Die Argumente für oder gegen Elga sind beiden bekannt: Johannes Steinhart von der Ärztekammer und Elga-Verantwortliche Susanne Herbek im Gespräch.

Foto: Der Standard/Hendrich

"Der Datenschutz ist bei Elga nicht gewährleistet, das bedroht das Vertrauen zwischen Arzt und Patient."

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"Patienten haben all ihre Befunde beisammen, auch Ärzte haben bei Elga alle Informationen auf Knopfdruck."

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Standard: Aktuelle Umfragen zeigen: Österreicher und Österreicherinnen wollen Elga, wissen jedoch nicht genau, was das ist.

Herbek: Elga steht für elektronische Gesundheitsakte. Damit können Patienten ihre Befunde wie Entlassungsbriefe, Laborbefunde und Röntgenbilder zu Hause über den PC ansehen und ordnen. Sie müssen sie nicht mehr abholen und herumtragen. Auch Ärzte haben bei Bedarf alle wichtigen Informationen auf Knopfdruck auf dem Bildschirm. Dadurch können sie ihre Patienten rascher und zielgerichteter behandeln.

Standard: Die Ärztekammer warnt in Inseraten mit nackten Menschen vor Elga. Wovor fürchten Sie sich?

Steinhart: Wir sind grundsätzlich für die elektronische Vernetzung. Aber wir warnen vor dem Modell, das jetzt geplant ist. Es fehlt jedes Maß an Freiwilligkeit, und auch der Datenschutz ist nicht gewährleistet. Das bedroht das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.

Herbek: Gesundheitsdaten sind sehr sensibel, und wir nehmen den Datenschutz sehr ernst. Die geplanten technischen Standards garantieren größtmögliche Sicherheit. Die Bürger können auch völlig frei entscheiden, ob sie an Elga teilnehmen wollen oder nicht.

Standard: Wer nicht daran teilnehmen will, muss allerdings ausdrücklich widersprechen.

Steinhart: Genau dieses "Opting-out" ist aus unserer Sicht so umständlich, dass man nicht von Freiwilligkeit reden kann. Man sollte die Patienten und die Ärzte fragen, ob sie teilnehmen wollen oder nicht. Dann können sie entscheiden, ob ihnen der Nutzen groß genug erscheint, und man muss sie nicht dazu zwingen.

Herbek: Wir meinen, dass die Widerspruchsregelung bürgerfreund-licher als ein "Opting-in" ist. Es gibt ein staatliches Angebot. Niemand muss es annehmen. Aber die Patienten werden sehen, dass es viele Vorteile hat.

Standard: Vielleicht möchte jemand auch erst teilnehmen, wenn er in Pension geht oder eine chronische Krankheit bekommt.

Herbek: Auch das ist möglich. Man kann bei der elektronischen Gesundheitsakte jederzeit ein- und aussteigen.

Standard: Elga schafft keine neuen Daten, sondern greift auf bestehende Befunde aus Spitälern und Ordinationen zu. Wie gut kann man diese vor unbefugten Zugriffen schützen?

Herbek: Alle Elga-Daten werden verschlüsselt und über gesicherte Netze übertragen. Zugreifen dürfen nur Ärzte, Apotheker, Spitäler und Pflegeeinrichtungen. Die Patienten müssen in der Regel mit der E-Card ihre Zustimmung zur Abfrage geben. Versicherungsärzte, Gutachter und Arbeitsmediziner haben keinen Zugang zu den Daten. Bei Missbrauch drohen Strafen bis zu 10.000 Euro.

Steinhart: Im Endeffekt können aber bis zu 120.000 Menschen hineinschauen. In Spitälern bleiben Bildschirme oft offen und für jedermann zugänglich. Wenn ein Promi im Krankenhaus ist, interessiert das manchmal sehr viele.

