ModeratorIn: Guten Tag, liebe Userinnen und User. Wir begrüßen die Attac-Ökonomin Karin Küblböck zu unserem nächsten Krisenchat.

Karin Küblböck: Guten Tag, ich freue mich mich mit den UserInnen austauschen zu können.

UserInnenfrage per Mail: Attac steht ja übersetzt für "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen zugunsten der BürgerInnen". Ist in Anbetracht der Krise dieser Name noch zeitgemäß?

Karin Küblböck: Finanzmärkte als Thema zu haben ist aktueller denn je, weil eine der Kernursachen der Krise in unregulierten Finanzmärkten liegt. Die Vorschläge von Attac gehen natürlich weit über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer hinaus.

UserInnenfrage per Mail: Frau Merkel und Herr Sarkozy wollen von weiterer Privatbeteiligung bei etwaigen Schuldenschnitten (wie man sie bei Griechenland hatte) absehen. Das heißt wohl, dass sich die Finanzwelt in weiten Bereichen nach wie vor recht geschickt durchsetzt. Was

Karin Küblböck: Die systematischen Deregulierungen des Finanzsektors in den letzten 20 Jahren haben zu dieser Dominanz über die Realwirtschaft und die Politik geführt. Jetzt geht es um entschlossenes Handeln der Politik dem Finanzsektor wieder strenge Regeln aufzuerlegen. Da geht es zB. um die Schließung von Offshore Zentren und Schattenfinanzplätzen, das Verbot von bestimmten Derivaten, Finanztransaktionssteuern. Wir brauchen auch eine Debatte über die Rolle von Banken in der Gesellschaft.

UserInnenfrage per Mail: In Österreich steht ja demnächst die Einschätzung der Bonität durch die Ratingagentur Moody’s bevor. Wie wichtig ist es, dass Österreich sein Triple-A behaltet?

Karin Küblböck: Die große Panik vor diesen Ratings zeigt, dass die Politik der letzten Jahre in die vollkommen verkehrte Richtung gelaufen ist. Staatsfinanzierung darf nicht von irrationalen Märkten abhängig gemacht werden. Auch die Fehlkonstruktion der Eurozone wird deutlicher denn je.

lelalom: Wie soll sich denn die Politik von den Finanzmärkten emanzipieren? Die hängen doch alle voll drin.

Karin Küblböck: Ein erster Schritt wäre wie gesagt die Abkoppelung der Staatsfinanzierung von den Finanzmärkten - da beziehe ich mich in erster Linie auf die Zinsen auf Staatsanleihen, die ja durch Auktionen zustande kommen. Dadurch entsteht so etwas wie eine self fullfilling prophecy, weil genau durch die gestiegenen Zinsen die Staaten dann in Bedrängnis kommen. Es geht aber auch um viel mehr Kooperation im Bereich der Kapitalertrags- und Vermögensbesteuerung, sowie um das oben erwähnte Thema Steueroasen. Das alles wird aber nicht von alleine passieren, es braucht noch viel mehr Druck aus der Bevölkerung, damit da wirklich etwas passiert. Der Bereich ist ja sehr intransparent und lobby-anfällig.

peter schmidt: Viele User sehen die Ursache für das Unglück im "Zinsensystem". Ich selbst empfinde Zinsen auch nicht gerade als positiv allerdings sehe ich Probleme wie ohne das "Zinsensystem" Menschen mit Geld für Investitionen versorgt werden sollen speziell arm

Karin Küblböck: Ich sehe im Zinssystem nicht die Ursache für die Krise. Worauf zu achten ist, ist dass Zinsen nicht überhalb der Wachstumsrate liegen. Aber die alleinige Konzentration auf "das Zinssystem" führt oft dazu, dass andere Umverteilungsmechanismen in der Gesellschaft, wie etwa Löhne/Gewinne ausser acht geraten und man glaubt, nur an einer Schraube drehen zu müssen, und dann werde alles "wieder gut".

UserInnenfrage per Mail: Sie sprechen über eine Notwendigkeit der Neudefinition der Rolle von Banken. Haben nicht viele davon profitiert, dass die Banken soviel Gewinn gemacht haben? Wenn sich sogar der Friseur Aktien leistet, sagt das doch ganz schön viel aus.

