Justizministerin Beatrix Karl wirbt um Whistleblower.

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Standard: Das heurige Jahr stand unter dem Motto "Die Justiz muss sparen". Was gibt es Neues 2012?

Karl: Es wird eine ganze Reihe von Neuerungen geben: Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption, wie das Whistleblowing-Modell. Es wird ein Familienrechtspaket geben mit gemeinsamer Obsorge, Besuchsrecht und Namensrecht. Dann wird eine Erbrechtsreform gestartet, wir haben ja derzeit die Situation, dass wegen mehrerer Pflichtteilsberechtigten häufig Unternehmen zerschlagen werden müssen. Künftig gibt es Stundungsmöglichkeiten. GmbH-Gründungen werden erleichtert.

Standard: Was kann ein Whistleblower, was ein anonymer Anzeigenschreiber nicht kann?

Karl: Natürlich wird es auch weiter anonyme Anzeigen geben, aber der Vorteil für Whistleblower ist der direkte Kontakt und die Kommunikation mit der ermittelnden Behörde. Letztere kann so auch nachfragen. Es gibt ein Modell in Niedersachsen, das gut funktioniert. Dort heißt es auch, dass anonyme Hinweisgeber durch die Kommunikation mehr Vertrauen zur Behörde fassen und später in Korruptionsprozessen sogar manchmal als Zeugen aussagen.

Standard: Es wird also eine Webseite geben, auf der man ohne Angst vor Zurückverfolgung Missstände aufzeigen kann?

Karl: Ja, es geht ja nicht darum, den Whistleblower auszuforschen, sondern um seine Info.

Standard: Richter und Staatsanwälte klagen, dass die Grenze der Belastbarkeit überschritten ist.

Karl: In Wien gibt es tatsächlich eine sehr hohe Auslastung. Die Mär vom Richter, der am Nachmittag auf dem Tennisplatz anzutreffen ist, stimmt schon lange nicht mehr. Teilweise haben wir aber auch freie Planstellen, die wir nicht besetzen können. In der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gibt es 21 Planstellen, von denen momentan aber nur 15 besetzt sind, weil es schwer ist, qualifizierte Mitarbeiter hinzubekommen. Bei der Staatsanwaltschaft Wien gibt es eine hohe Fluktuation und eher die Tendenz, zum Richterberuf zu wechseln. Das ist aber an anderen Staatsanwaltschaften oft anders. In Linz ist es genau umgekehrt.

Standard: Auch Familiengerichte sind nicht unterbeschäftigt.

Karl: Wir starten im Jänner die Familiengerichtshilfe, um in heiklen Verfahren wie Besuchsrechts- oder Obsorgestreitigkeiten effizienter zu reagieren. Familienrichterinnen werden von Sozialpädagogen, Sozialarbeitern und Psychologen unterstützt. Gespräche mit betroffenen Parteien sollen deeskalierend wirken und rascher zu Lösungen führen. Wenn das nicht möglich ist, werden die zu Hilfe gezogenen Fachleute Expertisen fürs Gericht erstellen. Damit können zusätzliche Gutachten reduziert werden. Die Familiengerichtshilfe startet als Modellprojekt am Bezirksgericht Innere Stadt in Wien sowie in Amstetten, Leoben und Innsbruck.

Standard: Ein großer Brocken bei den Ausgaben sind die Justizanstalten. Ist eine Privatisierung von Gefängnissen denkbar?

Karl: Nein, das ist im Moment nicht angedacht. In Justizanstalten arbeiten wir an einer effizienteren Gesundheitsversorgung. Dazu gehört eine vereinheitlichte Verschreibung von Medikamenten, die von einem Chefarzt kontrolliert wird. Beispielgebend ist die Richtlinie des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungen über eine ökonomische Verschreibweise.

Standard: Ab Jänner sollen mehr ausländische Straftäter aus der EU ihre Haftstrafe in der Heimat absitzen. Wer muss zustimmen?

Karl: Das ist die Umsetzung eines EU-Rahmenbeschlusses für eine bessere Resozialisierung. Eine Extra-Zustimmung des Vollstreckungsstaates ist nicht mehr notwendig. Auch die Zustimmung der Betroffenen muss nicht mehr eingeholt werden, wenn sie im Vollstreckungsstaat einen Wohnsitz haben oder sie nach Verbüßung der Haft dorthin abgeschoben werden würden. Das gilt natürlich auch für Österreicher, die im EU-Ausland verurteilt werden. Die Haftkosten muss jeweils der Vollstreckungsstaat zahlen.

Standard: Wie läuft die Anwendung der elektronischen Fußfessel?

Karl: Das bewährt sich gut. Wieder geht es um bessere Resozialisierung. Voraussetzung ist ja eine Erwerbstätigkeit und die Zustimmung aller Personen, die im gleichen Haus leben. Bisher haben 455 Personen die Alternative zur Zelle absolviert. In 22 Fällen wurde die Maßnahme abgebrochen, meist wegen Alkoholproblemen.

Standard: Die Hoffnung auf U-Haft-Entlastung blieb aber unerfüllt.

Karl: Bisher betraf es fünf U-Häftlinge. Aber es ist schwieriger, weil Haftgründe wie Flucht- oder Verdunkelungsgefahr berücksichtigt werden müssen.

Standard: Die SPÖ fordert in der Causa Grasser U-Haft für den ehemaligen Finanzminister. Ein potenzieller Fall für eine E-Fußfessel?

Karl: U-Haft wird nicht auf politischen Zuruf verhängt. Nach derzeit vorliegenden Erkenntnissen gibt es keinen Grund dafür.

Standard: In clamorosen Fällen haben Justizminister stets gerne Weisungen gegeben. Ihre Vorgängerin Claudia Bandion-Ortner sprach einmal von 200 Weisungen und Entscheidungen zu Vorhabensberichten pro Jahr. Wie viele haben Sie bisher erteilt?

Karl: 200 kommt mir viel vor. Grundsätzlich wird das Weisungsrecht oft völlig falsch dargestellt, es geht nie um politische Weisungen, sondern um fachliche; ein wichtiges Instrument für die einheitliche Rechtsanwendung. Und alles ist transparent. Jede Weisung ist schriftlich zu erteilen, jährlich muss dem Parlament berichtet werden. Den jüngsten Bericht für 2011 hab ich erst kürzlich vorgelegt, und da ist keine Weisung von mir drinnen.(Michael Simoner, DER STANDARD, Printausgabe, 30.12.2011)