Das Neunerhaus ist zehn Jahre alt. Im kommenden Jahr soll es abgerissen und komplett neu errichtet werden.

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Bewohnerin Gabi lebt mit einigen Unterbrechungen seit sechs Jahren in der Einrichtung.

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Medizinische Behandlung ist ein wichtiger Aspekt in der Rundumbetreuung der BewohnerInnen.

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Auch die Haustiere werden seit vergangenem Jahr von ehrenamtlichen Tierärzten versorgt.

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Im neuen Haus wird es auch einen Aufzug geben - im Liftschacht des bestehenden Neunerhaus gab es noch nie einen Aufzug.

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Geschäftsführer Markus Reiter und Heimleiterin Martina Pint.

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Auch Charly und Moritz finden im Moment noch Unterschlupf im Neunerhaus, da ihr Besitzer verstorben ist. Sie suchen jedoch ein neues Zuhause.

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Das Neunerhaus feiert zehnten Geburtstag und plant für die Zukunft große Veränderungen: Da das Haus mittlerweile sehr baufällig ist, wurde beschlossen, einen Neubau zu errichten. Der Bauherr steht schon fest, informiert Geschäftsführer Markus Reiter: Die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte wird gemeinsam mit dem Verein dafür sorgen, dass die BewohnerInnen in ein neues Haus mit noch mehr Wohnfläche für circa 70 bis 80 Personen zurückkehren können. Um den 1. April 2012 wird das Ersatzquartier im 13. Wiener Gemeindebezirk bezogen.

Im "HaMü" wohnen ständig zwischen 50 und 60 Menschen. "Einige leben erst seit zwei Monaten hier, andere seit zehn Jahren", sagt Reiter. Insgesamt haben bisher 154 Männer und 54 Frauen durchschnittlich 2,8 Jahre in dem Haus verbracht. Die Miete für Einzelzimmer mit mindestens 20 Quadratmeter Fläche beträgt 283 Euro. Für Paarwohnungen mit 50 Quadratmeter werden 318 Euro verrechnet. Es gibt zwar eine eigene Dusche, das Gemeinschafts-WC befindet sich aber am Gang.

Im Idealfall gelingt den BewohnerInnen ein Wiedereinstieg in ein geregeltes und vollkommen selbstbestimmtes Leben. Hausleiterin Martina Pint betont, dass aber kein zeitlicher Druck besteht. Es gibt auch Bewohner, die seit zehn Jahren die Einrichtung brauchen. Für andere Menschen, die länger auf der Straße gelebt haben, ist es eine Phase der Stabilität, die sie wieder an das Wohnen gewöhnt und auch bei psychischen und sozialen Krisen Hilfe bietet. Haushaltsplanung und Regulierung von Schulden hilft ebenso dabei, wieder Selbstverantwortung zu übernehmen.

Zurück in ein geregeltes Leben

Wie schmal der Grat zur Wohnungslosigkeit ist, kann Peter C. erzählen. Der 58-Jährige promovierte Philosoph und Doktor der Zeitgeschichte arbeitete 33 Jahre als Publizist. Nach einer Scheidung und einem darauf folgenden einjährigen Auslandsaufenthalt gelang ihm der Einstieg in seine Branche nicht mehr. Das Arbeitsamt bescheinigte ihm Unvermittelbarkeit. Er sei überqualifiziert und die vorhandenen Jobs seien ihm nicht zumutbar, hieß es in der Begründung. "Ich hätte gerne selbst entschieden, was ich mir zumuten kann", kritisiert er. Seine einjährige Obdachlosigkeit verlief fast unbemerkt: Tagsüber studierte er in der Nationalbibliothek, nachts ging er auf einen Hochstand im Wienerwald schlafen. "Dort schneite es nicht einmal hinein", berichtet C.

Das Neunerhaus bot ihm wieder soweit materielle Sicherheit, dass er sein Leben neu planen konnte. Mit 57 Jahren begann er eine zweisemestrige Ausbildung zum Lebens- und Sozialarbeiter. Für das kommende Jahr hat er sich bereits ein Projekt gesichert, bald zieht er in eine eigene Wohnung um. Peter C. betont: "Ich bin nicht der einzige Akademiker hier. Es ist eben nicht immer der Alkohol. Wir leben in einer Gesellschaft, in der fast niemand vor so etwas gefeit ist."

Privatsphäre und Familienbesuch

Die 48-jährige Gabi lebt mit Unterbrechungen seit sechs Jahren im Neunerhaus. Nach einem Familienkonflikt verlor sie ihre alte Wohnung. Wegen einer körperlichen Beeinträchtigung ist sie nicht mehr arbeitsfähig. Im dritten Bezirk fühlt sie sich wohl. In ihrem Zimmer hat sie Privatsphäre, eine eigene Dusche, Balkon und lebt mit einem Kater zusammen. "Es gibt viele Freiheiten, auch wenn mich eines meiner fünf Kinder oder sechs Enkelkinder besuchen kommt ist das kein Problem", berichtet die Bewohnerin. Ihr Wunsch ist es, eine Gemeindewohnung gemeinsam mit ihrem Partner beziehen zu können, der ein paar Stockwerke unter ihr ebenfalls im Neunerhaus lebt.

Ehrenamtliche Ärzte für Mensch und Tier

"Viele Bewohner legen Wert auf eine Gemeinschaft. So gibt es zum Beispiel Nordic Walking am Donaukanal oder erst vor kurzem einen Ausflug von 20 Leuten zum Gut Aiderbichl." Zur umfassenden Betreuung gehört auch die ärztliche Versorgung, die bei älteren BewohnerInnen sogar die Pflegebedürftigkeit hinauszögern kann.

Für viele Menschen stellt in dieser Lebensphase ein Haustier einen treuen Weggenossen dar, deshalb wurde im Vorjahr auch eine ehrenamtlich betriebene Tierarztpraxis eröffnet. Ehrenamtliche Zahn- und TierärztInnen werden immer gesucht.

Ein Projekt engagierter BürgerInnen

BürgerInnen des neunten Wiener Gemeindebezirks gründeten 1999 den Verein, um obdachlosen Menschen ein neues Zuhause zu bieten. Das Konzept war damals etwas Neues: Jeder bekommt eine eigene kleine Wohneinheit, einen Schlüssel zum Schutz der Privatsphäre, Haustiere sind erlaubt und BesucherInnen willkommen. Bei Vorankündigung sind auch Übernachtungen etwa von Familienangehörigen möglich. Vor allem der Punkt, dass Alkohol nicht verboten ist, stieß zunächst auf Skepsis von öffentlicher Seite. Eine der Ärztinnen, welche die Ordination im Neunerhaus betreut, schildert ihre Erfahrungen mit dem Thema Alkohol in Obdachloseneinrichtungen: "Im geschützten Rahmen hält sich der Missbrauch für gewöhnlich in Grenzen." Mittlerweile gilt das Neunerhaus als Vorzeigeprojekt.

Da das Neunerhaus ursprünglich im neunten Wiener Gemeindebezirk nicht erwünscht war, entstand es schließlich in der Hagenmüllergasse im dritten, in einem ehemaligen Lehrlingsheim der Salesianer Don Bosco. Der Name blieb trotzdem - und auch die große Idee, wie Geschäftsführer Markus Reiter berichtet: "Aus den Erfahrungen, die wir mit dem ersten Neunerhaus gemacht haben, konnten wir unser Angebot für wohnungslose Menschen in den vergangenen Jahren um zwei weitere Wohnhäuser und mehrere Startwohnungen erweitern." (Julia Schilly, derStandard.at, 24. November 2011)