"Auch die Alten müssen einen Teil der Lasten mittragen", sagt Tomandl. "Es ist dann eine rein technische Frage, ob man es so macht, dass man die Pensionsanpassung einmal ausfallen lässt oder ob sie über mehrere Jahre weniger stark erfolgt."

Foto: Benedikt Narodoslawsky

Über die Pensionskommission, in der er selbst sitzt, sagt Tomandl: "Man hat sich völlig abgeputzt und ist dem gesetzlichen Auftrag, Vorschläge zu machen, nicht nachgekommen."

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"Man muss den Leuten unangenehme Wahrheiten sagen", fordert Tomandl. Mit seinem Buch will er dazu einen Beitrag leisten.

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"Heute können alle Frauen gehen, auch wenn sie Single oder verheiratet sind und keine Kinder haben. Man könnte eine Regelung für Frauen mit Doppelbelastung einführen, nur muss klar sein, wer die Beiträge dafür zahlt."

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"Wir haben ein Dauerrecht, das für alle Pensionisten einen Inflationsausgleich vorsieht. Ohne dieses zu ändern, hat man die im Gesetz vorgesehene volle Abgeltung der Inflation den Beziehern hoher Pensionen nicht gewährt", begründet Tomandl seine Klage gegen die Kürzung seiner Spitzenpension.

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Theodor Tomandl lädt zum Interview in seine Wohnung, er hat ein Buch geschrieben, "Wie sicher sind unsere Pensionen?" heißt es, er holt das Buch und legt es auf den Biedermeier-Tisch, wegen den Fotos. Im Buch geht es darum, dass unsere Pensionen nicht sicher sein werden, wenn die Politiker das Finanzierungsproblem nicht bald in die Hand nehmen. Das Schlimmste, sagt Tomandl, sei das Florianiprinzip in den Köpfen der Menschen, "Heiliger Sankt Florian! Verschon' mein Haus, zünd' andre an!"

Warum er will, dass Pensionisten für die Lösung der Pensionsmisere mehr beitragen sollen, aber er selbst den Staat verklagt hat, weil ihm seine 4000-Euro-Nettopension gekürzt wurde, erklärt der pensionierte Spitzenbeamte derStandard.at.

derStandard.at: Herr Tomandl, sind Sie ein gerechter Mensch?

Tomandl: Ich versuche, gerecht zu sein. Aber eine objektive Gerechtigkeit gibt es nicht.

derStandard.at: Wenn man Ihr Buch liest, kommt man zum Schluss, dass das Pensionssystem nicht gerecht ist, weil die Jungen derzeit draufzahlen. Hätten Sie als Pensionist eine Nulllohnrunde für Pensionisten befürwortet?

Tomandl: Die ältere Generation ist dafür verantwortlich, dass wir weniger Kinder haben und sich dadurch die Pensionsfinanzierung verschlechtert hat. Deshalb erscheint es gerecht, dass nicht nur die Jungen Opfer bringen müssen, sondern auch die Alten einen Teil der Lasten mittragen. Es ist dann eine rein technische Frage, ob man es so macht, dass man die Pensionsanpassung einmal ausfallen lässt oder ob sie über mehrere Jahre weniger stark erfolgt.

derStandard.at: Eine Nulllohnrunde haben die Pensionistenvertreter heuer wieder nicht zugelassen, SPÖ-Seniorenchef Karl Blecha hatte im Vorfeld sogar mit Demonstrationen gedroht.

Tomandl: Es ist ein völliger Systembruch geschehen, als die Regierung angefangen hat, mit den Pensionisten über die Pensionsanpassung zu verhandeln. Denn die Pensionsanpassung ist gesetzlich genau festgelegt. Darauf beruhen die Vorausberechnungen zur langfristigen Pensionssicherung.

Wenn jedes Jahr eingegriffen wird und die Grundlagen verändert werden, hat das Auswirkungen für die gesamte Zukunft. Unbedenklich wären nur Einmalzahlungen, wenn dies die aktuelle Wirtschaftslage erlaubt. Der Systembruch geschieht weiterhin, da wird einfach zusätzlich etwas herausverhandelt. Das ist ein Politikum, denn die Pensionisten sind eine politische Macht.

derStandard.at: Sie schreiben in Ihrem Buch, wenn sich die Politik weiterhin mit kurzfristigem Krisenmanagement begnüge, komme es 2020 zu einer dramatischen Situation, aber das stünde in keinem Vergleich dazu, was uns 2030 erwarte. Wollten Sie mit Ihrem Buch aufregen?

Tomandl: Ich wollte keinen Schock erzeugen, sondern im Gegenteil zeigen, dass wir das System handhaben können, dass dies aber eine politische Entscheidung ist. Ich habe es im Interesse meiner Kinder und Enkelkinder, also für junge Leute, geschrieben. Aber zu Lesungen kommen immer nur die Älteren. Die Jungen kommen nicht.

