Die Argumente gegen das Bildungsvolksbegehren kommen von rechts und von links. Man sollte sie ernst nehmen, auch wenn man die Initiative unterstützt. Es gibt für die Behebung der Bildungsmisere eben keine Lösung, die nicht für manche Gruppen auch Nachteile hätte. Aber es ist ehrlicher, zu sagen: die Vorteile überwiegen, als zu behaupten, mit der gemeinsamen Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen und der Studienplatzfinanzierung wäre fortan alles paletti.

Der wichtigste Punkt, an dem sich die Geister scheiden, ist natürlich der Verzicht auf die Selektion der Zehnjährigen in Gymnasiasten und Hauptschüler. Der Volksbegehrenstext vermeidet das Reizwort Gesamtschule und spricht nur von einem fairen System, in dem die Trennung der Kinder nach Interessen und Begabungen erstmals am Ende der Schulpflicht erfolgt. Das heißt in der Praxis: Oberschicht- und Unterschichtkinder bleiben bis zum 14. Lebensjahr beisammen.

Das ist eine Herausforderung für Lehrer, besonders für AHS-Professoren, die dann einen differenzierteren Unterricht anbieten müssten. Das ist schwieriger und kostet mehr Arbeit. Und eine Herausforderung auch für Bildungsbürger, deren Sprösslinge dann nicht mehr nur mit "ihresgleichen" die Schulbank drücken müssten. Damit dieser "Nachteil" zu einem Vorteil wird, müssten auch die anderen Forderungen des Volksbegehrens realisiert werden: bessere Lehrerausbildung, sorgfältigere soziale Durchmischung, mehr Mittel für individuelle Förderung. Mit der Abschaffung des Unterstufen-Gymnasiums allein wäre es nicht getan.

Die Studienplatzfinanzierung lehnt die Hochschülerschaft ab. Sie würde bedeuten, dass nur so viele Studierende einen Platz bekommen, als Geld da ist. Bei der Medizin ist das schon lange so, aber bei Massenfächern würden viele, die jetzt studieren, es in Zukunft nicht mehr können. Die Proponenten sagen: Besser weniger Leute gut ausbilden, als unbegrenzt vielen eine Ausbildung ermöglichen, die im Endeffekt wenig wert ist. Bei den jährlich dreitausend, die Publizistik studieren, hat man tatsächlich den Eindruck, dass viele Absolventen herauskommen, die nicht viel Brauchbares gelernt haben. Aber die ÖH-Vertreter haben recht, dass mit dieser Forderung das Prinzip des freien Hochschulzugangs in Frage gestellt wird.

Ein besseres Bildungssystem wollen alle. Und so gut wie alle sind auch mit den meisten Forderungen des Volksbegehrens einverstanden, die auf besseren, moderneren Unterricht, Aufwertung der Kindergartenpädagoginnen und Aufwertung des Lehrerberufs abzielen. Aber Konservative fürchten Nivellierung und geringere Leistungsanforderungen für die Besten, Fortschrittliche fürchten weniger Chancen für sozial benachteiligte Studierende.

Wer jetzt noch schwankt, ob er "Österreich darf nicht sitzen bleiben" unterschreiben soll oder nicht, sollte drei Dinge tun: den Text genau lesen und in seiner Gesamtheit beurteilen. Und dann abwägen, ob seine Bedenken wirklich die Vorteile aufwiegen, die eine Umsetzung der Initiative bringen würde. Und schließlich, als Wichtigstes: vor dem Überlegen das Parteibuch in eine Schublade sperren und dann eine Zeitlang vergessen.(STANDARD, Printausgabe, 10.11.2011)