Herbek: Um den hausinternen Datenschutz müssen sich die Spitäler selbst kümmern, so wie das auch heute schon der Fall ist. Daten dürfen mit Elga nur im Zusammenhang mit einer konkreten Behandlung abgefragt werden. Jeder Zugriff wird automatisch protokolliert und kann vom Patienten nachverfolgt werden. Elga wird ein neues Sicherheitsdenken beim Datenschutz bringen.

Standard: Die Vernetzung der Daten ist der Ärztekammer ein besonderer Dorn im Auge. Was ist Ihre Alternative?

Steinhart: Es gibt mobile Lösungen, bei denen der Patient Herr über seine Daten bleibt. Das gibt es auch jetzt schon in Österreich auf privater Basis. Technisch kann das eine Chipkarte oder ein moderner USB-Stick sein. Der Vorteil ist, dass jeder selbst bestimmen kann, was darauf gespeichert wird und wer es abrufen darf. Auch Notfalldaten können im Ernstfall rasch abgerufen werden.

Herbek: Solche Datenträger haben sehr große Sicherheitsrisiken. Was passiert, wenn ich den Stick verliere oder die Daten irrtümlich gelöscht werden? Und wer kümmert sich um die Aktualisierung der Befunde? Diese mobilen Lösungen haben sich nicht bewährt. Es ist aber durchaus denkbar, irgendwann die verschlüsselten Elga-Daten auch auf dem Smartphone abrufen zu können.

Standard: Es gibt ganz besonders heikle Informationen wie etwa HIV-Infektionen, Psychiatrieaufenthalte oder Schwangerschaftsabbrüche. Wie kann ich diese vor neugierigen Blicken schützen?

Herbek: Dafür sieht das Gesetz besonders strikte Regelungen vor. Faktum ist, dass die Patienten immer selbst entscheiden können, wer welche Daten sehen darf. Sie können zum Beispiel dem Hausarzt den vollen Überblick gewähren und gewisse Teile für andere Ärzte sperren. Apotheker sehen prinzipiell nur die Liste der Medikamente.

Steinhart: Wir haben ernsthafte Bedenken. Es ist bereits in die sichersten Bereiche eingedrungen worden, sogar in das Pentagon.

Standard: Wann soll Elga starten, und was wird sie die Steuerzahler kosten?

Herbek: Die Gesundheitsakte soll kontinuierlich wachsen und bis 2017 in Vollbetrieb gehen. Bis dahin sind Kosten in der Höhe von 130 Millionen Euro veranschlagt. Damit sind alle Investitionen und laufenden Betriebskosten abgedeckt. Auch eine Ombudsstelle für Patienten ist schon enthalten. Auf der anderen Seite rechnen wir mit Kostendämpfungen durch den Wegfall von Medikamentenunverträglichkeiten und Doppelbefunden. Auch die Qualität der Versorgung wird durch Elga steigen.

Steinhart: Wir halten diese Kalkulation für völlig unrealistisch. Allein die Aufrüstung der EDV-Ausstattung in den Arztpraxen wird ein paar hundert Millionen Euro kosten. Insgesamt rechnen wir mit fast einer Milliarde Euro für die nächsten fünf Jahre. Auch in anderen Ländern wie Großbritannien und Deutschland sind die Budgets für ähnliche Projekte explodiert.

Herbek: Die E-Health-Projekte in diesen Ländern sind mit Elga nicht vergleichbar.

Standard: Beobachter meinen, die lauten Proteste der Ärztekammer seien vor allem Nebengeräusche der bevorstehenden Kammerwahl im Frühjahr. Der amtierende Präsident Walter Dorner wurde wegen seiner Zustimmung zu Elga aus den eigenen Reihen bereits zum Rücktritt aufgefordert.

Steinhart: Das versuchen uns manche zu unterstellen, aber das hat mit dem Wahlkampf rein gar nichts zu tun. Wir haben schon vor Jahren vor Elga gewarnt. (Andrea Fried, DER STANDARD; Printausgabe, 12.12.2011)