Vor zwei Jahren hat ORF-Online-Direktor Thomas Prantner die TVthek ins Internet gebracht. Heute generiert die Plattform rund zehn Millionen Videoabrufe pro Monat.

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Immer wieder ist die ORF-TVthek Anlass für hitzige Diskussionen, zuletzt erregte das Thema Bewegtbildvermarktung die Gemüter der heimischen TV-Landschaft. Thomas Prantner, Direktor für Online und neue Medien beim ORF, sprach mit derStandard.at über deutsche Vorbildwirkung, Urheberrechte und das Projekt "Oktopus".

derStandard.at: Bewegtbildvermarktung in der ORF-TVthek erhitzt immer wieder die Gemüter. Verstehen Sie die Vertreter der Privatsender?

Thomas Prantner: Nein, diese künstliche Aufgeregtheit bei diesem Thema ist wirklich völlig unverständlich. Ein wichtiger Punkt in dieser ganzen Diskussion ist, dass die Online-Werbung auf orf.at mit der Novellierung des neuen ORF-Gesetz per 1.10.2011 klar beschränkt wurde. Einerseits wurde ein quantitativer Deckel für die Höhe der maximal erzielbaren Einnahmen gesetzt und andererseits wurden zahlreiche Formen der Online-Werbung wie Targeting oder Performance Marketing für den ORF verboten. Um zumindest teilweise am Marktwachstum der Online-Werbung mitpartizipieren zu können, muss es allerdings für den ORF auch die Möglichkeit geben, bei Produkten, die Marktwachstum schaffen hier unter anderem bei der Bewegtbild-Werbung, mitanbieten zu können. Das würde ohnehin nur bis zu dem gesetzlich vorgegebenen Deckel passieren. Von den Gesamtwerbeeinnahmen würde die Vermarktung der TVthek nur einen sehr, sehr kleinen Prozentsatz ausmachen. Es geht hier um 0,X Prozent. So positiv die Zugriffsentwicklung bei der TVthek insgesamt ist, im Vergleich zur TV-Reichweite ist sie sehr klein und überschaubar und erreicht circa ein Prozent Reichweite.

derStandard.at: Sie haben öffentlich dafür plädiert in puncto Online-Werbung an einem Strang zu ziehen. Zitat: „Der Feind heißt nicht ORF, sondern Google." Was macht Google zum Feind und ist diese Stilisierung nicht zu populistisch?

Prantner: Vielleicht ein wenig populistisch, aber sicher richtig. Der Onlinemarkt in Österreich ist insgesamt noch sehr klein mit circa fünf Prozent an den gesamten Werbespendings. Die Werbeerlöse stehen noch in keiner Relation zur tatsächlichen Nutzung des Mediums Online. Zur Finanzierung von qualitativ hochwertigen Online-Content sind Werbeerlöse für alle Anbieter, auch für den ORF, essentiell. Es gibt grobe Schätzungen, wie sich der österreichische Onlinewerbemarkt aufteilt. Nur vierzig Prozent der Erlöse fallen auf die klassische Display-Werbung, fast fünfzig Prozent auf "Search", also Google. Die Medien finanzieren sich aber Großteils aus diesen vierzig Prozent Display-Werbung und es ist noch unklar, ob dieser Anteil künftig weiter wachsen oder zu Lasten von "Search" noch weiter schrumpfen wird. Google bietet keinen redaktionellen Content und hat dementsprechend keine diesbezüglichen Kosten. Das Gleiche gilt für Facebook. Es ist existentiell bedrohlich für Online-Qualitäts-Medien, wenn der Anteil an klassischer Display-Werbung zugunsten internationaler, nicht-redaktioneller Anbieter immer mehr zurückgeht. So war mein Appell auch zu verstehen. Ziel ist es, gemeinsam österreichische Wertschöpfungsmodelle weiterzuentwickeln, um hier auch langfristig die Möglichkeit zu haben, hochwertigen, österreichischen Online-Content refinanzieren zu können.

derStandard.at: Das Thema Urheberrecht wird für Mediatheken in Hinblick auf Contentbereitstellung oft zum Hemmschuh. Wie sollte ein Gesetzesentwurf für freien Zugang aussehen?

Prantner: Die Bereitstellung von Sendungen muss durch Verträge insbesondere mit den Urhebern und Leistungsschutzberechtigten gedeckt sein. Bei älteren Produktionen wurden von den Rechteinhabern ursprünglich nur die Rechte für eine Fernsehausstrahlung erworben. Um eine Sendung auch online zur Verfügung zu stellen, ist ein hoher Aufwand für die Rechteklärung und gegebenenfalls für den Nacherwerb von Rechten erforderlich, dem schon finanzielle Grenzen gesetzt sind. Manche Rechteinhaber sind überhaupt nicht mehr oder nur sehr schwer zu ermitteln ("verwaiste Werke"). Für diesen Problembereich hat die Europäische Kommission im Mai 2011 eine Lösung in Form einer Richtlinie vorgeschlagen. Für die europaweite Online-Bereitstellung von Sendungen besteht - anders als für die Fernsehausstrahlung über Satellit - im Moment keine ausdrückliche "Sendelandtheorie". Es ist daher nicht vorgesorgt, dass die Zustimmung der Rechteinhabers nur in einem Staat einzuholen ist - einer der Hintergründe für den Einsatz von "Geo-Blocking" auch der TVthek. Insbesondere die European Broadcasting Union (EBU) fordert diesbezüglich eine Reform des Urheberrechts.

derStandard.at: Die geplante kommerzielle Video-on-Demand Plattform "Germany's Gold" von ARD und ZDF hat die erste Hürde genommen. Können Sie diese Entwicklung argumentativ auch für Österreich nutzen?

