Aus derselben Fossilienschicht wie der Hominidenzahn stammt dieser Stoßzahn eines frühen Elefanten. Er zeigt, dass hier einst eine Savannenlandschaft existierte.

Foto: Prof. Madelaine Böhme

Tübingen - Vor sieben Millionen Jahren - lange vor dem Australopithecus - hatten die fernen Vorfahren des Menschen Afrika noch nicht verlassen. Dafür lebten zu diesem überraschend späten Zeitpunkt noch weitläufigere Verwandte in Europa, wie die Universität Tübingen berichtet - nämlich Menschenaffen. Das belegt ein Vor-Backenzahn eines Hominiden (dieser Ausdruck umfasst sowohl Menschen als auch Menschenaffen), den Wissenschafter nahe der bulgarischen Stadt Chirpan gefunden haben.

Die Letzten der Ersten

Unter Leitung von Nikolai Spassov vom Nationalmuseum für Naturgeschichte in Sofia war der Backenzahn bei Grabungen in Flussablagerungen nahe Chirpan entdeckt worden. Dass er von einem Hominiden stammt, lässt sich unter anderem an seiner dicken Zahnschmelz-Schicht erkennen. Der Zahn ist stark abgenutzt und gehörte vermutlich zu einem älteren Individuum. Mit der Datierung auf sieben Millionen Jahre sind die Forscher damit auf den jüngsten Menschenaffen auf dem europäischen Festland gestoßen, ihre Ergebnisse veröffentlichten sie kürzlich im "Journal of Human Evolution".

Auf einer Insel, die zur damaligen Zeit das heutige Sardinien, Korsika und die Toskana umfasste, hielt sich mit dem Oropithecus ein Menschenaffe vergleichbar lange wie die nun entdeckte Art. Als jüngster Menschenaffe auf dem europäischen Festland hingegen galt bisher der 9,2 Millionen Jahre alte Ouranopithecus macedoniensis aus Griechenland. Nach der gängigen These starben die Menschenaffen auf dem europäischen Kontinent vor etwa neun Millionen Jahren aus: Damals veränderten sich in Europa die Ökosysteme, savannenartige Landschaften mit saisonalem Klima entstanden. Menschenaffen als typische Fruchtfresser konnten, so glaubte man, durch ein saisonales Defizit an Früchten nicht überleben. Doch offenbar konnten sie sich für einige weitere Millionen Jahre erfolgreich an die neuen Gegebenheiten anpassen.

Neue Herausforderungen

Tatsächlich fand das Team in der Fundschicht des Zahnes auch Fossilien einer typischen Savannen-Fauna, darunter mehrere Elefantenarten, Giraffen, Antilopen, Nashörner und Säbelzahn-Katzen. Der Fund des Backenzahns legt deshalb nahe, dass die Menschenaffen Europas sehr wohl in der Lage waren, sich an das wechselnde Klima einer Savanne anzupassen. Darauf deutet auch die rasterelektronenmikroskopische Untersuchung der Kaufacetten des Zahnes hin. Diese belegen, dass der bulgarische Menschenaffe härtere und verschleißintensivere Nahrung wie Gräser, Samen und Nüsse zu sich nahm. Darin ähnelt seine Ernährungsweise jener der afrikanischen Vor-Menschen vor ca. vier Millionen Jahren, Australopithecinen wie der berühmten "Lucy".

Im Juni 2011 hatten Paläontologen des Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoecology an der Universität Tübingen Überreste des ältesten Menschenaffen Europas präsentiert: Einen 17 Millionen Jahre alten Backenzahn, der im schwäbischen Alpenvorland ausgegraben worden war. Ursprünglich waren Menschenaffen also unter einem tropisch-subtropischen Feuchtklima von Afrika nach Eurasien ausgewandert. Zusammen belegen die beiden Zahnfunde somit eine mindestens zehn Millionen Jahre währende Besiedlung Europas durch die erste Hominiden-Welle und deren evolutionäre Anpassung an sich drastisch verändernde Umweltbedingungen. Aus späterer Zeit sind bislang keine Funde bekannt - erst vor 1,8 bis 1,2 Millionen Jahren kehrten mit Nachfahren afrikanischer Auswanderer aus der Gattung Homo Verwandte nach Europa zurück. (red)