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Nimmt die Walzerarbeit sehr ernst - Mariss Jansons.

Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Wien - "Jedes Konzert ist wichtig, jedes ist schwierig", gesteht Mariss Jansons. "Ich bereite mich immer gründlich vor, und natürlich ist auch die Selbstanalyse danach wichtig. Nicht sofort nach dem Konzert - da ist man noch zu sehr in der Aufregung. Über die Qualität eines Konzerts spricht man besser erst, nachdem man sich wieder beruhigt hat."

Mag jeglicher dirigentische Umgang mit Musik aufreibend und heikel sein, so muss Jansons bezüglich des Neujahrskonzerts doch einräumen, dass "das Adrenalin am 1. Jänner schon in der Früh auf ein ungewohntes Maß" ansteigt. "Ja, doch, da ist mehr als sonst. Ich bin zwar vor jedem Konzert nervös. Hier kommt aber noch ein bisschen was dazu." Weshalb zur Vorbereitung auch gehört, Kräfte einzuteilen, sich zu schonen und den 31. Dezember "ruhig zu verbringen. Um Mitternacht nehme ich einen Schluck Champagner - dann allerdings gehe ich sofort ins Bett."

Zwei Orchester

Jansons, 1943 in Riga geboren, kennt die Situation durch ein Ersterlebnis aus 2006. Damals absolvierte er sein erstes Neujahrskonzert, und man konnte anhand des walzerseligen, substanzvollen Ergebnisses hören, dass der Lette, der Chef sowohl des Amsterdamer Concertgebouw Orchesters wie auch des Orchesters des Bayerischen Rundfunks ist ("Ich habe immer zwei Orchester geleitet"), mit der Situation sehr gut umzugehen verstand.

Er weiß natürlich auch, dass nach dem Konzert die Arbeit, im Studio, weitergeht - schließlich ist das entsprechende CD-Dokument (diesmal erscheint es bei Sony) ehebaldigst auf den Markt zu bringen. "Für die CD höre ich alles durch, da bin ich mit dem Tonmeister allein, die Philharmoniker sind bei dieser Arbeit nicht mehr dabei. Wenn die CD dann fertig ist, höre ich sie nicht mehr. Auch mein erstes Neujahrskonzert habe ich mir auf CD nicht mehr angehört."

Womit das genau zu tun hat, ist schwer zu sagen. Möglicherweise gibt es jedoch auch einen Zusammenhang mit jener Diskrepanz zwischen dem, was Jansons live erarbeitet wie auch hört, und dem, was er dann bei der Aufnahme wahrnimmt. "Ich habe doch ziemlich viele Erfahrungen mit Aufnahmen. Ich habe bemerkt, dass der Klang, den sie auf dem Mastertape hören, nicht jener ist, den sie dann auf der CD hören. Es ist etwas ganz anderes, und das ist für mich noch immer ein absolutes Mirakel. Das erlebe ich sehr oft."

Wenn das Tempo stimmt

Und da wäre noch mehr an zu Bedenkendem: "Wenn Sie beim Dirigieren spüren, dass das Tempo sehr gut ist, kann es Ihnen passieren, dass es auf der Aufnahme zu langsam klingt. Auch können Sie im Konzert ein fantastisches Pianissimo produzieren, bei der Aufnahme jedoch hört man es nicht. Hier hilft natürlich auch die Erfahrung." Zunächst muss jedenfalls ohnedies das Konzert glücken, und dabei geht es für Jansons auch um die motivatorischen Fähigkeiten eines Dirigenten:

"Natürlich inspiriert einen das Orchester. Aber wenn Sie als Dirigent rauskommen und warten, dass zunächst etwas von den Kollegen kommt, ist das nicht der richtige Weg. Sie müssen etwas anbieten, um die Fantasie der Musiker zu beflügeln. Dann bekommen Sie eine Antwort, sie reagieren ihrerseits - das ist ein Prozess des Gebens und Nehmens. Aber der Dirigent muss schon für Inspiration sorgen, auch bei diesem Programm." Alles am Neujahrsprogramm sei nämlich heikel, etwa auch, "wie man bei so vielen Werken von einer Stimmung zur nächsten kommt. Und je unkomplizierter ein Stück technisch ist, desto schwieriger kann es in Wirklichkeit musikalisch sein. Alles ist schwierig!"

Selbst die Programmzusammenstellung vorab: "Man muss so viel bedenken. Sie können zwar eine Dramaturgie erstellen, aber nicht für das gesamte Konzert, vielmehr nur für gewisse Sektionen. Es müssen ja Werke vorkommen, die noch nie gespielt wurden, aber auch solche, die selten im Repertoire vorkommen. Natürlich müssen auch die populären Stücke sein - das wird erwartet, sonst sind manche traurig." Er und die Wiener Philharmoniker haben also recht tüchtig zu diskutieren gehabt. Wobei: "Dieses Mal war die Zusammenstellung des Programms leichter als beim ersten Mal. Ich weiß nicht, warum. Wir haben uns jedenfalls gut verstanden."

Übrigens ist Mariss Jansons gerade in einer Phase, da er versucht, etwas leiser zu treten. Dieser Tage wird er das nicht so empfinden und vermitteln können. Aber, ja, er habe die Dirigate trotz des Doppelchefpostens reduziert, er möchte mehr lesen, auch Proben von Kollegen besuchen. Und bei womöglich aufkeimender Unruhe an jenen Rat denken, den ihm sein dirigierender Vater, Arvids Jansons, einst gegeben hat: "Mariss - besser ein gutes Konzert weniger als ein schlechtes mehr! "  (Ljubisa Tosic  / DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2011/1.1.2012)