Karin Küblböck: Die Verteilungszahlen der letzten Jahre sprechen eine andere Sprache. In Österreich besitzen 10 % der Bevölkerung rund 2/3 des Finanzvermögens, dh. das restliche Drittel teilen sich 90 %. Die Ungleichverteilung hat sich in den letzten Jahren verschärft. Banken haben in den letzten Jahren hohe Gewinne gemacht und sind extrem hohe Risken eingegangen, die dann durch z.B. das Bankenpaket auf die Gesamtbevölkerung überwälzt wurden.

ulapatula: die realwirtschaft hat wenig probleme. dennoch gibt es eine riesige bedrohung. was würde passieren , wenn wir die banken verstaatlichen, um den sog. finanzsektor volkswirtschaftl. sinnvoll neu zu ordnen?

Karin Küblböck: Gesamteuropäisch gesehen hat "die Realwirtschaft" massive Probleme. Die großen realwirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Staaten sind mM auch eine Kernursache für die heutige Krise in der Eurozone. Länder wie Spanien oder Griechenland haben eine Deindustrialisierung erlebt, weil sie mit Produkten etwa aus Deutschland, das starkes Lohndumping betrieben hat, nicht mithalten konnten, und das Instrument der Abwertung wurde mit der Euroeinführung genommen. Daher auch die hohen Arbeitslosenzahlen etwa in Spanien. Aber zu ihrer anderen Frage- der Bankensektor - hier finde ich, sollten wir die Frage stellen, ob ein gewinnorientierter Bankensektor in einer Gesellschaft sinnvoll ist, oder ob die Bereitstellung von Krediten und die Verwaltung von Spareinlagen nicht so etwas wie ein öffentliches Gut ist, das nicht gewinnorientiert passieren soll.

Buffy die Vampirjägerin: Eine Frage für die Kristallkugel: nehmen wir einmal an, dass die Politik die Staaten nicht wieder in die Hand nimmt. Wohin gehen wir? Ins Chaos, aus dem Umstürze folgen? Und wenn ja: werden die Ihrer Meinung nach von links oder rechts getrieben sein

Karin Küblböck: Prognosen sind immer dann schwierig zu beantworten, wenn sie die Zukunft betreffen :-). Derzeit sehe ich aber die starke Gefahr, dass durch diese koordinierten Sparmaßnahmen in Europa es zu einer langanhaltenden Rezession und Depression kommt, wodurch im Endeffekt dann alle verlieren werden. Das stärkt dann genau jene Gruppen, die einfache Lösungen und Sündenböcke anbieten. Ich glaube wir wollen alle nicht mehr die Situation, die auf die 1930er Jahre gefolgt ist, noch mal erleben.

Rauhreif: war es wirklich sinnvoll alle banken zu retten und mit unserem steuergeld weiterhin die casino-praktiken dieser verbrecher zu bezahlen? wäre es nicht sinnvoller gewesen an eine bank und deren verantwortlichen ein exempel zu statuieren und den finanz

Karin Küblböck: Ob jede einzelne Bank gerettet werden hätte müssen, bezweifle ich. Wichtiger finde ich jedoch, dass an die Rettung der Banken kaum Bedingungen geknüpft wurden, wie etwa die Einschränkung von bestimmten Geschäftspraktiken, die Auszahlung von Boni und Dividenden, oder die Schließung von Niederlassungen in Steueroasen. Das rächt sich jetzt.

Hossa! Hossa! Hossa! Olé!!!: Sg. Frau Küblböck! Warum wird der Börsen- und Kredithandel mit all seinen Derivaten als Verursachen der Krise(n) nicht endlich in Frage gestellt, verboten und einhergehend ein soziales Wirtschaftssystem umgesetzt? Ideen dazu liegen ja zahlreich vor.

Karin Küblböck: Ich frage mich auch oft, warum manche Dinge so offensichtlich auf der Hand liegen, aber nicht passieren. Gerade bei der Finanzmarktregulierung ist es so, dass dieser Bereich einer der undemokratischten und intransparentesten in der Wirtschaftspolitik ist. Da sind in den vergangenen Jahren etliche durchaus gute Vorschläge hinter verschlossenen Türen wieder weglobbyiert worden. Es muss viel mehr Druck aus der Bevölkerung kommen, und - gestatten sie mir - es müssen auch Organisationen wie Attac stärker unterstützt werden.

