Freda Meissner-Blau, Pionierin der österreichischen Grün-Bewegung, in ihrer Wohnung, wo sie unter anderem zwei gotische Spitzbögen entdeckte. (Foto: Lisi Specht)

Foto: Lisi Specht

Freda Meissner-Blau mag ihre Wohnung in der Wiener City sehr, auch wenn sie dort manchmal kalte Füße bekommt. Michael Hausenblas durfte sie besuchen.

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"Als meine Kinder klein waren, hatte ich den Wunsch, dass sie beobachten können, wie sich die Blätter in den Bäumen bewegen, also im Grünen aufwachsen. Wir wohnten damals in Pötzleinsdorf. Später waren sie natürlich lieber in der Stadt unterwegs, als unter Bäumen zu sitzen. Als die Kinder flügge wurden, habe ich mich umgeschaut und in der Zeitung von einer Wohnung im ersten Bezirk gelesen. Sie lag in einer sehr schönen Gasse. Als ich die Wohnung sah, wusste ich: Die ist es. Ich hab mir gesagt: 'Das sind Wände mit Seele.' Es kommt mir vor, als hätten hier immer nur friedliche Menschen gelebt.

Die Wohnung war in einem sehr schlechten Zustand, eine sogenannte 7-D-Wohnung, eine Wiederaufbauwohnung. Mein Mann, der vor fünf Jahren gestorben ist, hat nur gesagt: 'Was? In dieser Räuberhöhle willst du wohnen?' Ich erwiderte: 'Warte es ab!' Dann haben wir alles hergerichtet, was zehn Monate dauerte. Als wir 1980 einzogen, zahlten wir abgesehen von einer Ablöse keine 300 Schilling Miete. Ich geniere mich nicht, das zu erzählen. Heute beträgt die Miete 500 Euro. Daran sieht man ganz deutlich die Abwertung des Geldes. Das ist doch phänomenal, oder? Klar ist das für eine Innenstadtwohnung immer noch fast geschenkt.

Die Wohnung misst 86 Quadratmeter. Es gibt einen Vorraum, eine Küche, ein Bad, und die zwei eigentlichen Wohnräume gehen ineinander über. Schlafen tu ich in einer Art Alkoven-Höhle im hinteren Teil der Wohnung. Darüber befindet sich eine kleine Galerie, die ich als Stauraum nütze. Es ist alles sehr verwinkelt, aber das ist ja gerade das Hübsche. Die Wohnung ist ein Restteil einer einstigen Riesenwohnung in einem Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert. Der Kern des Hauses dürfte allerdings auf das 16. Jahrhundert zurückgehen.

Es ist ein sehr interessantes Zuhause, ich fand unter der Mauer sogar zwei gotische Spitzbögen, die ich freigelegt habe. Wahrscheinlich war hier eine Hauskapelle untergebracht. Auch einen wunderschönen Rokoko-Ofen gab es, aber der ist einfach zerbröselt. Eigentlich war er nur noch ein Haufen Sand. An seiner Stelle steht jetzt ein Pelletsofen. Dort ist mein Kuschel- und Leseort während des Tages. Und so komm ich auch schon zu den Pferdefüßen. Durch die Raumhöhe von vier Meter 80 bläst die ganze Wärme in die Höhe, und ich sitz unten und hab kalte Füße. Zwanzig Grad ist das Maximum. Außerdem versuche ich natürlich aus ökologischen Gründen, den Energieaufwand zu bremsen. In der Nacht drehe ich auf 17 Grad runter. Das ist wahrscheinlich eh gesünder, zieh ich manchmal halt zwei Pullover an. Der zweite Nachteil ist das Fehlen von jeglichem Grün. Gegenüber gibt's nur Betonwände. Aber man kann nicht alles haben. Als Stadtwohnung ist mein Zuhause ideal. Ich geh die Stufen runter und bin quasi am Graben. Wobei die Innenstadt schon sehr hektisch geworden ist. Manchmal hab ich das Gefühl, man muss sich durchkämpfen. Darum gehe ich meistens durch das kleine Gasserlwerk, um dem Rummel auszuweichen.

Ich komme sehr gern nach Hause. Es ist ein Gefühl, als hätte ich die Hektik und den Lärm der Welt ausgeschlossen, als würde sich eine äußere Haut schließen. Ich würde mein Wohnen hier als wohligen Schutz bezeichnen. Wohnen heißt auch, dass ich bei mir selbst sein kann. Draußen muss ich ja immer ein Stück von mir hergeben. Altersbedingt eines Tages von hier wegzumüssen, möchte ich mir eigentlich ersparen.

Übrigens habe ich auch in New York, London, Rom oder Paris gelebt, aber Wien ist mein wirkliches Zuhause und noch immer ideal für mich. Das Glück, auch noch im Herzen vom Herzen leben zu dürfen, hätte ich mir nie erwartet." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3./4.12.2011)