Ich wollte, dass sie sich mit der Pensionsproblematik auseinandersetzen und nicht für dumm verkauft werden. Noch heute glauben viele Menschen, dass ihr Pensionsbeitrag zur Finanzierung ihrer eigenen Pension dient. Dass damit jeweils nur die laufenden Pensionen finanziert werden, ist noch nicht wirklich durchgedrungen. Man muss den Leuten unangenehme Wahrheiten sagen. Es ist wichtig, dass die Menschen informiert werden und ihren politischen Einfluss geltend machen, damit etwas geschieht. Solang es so ist, dass der die nächsten Wahlen verliert, der eine Pensionsreform macht, ist es sehr schwer.

derStandard.at: Wie schwer es ist, hat die Vergangenheit gezeigt. Gegen die Pensionsreformen, die Sie mitgestaltet haben, gab es heftige Proteste.

Tomandl: Das Tragischste, das ich gesehen habe, war, als die Gewerkschaft Demonstrationen gegen die Pensionsreform gemacht hat. An die Spitze haben sie Jugendliche gestellt. Das war für mich wirklich schmerzlich, denn die ganzen Reformen haben wir für die Jungen gemacht, und nicht für die Alten.

derStandard.at: Wie hoch die Pensionen sind, hat auch mit der Pensionskommission zu tun, die einen gesetzlichen Auftrag hat: Sie muss darüber berichten, wie hoch die Kosten für die Pensionen in Zukunft sein werden und Vorschläge einbringen, wie man die Pensionen in Zukunft finanzieren kann. Sie sitzen selbst in der Kommission. Wie bewerten Sie ihre Arbeit?

Tomandl: Die Kommission hat ihre Aufgaben nicht erfüllt: Sie hat nicht einmal eine Vorausschau beschlossen. Da man keinen Beschluss gefasst hat, hat man auch nicht festgestellt, wie hoch in Zukunft der Bedarf an Geld ist und hat keine Vorschläge gemacht. Man hat nur gesagt, das faktische Pensionsalter soll hinaufgesetzt werden, und hat gemeint, die Sozialpartner sollen Vorschläge zur Anhebung des Pensionsantrittsalters machen.

derStandard.at: Man hat sich also abgeputzt?

Tomandl: Man hat sich völlig abgeputzt und ist dem gesetzlichen Auftrag, Vorschläge zu machen, nicht nachgekommen. Der Hintergrund ist der: Es gibt 33 Mitglieder in der Kommission, aber nur sieben sind persönlich unabhängig. Alle anderen sind Angestellte oder Funktionäre von Interessensgruppen und Parteien. In der Kommission heißt es dann auch nicht: "Ich vertrete diesen Standpunkt", sondern: "Die Arbeiterkammer schlägt xy vor, dass...", "Die Wirtschaftskammer ist der Meinung, dass...". Die unabhängigen Experten hätten einen Beschluss gefasst, aber wir haben keine Mehrheit bekommen und sind abgeblockt worden.

derStandard.at: Sie fordern in Ihrem Buch, die Pensionskommission zu entpolitisieren, damit diese gegenseitige Blockade nicht mehr passiert.

Tomandl: Wenn man will, dass das System funktioniert, müssen unabhängige Personen dafür zuständig sein. Und sie sollen der Regierung mehrere Alternativen vorschlagen. Diese kann die Regierung dann mit den Interessenverbänden beraten. Letztlich muss dann die Regierung eine Entscheidung treffen. Aber die Entscheidungsgrundlagen, die man ihr gibt, sollen nicht schon Interessen-gefärbt sein. Und auch die Mitgliederzahl von 33 ist unsinnig. Fünf würden ausreichen.

derStandard.at: Wenn Sie das Pensionssystem niederreißen und völlig neu bauen könnten: Wie würde es aussehen?

Tomandl: Ich würde ein Drei-Stufen-Modell einführen. Die erste Stufe wäre eine Grundversorgung für alle – und zwar im Umlagesystem. Das heißt, kein einziger Euro, den ich einzahle, wird für mich selber verwendet, sondern jeder Euro kommt der aktuellen Pensionisten-Generation zugute. Es werden keine Kapitalreserven gebildet.

derStandard.at: Also, das Geld kommt über Steuern oder Beiträge herein und wird sofort für Pensionen aufgebraucht. Derzeit stützt sich unser Pensionssytem auf diese Säule.

Tomandl: Der Vorteil des Umlageverfahrens liegt in der Sicherung bei Inflation. Bei einem kapitalgedeckten Verfahren kann der Kapitalmarkt total zusammenbrechen und es ist nichts mehr da. Beim Umlageverfahren kommt es im Gegensatz dazu zu keinem Zusammenbruch.

Historisch gesehen hat sich das Umlageverfahren auch dadurch ausgezeichnet, dass man neue Personengruppen in das Pensionssystem einfügen und am ersten Tag schon Pensionen für Personen auszahlen kann, die niemals in das System eingezahlt haben. Das ist zum Beispiel bei Selbstständigen und Bauern geschehen.

derStandard.at: Was wäre die zweite Säule?