Prantner: Ja, weil es ein klares Signal ist, dass die öffentlich-rechtlichen Broadcaster neben ihren weitgehend frei zugänglichen Mediatheken, auch kommerzielle VOD-Plattformen betreiben können. Warum sollte es nicht möglich sein, Sendungen des ORF beispielsweise auch aus dem Archiv zu vermarkten? Eine kommerzielle VOD-Plattform ist ja im Wesentlichen nichts anderes als ein modernes, publikumsfreundliches Programmservice. Schon jetzt verschicken wir mit der Post hunderte DVDs mit TV-Sendungen gegen Entgelt an unsere Kunden, in Zukunft könnte das online teilweise schneller und effizienter abgewickelt werden.

derStandard.at: Der Online-Video-Dienst Hulu ist zu einem der größten Traffic-Treiber in den USA aufgestiegen. Jetzt plant der Dienst den Einstieg in den deutschsprachigen Markt. Halten Sie diesen Weg für erfolgsversprechend und muss Europa die neue Konkurrenz fürchten?

Prantner: Fürchten braucht sich niemand, aber unbestritten ist, dass jeder neue Anbieter und Mitbewerber ernst zu nehmen ist, vor allem dann wenn wirtschaftliche Power dahinter steckt. Erfolgsversprechend werden diese Onlineanbieter dann sein, wenn die Qualität ihrer Produkte stimmt und sie auch für das deutschsprachige Publikum interessant sind. 

derStandard.at: Seit August gibt es eine Kooperation der ORF-TVthek mit A1-TV. Haben sich die Gespräche mit anderen Kabeltreibern schon weiter konkretisiert?

Prantner: Ja, die Gespräche laufen positiv und ich bin zuversichtlich, dass wir mit der UPC, aber auch anderen kleineren Kabelnetzbetreibern zu guten Ergebnissen beziehungsweise zu Kooperationen kommen werden. Realistischer Umsetzungszeitraum für diese Projekte ist das 1. Halbjahr 2012. Die ORF-TVthek ist eine gefragte Multimedia-Marke und stellt auch für die Kabelunternehmen in ihrem Produktportfolio einen Mehrwert dar.

derStandard.at: Wie geht es mit dem Projekt "Oktopus" voran?

Prantner: Ich nehme an, dass sie damit unser HbbTV-Testprojekt ansprechen. Der HbbTV-Testbetrieb wurde mit Ende November abgeschlossen. Wir analysieren gerade die Ergebnisse, Userbefragungen und die technischen Erfahrungen und werden auf dieser Basis die weiteren Entwicklungen vornehmen. Ob sich daraus ein Regelbetrieb ergeben kann, muss ausführlich geprüft werden. Diese Entscheidung liegt bei der ORF-Geschäftsführung. Grundlegend wollen wir auch mit dieser neuen Technologie der „Connected TV‘s" unseren Kunden ORF-Inhalte wie z.B. auch die ORF-TVthek anbieten.

derStandard.at: Gibt es Pläne in der TVthek auch OnlineFirst umzusetzen?

Prantner: Derzeit nicht, wir wollen die im Jahr 2011 stark erweiterte TVthek zunächst mal technisch weiter verbessern und auch auf zusätzlichen neuen Plattformen und Medien anbieten. Für die Zukunft möchte ich das aber nicht ausschließen.

derStandard.at: Wie gut wurde die im Oktober 2011 vorgestellte TVthek-App angenommen?

Prantner: Die TVthek-App ist seit kurzem im Betrieb und hat einen hervorragenden Start hingelegt. Wir sind mit den Downloads der Apps sehr zufrieden - bis jetzt nutzen bereits mehr als 100.000 Kunden die App für iPhone und iPad. Gerade mit einer App können wir unseren Kunden eine hervorragende Usability der ORF-TVthek anbieten. Damit verbunden besteht auch erstmals die Möglichkeit, auf die sogenannte „Adaptive" Qualitätsstufe umzustellen, die sich automatisch je nach Internetverbindung die optimale Qualität (Datenrate) wählt. In den nächsten Wochen werden wir auch eigene Apps für die Smartphones und Tablets mit dem Android-Betriebssystem anbieten.

derStandard.at: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Mediatheken ein?

Prantner: Mediatheken sind kein Ersatz für das klassische Fernsehen, aber eine wichtige Ergänzung. Das Mediennutzungsverhalten hat sich radikal geändert, der Bedarf nach zeit- und ortsunabhängiger, vor allem mobiler Nutzung von TV-Sendungen steigt stark. Wir haben heuer die vor zwei Jahren gestartete ORF-TVthek auf mehr als hundert Video-On-Demand-Sendungen und auf  fünfzig Livestreams ausgeweitet, die beiden Spartenkanäle ORF III und ORF Sport Plus integriert und darüber hinaus unser erstes Archiv mit zeit- und kulturgeschichtlichen Inhalten zum Thema "Neunzig Jahre Burgenland" online gestellt. Das ORF-TVthek-Angebot wird von immer mehr Menschen genutzt, wie die Werte im Oktober 2011 - 2,4 Mio. Visits, rund 950.000 Unique Clients und knapp 10 Mio. Videoabrufe -zeigen. (derStandard.at/5.12.2011)