UserInnenfrage per Mail: Liebe Frau Küblböck, glauben Sie, dass die Finanzkrise auch bei uns zu sozialen Spannungen führen könnte?

Karin Küblböck: Dzt. ist die soziale Lage in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern noch recht gut - wir haben dzt. die geringste Arbeitslosigkeit und insb. auch die geringste Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Das ist vor allem auf ein (noch) funktionierendes Sozialsystem zurückzuführen. Aber auch hier gibt es bereits steigende Armutszahlen und etwa steigende Delogierungen. Aber wenn etwa durch eine Schuldenbremse Sozialleistungen gekürzt werden und durch die kollektive Sparpolitik in Europa auch die Wirtschaft leidet, wird auch hier Arbeitslosigkeit und Armut zunehmen, und damit auch die sozialen Spannungen.

UserInnenfrage per Mail: Für Attac sind ja Wirtschaftstreibende fast gleichzusetzen mit Kriminellen – müsste an dieser Position nicht noch etwas gefeilt werden, damit man ihre Organisation ernst nehmen kann?

Karin Küblböck: Ich kann eigentlich mit so einer Pauschalbehauptung nichts anfangen. Es gibt z.B. in Attac eine eigene UnternehmerInnengruppe, die sich mit der Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft auseinandersetzt. Attac ist immer für gerechte Regeln für Finanz-und Realwirtschaft eingetreten, die einem guten Leben für alle und nicht für wenige dienen.

lelalom: Glauben Sie, dass Bewegungen wie Occupy Wall Street auf lange Sicht etwas bewirken können?

Karin Küblböck: Occupy Wall Street ist eine sehr wichtige Bewegung, weil sie darauf aufmerksam macht, dass ein großer - wenn nicht der größte - Teil der Bevölkerung mit dieser Politik, die die Finanzakteure bedient, nicht einverstanden ist. Dadurch entsteht sicher ein größerer Legitimationsdruck, wenn Regierungen weiterhin Politik im Interesse der 1 % machen. Wir versuchen jedenfalls, dazu beizutragen, dass die globalisierungskritische Bewegung international vernetzt politischen Druck aufbaut und aufrechterhält.

UserInnenfrage per Mail: Gibt es Fortschritte bei der demokratischen Bank? Wie ist da der Status?

Karin Küblböck: Die demokratische Bank ist kein direktes Projekt von Attac, auch wenn der Denkanstoß von Attac kam. Die Vorbereitungen laufen und auf der Website des Projekts können sie sich über den Stand der Dinge informieren.

sylver: im rahmen der schuldenkrise wird verstärkt über die einführung von "reichensteuern", worunter manche auch die einführung einer finanztransaktionssteuer verstehen, diskutiert. was ist in diesem zusammenhang davon zu halten?

Karin Küblböck: Seit der Gründung von Attac vor über 10 Jahren fordern wir eine höhere Steuergerechtigkeit. Vor allem jetzt ist das dringender denn je. Von der Entwicklung der Finanzmärkte und der Politik in den letzten Jahren hat vor allem eine kleine Minderheit stark profitiert, die die Vermögen der Reichsten sind trotz der Krise um rund 10% pro Jahr weitergewachsen. Österreich ist zudem das Land mit der 5.höchsten Millionärsdichte weltweit, und zählt trotzdem zu den OECD-Schlusslichtern bei der Vermögensbesteuerung. Eine höhere Besteuerung im Bereich Vermögen und Kapitalerträge ist gerade wenn wir über Schuldenabbau und Zukunftsinvestitionen sprechen unbedingt notwendig. Finanztransaktionssteuern sind zusätzlich nötig, aus Regulierungs- und Einkommensgründen.

Area Man: Würde nicht bei einer öffentlichen Bereitstellung und Verwaltung von Spareinlagen und Kredit - wie Sie oben vorschlagen - ein Anspruch auf Kredit entstehen ? Wie würde man die Verzinsung für riskantere Projekte bestimmen ? Wie - wenn nicht über Zins

Karin Küblböck: Grundsätzlich: ich habe davon gesprochen, dass Banken nicht gewinnorientiert sein sollten - dh. nicht, dass das über den Staat passieren muss. Eine öffentliche - oder z.B. genossenschaftliche - Bereitstellung von Krediten müsste sich genauso an Regeln halten, und hätte auch Zinsen in unterschiedlicher Höhe. Man könnte sich allerdings überlegen, ob gesellschaftlich besonders wünschenswerte Projekte, die z.B. zum ökologischen Wandel beitragen, bessere Konditionen erhalten sollten.