Tomandl: Die zweite Säule ist berufsbezogen, sie wird als Betriebspension aufgebaut. Auch das wäre eine Form der Pflichtpension, nur könnte man sich aussuchen, welche man haben will. Die zweite Säule sollte kapitalgedeckt sein, also über eine Versicherung oder einen Fonds laufen. Dort wird angespart und die Beiträge werden für den verwendet, der versichert ist. Aus dem Kapital, das aufgebaut wird, wird später die Pension finanziert. Im kapitalgedeckten Verfahren spare ich daher für mich selbst, allerdings trage ich die Risiken und habe die Chancen des Kapitalmarktes.

derStandard.at: Und wie sieht die dritte Stufe aus?

Tomandl: Die dritte Säule ist eine private. Sie ist freiwillig und zum Teil vom Staat gefördert.

derStandard.at: Warum bauen die Politiker nicht so ein System?

Tomandl: Ein Wechsel in ein Kapital-gedecktes Verfahren ist undenkbar. Wir haben über zwei Millionen Pensionisten, die wir noch über Jahrzehnte erhalten müssen. Die Jungen müssten dann noch mehr zahlen, um zusätzlich einen Kapitalstock aufzubauen. Das kann man ihnen nicht zumuten.

derStandard.at: Am Pensionssystem wird weiter gebastelt. Es wird gerade diskutiert, ob es gerechtfertigt ist, dass Frauen früher in Pension gehen dürfen. Sollen sie früher gehen dürfen?

Tomandl: Nein, dafür gibt es keine sachliche Erklärung.

derStandard.at: Brigitte Ruprecht, die Chefin der ÖGB-Frauen, hat eine. Sie sagt, dass Frauen im Gegensatz zu Männern oft eine Doppelbelastung haben.

Tomandl: Dann müsste die Regelung so sein, dass Frauen mit Doppelbelastung früher gehen können. Aber heute können alle Frauen gehen, auch wenn sie Single oder verheiratet sind und keine Kinder haben. Man könnte eine Regelung für Frauen mit Doppelbelastung einführen, nur muss klar sein, wer die Beiträge dafür zahlt.

derStandard.at: Ein zweites Argument der Gewerkschafterinnen ist, dass Frauen noch immer weniger als Männer verdienen.

Tomandl: Gott sei Dank gibt es auch gut verdienende Frauen. Wenn wir eine Sonderregelung für Personen machen, die wenig verdienen, dann wäre das stimmig. Das würde dann aber auch für schlecht verdienende Männer gelten müssen. Aber man hat bei den Frauen etwas gemacht, was man auch bei den Eisenbahnern gemacht hat: Um Eisenbahner mit besonderer Unfallgefahr – zum Beispiel Kuppler – zu schützen, hat man ein frühes Pensionsalter eingeführt. Aber bekommen haben es dann alle, die bei der Bahn angestellt waren, auch die Leute in der Verwaltung.

derStandard.at: Sie haben gesagt, Sie versuchen gerecht zu sein und jeder müsse einen Beitrag leisten. Warum haben Sie selbst aber vor drei Jahren den Staat verklagt, als Ihre Spitzenpension gekürzt wurde?

Tomandl: Ich habe die Beschwerde im Einvernehmen mit der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes eingebracht. Hätte ich Erfolg gehabt, hätte dies für alle Betroffenen gegolten. Wir haben ein Dauerrecht, das für alle Pensionisten einen Inflationsausgleich vorsieht. Ohne dieses zu ändern, hat man die im Gesetz vorgesehene volle Abgeltung der Inflation den Beziehern hoher Pensionen nicht gewährt.

Wenn das in finanziellen Notsituationen geschieht, in denen alle Opfer bringen müssen, ist das einzusehen. Das war 2003 der Fall. In den Folgejahren war es aber ganz anders, da gab es keine budgetären Notwendigkeiten. Im Gegenteil: Man hat noch zusätzliche Mittel eingesetzt, um niedrige Pensionen aufzuwerten. Es geht also um ein verfassungsrechtliches Problem, um eine Art Enteignung ohne eine ausreichende Begründung.

derStandard.at: Der Staat hat damals die Pensionen der Spitzenbeamten gekürzt. Sie bekommen 4000 Euro netto – das verdienen viele Menschen ihr ganzes Leben lang nicht.

Tomandl: Natürlich. Aber das entsprach meinem Aktiveinkommen als Universitätsprofessor. Zudem bin ich mit 68 Jahren und insgesamt 49 Jahren aktiver Berufstätigkeit in Pension gegangen. Da hätte ich auch im ASVG-Recht eine höhere Pension. Ich bin als Abteilungsleiter der Bundeswirtschaftskammer an die Universität gegangen, weil mich die wissenschaftliche Arbeit mehr interessiert hat und habe dabei eine Gehaltseinbuße und den Verlust einer hohen Pensionszusage in Kauf genommen. Ich bin dabei allerdings davon ausgegangen, dass ich zwar etwas weniger verdiene, aber trotzdem eine entsprechende Altersversicherung haben werde. Darauf habe ich mein Leben eingestellt. (Marie-Theres Egyed, Benedikt Narodoslawsky, derStandard, 2.1.2012)