

Wissen - über sich selbst

Sicher nicht allein, aber zu einem gerüttelt Maß mit aus dieser Fehlvorstellung von Handlungskompetenz resultiere auch die Burnout-Problematik. "Wer nur etwas weiß, aber nichts über sich und darüber weiß, wie er sich in herausfordernden Situationen stabilisieren und steuern kann, der muss schließlich einbrechen." Für Eberspächer ist Burnout deshalb in erster Linie ein persönliches Problem.

"Womit ich keineswegs die Umstände, unter denen heute Leistung erbracht werden muss, aus der Mitverantwortung für die Burnout-Misere nehme, womit ich aber auch klar und deutlich an den Eigenanteil daran erinnern möchte." Zu einem Gutteil sei auch der Auslöser für das Ausbrennen im Kopf zu suchen und zu finden, in der mangelnden mentalen Kompetenz.

Wer einmal trotz hoher Sachkompetenz aufgrund fehlender mentaler Kompetenz Schiffbruch erlitten hätte, wisse über die Folgen Bescheid: Ärger über sich selbst, Mutlosigkeit bis zur Resignation, auf jeden Fall aber Ratlosigkeit, Angst vor der nächsten vergleichbaren Situation mit vorauseilender Verkrampfung.

Wer, der sich selbst gegenüber ehrlich ist, wollte daran zweifeln? Doch was tun? "Trainieren! Man muss trainieren, und man kann trainieren, den Kopf, mentale Prozesse genauso wie Muskeln", sagt Eberspächer. Und "weil mentale Prozesse solch eine zentrale Vermittlungsposition und -funktion für das haben, was wir tun", biete sich hier ein wirksamer Ansatz an, das mentale Fertigkeitstraining.

Und dann meldet sich in Eberspächer der Professor für Sportpsychologie zu Wort. "Dieses Trainingssystem wurde im Rahmen der Erforschung und Entwicklung von Stressbewältigungs- und Selbstkontrolltechniken und -methoden im Hochleistungssport von uns an der Uni Heidelberg entwickelt und erprobt." Und umfasst sieben Bausteine oder Module, "wie wir es nennen": das wichtigste Gespräch, Vorstellungen, Stärken und Schwächen, Hier und Jetzt, Entspannen, Handeln analysieren und Ziele.

Gespräche mit sich selbst

Das wichtigste Gespräch? Gemeint sind die Gespräche mit sich selbst, Selbstgespräche. Die seien so etwas wie der Schlüssel zur mentalen Kompetenz, und die Vorstellungen könne man gut und gerne als unverzichtbaren Zweitschlüssel bezeichnen.

Was gibt gerade den Selbstgesprächen diese Schlüsselposition bei der Erarbeitung von mentaler Kompetenz? Erstens, weil sie alle anderen Module von der Regulation der Vorstellung bis zur Zielsetzung durchziehen. Zweitens, weil sie mit steigender Beanspruchung an Intensität und Dynamik zunehmen. Und drittens, weil sie untrennbar mit der Bewertung und Umsetzung dessen, was wir tun, verknüpft sind. Kurz, weil Selbstgespräche und Handeln nicht voneinander zu trennen sind. Deshalb, erklärt Eberspächer, "können wir uns mit unseren Selbstgesprächen, die wir manchmal laut führen, die meist aber als Gedankenfolge durch den Kopf gingen, auf-, genauso gut aber auch abbauen und komplett lahmlegen. Naheliegend, sagt Eberspächer, "wer ständig alle möglichen Angst- und Befürchtungsgedanken in seinem Kopf kreisen lässt oder vor sich hin murmelt, muss weiche Knie bekommen".

Erfolgreiche in Sport und Management wüssten das oder hätten das gelernt und nutzten ihre Selbstgespräche als wirksames strategisches Mittel für ihr Selbstmanagement und zum ökonomischen Umgang mit der Ressource Ich. Sprich, sie fokussieren sich mit zielorientiert aufbauenden Selbstgesprächen "und hauen sich nicht mit ständiger Lamentiererei im Kopf selber die Beine weg".

Für die besseren Karten

Und die Vorstellungen? Das seien innere Bilder, die als Prüf- und Führungsgrößen für unser Tun und Lassen wirkten. "Unzweckmäßige Vorstellungen gelten als zusätzliche Beanspruchungs- und Stressfallen, zweckmäßige Vorstellungen entlasten und unterstützen das Handeln", erklärt Eberspächer. Und setzt hinzu: "Naheliegend, verständlich, oder? Geht jemand mit der Vorstellung in eine Verhandlung, 'die Gegenseite hat die besseren Karten, das ist nicht zu knacken, das geht schief', ist das doch wohl keine hilfreiche, unterstützende Vorstellung, oder?"

Es sei also nicht die Konstellation als solche, also die möglichen besseren Karten der Gegenseite, die das Zusammentreffen von vornherein nach Gewinnern und Verlierern sortiere, sondern "die vorstellungsmäßige Herangehensweise an die Sache", die sei das Ausschlaggebende.

Eberspächer ist sicher, jeder dürfte erstaunt und oft wohl auch erschrocken sein, was so alles an solchen ihn selber ausbremsenden und destabilisierenden Vorstellungen im eigenen Kopf herumspukt.

So manches davon "mag ja auch in der einen oder anderen Weise gar nicht so falsch sein", nur absolut genommen, eben als Glaubenssätze, seien falsche Vorstellungen "eine ganz fatale Sache", weil sie "nicht nur das Wahrnehmungs- und damit das Möglichkeitsfeld einengen, sondern auch die Selbstwirksamkeitsüberzeugung untergraben und damit unmittelbar erfolgswirksam sind!"

Hart, aber Realität, sagt Eberspächer, "wer sich nur von unhinterfragten Vorstellungen leiten und sich dazu mit irren Selbstgesprächen noch selbst verrückt macht, kickt sich selbst aus dem Rennen". (Hartmut Volk/DER STANDARD; Printausgabe, 29./30.10.2011)