Fugazzi: Hallo Fr. Küblböck, wie sehen S ie die Fortschritte bei der Einführung einer sogenannten Tobin-Tax? Was sind die Gegenargumente der Finanzmarktes? mfg

Karin Küblböck: da haben wir in den letzten 10 Jahren wirklich viel erreicht. Als wir diese Steuer vor 10 Jahren vorgeschlagen haben, ist uns z.T. vorgeworfen worden, wir wollen den Realsozialismus zurück. Heute fordert die Steuer sogar die EU-Kommission, die bis dahin zu den vehementesten Gegnern gezählt hat. Ich glaube, dass diese Steuer über kurz oder lang kommen wird. Die Gegenargumente - z.B. die "Effizienz" der Finanzmärkte würde gestört - sind interessensgeleitet und wurden schon oft widerlegt.

jsf12: wird die eurokrise die politische integration innerhalb der eu verstärken oder wird die kluft zwischen ökonomischer- und politischer integration mittel- und langfristig in europa noch größer?

Karin Küblböck: Diese Krise ist der Lackmustest für die Europäische Union. Die Fehlkonstruktion der EU liegt ja in der Einführung einer gemeinsamen Währung und eines freien Kapitalverkehrs, ohne die Politik, insb. im Steuerbereich zu vereinheitlichen. Gleichzeitig ist der EZB nur die Rolle der Inflationsbekämpfung und nicht der Finanzstabilitätserhaltung zugeteilt worden. Wenn die EU es jetzt nicht schafft, auch im Steuer- und Produktionsbereich (Industriepolitik, Lohnpolitik, Regionalpolitik) gemeinsam an einem Strang zu ziehen, wird die Desintegration größer werden und auch der Rückhalt der EU in der Bevölkerung immer schwächer werden.

Citizen: Die jetztige Krise ist eine Riesenchance, nicht nur um die Wirtschaft umzugestalten, sondern auch um endlich wirkliche soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit und Krisenfestigkeit zu schaffen. Glauben Sie dass ATTAC dies schon laut genug

Karin Küblböck: Wir tun was wir können und freuen uns immer über Unterstützung!

Fugazzi: Was soll mit der eingehobenen Tobin-Tax, soweit sie kommt, passieren. Wie sehen die da Forderungen von attac aus?

Karin Küblböck: Sinnvoll wäre es, wenn Einnahmen aus dieser Steuer in den EU-Haushalt fließen, wodurch dann verstärkt Investitionen in Zukunftsbereiche getätigt werden sollten, die auch den wirtschaftlichen Ausgleich und den sozialen Zusammenhalt der EU stärken sollen. Attac hat aber immer auch vorgeschlagen, dass ein Teil der Einnahmen in Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und der globalen Armutsminderung fließen sollen. Europa ist ja keine Insel.

UserInnenfrage per Mail: Was ist das Minimum, was am Freitagsgipfel herauskommen muss?

Karin Küblböck: Wenn die Regierungen so wie jetzt weiterwurschteln und z.B. den EFSF mit etwas mehr Mitteln ausstatten oder durch komplizierte Maßnahmen mehr heblen, wird das nicht ausreichen, um diese Krise bewältigen. Die wahren Ursachen werden da nicht angegangen, deshalb braucht es auch in kürzesten Abständen immer weiter Gipfel. Kurzfristig braucht es die Ausgabe von gemeinsamen Staatsanleihen (Eurobonds), die im Notfall auch von der EZB aufgekauft werden. Dann braucht es die gemeinsame Beendigung des Steuerwettbewerbs, damit die Budgetkonsolidierung nicht nur durch Sparen erzielt wird. Ich befürchte, dafür braucht es noch mehr Druck, und weitere Gipfel.

ModeratorIn: Das war’s. Wir danken Frau Küblböck fürs Vorbeikommen und fürs Chatten. Und wir danken den Userinnen und Usern für die vielen Fragen, die wir leider nicht alle beantworten konnten. Auf Wiedersehen.

Karin Küblböck: Vielen Dank fürs Mitdiskutieren! Auf der Attac-Website und auf Facebook kann man weiter dranbleiben!