Oslo - Vor allem Anders Behring Breivik, der sich selbst für schuldfähig hält, dürfte sich über den gerichtlichen Entscheid am Freitag gefreut haben. Demnach soll ein neues zweiköpfiges Psychiaterteam dem bisherigen Gutachten der Fachärzte Synne Sörheim und Torgeir Husby über den mutmaßlichen Massenmörder von Utöya ein weiteres hinzufügen - ein einmaliger Vorgang in der Rechtsgeschichte Norwegens.

Wie berichtet, soll Breivik am 22. Juli 2011 nach einem Bombenanschlag auf das Regierungsviertel in Oslo mit acht Toten auf der Insel Utöya 69 junge Menschen getötet haben. Der Doppelanschlag war so präzise und militärisch geplant ausgeführt worden, dass niemand an Breiviks Schuldfähigkeit zweifelte, bis seinen Verteidiger, der schon kurz nach der Tat sagte, sein Mandant sei eindeutig psychisch sehr krank.

Laut dem im November vorgelegten Gutachten leidet Breivik an paranoider Schizophrenie. Der 32-Jährige habe Wahnvorstellungen und sei nicht zurechnungsfähig - könne daher nicht ins Gefängnis, sondern müsse in eine Psychiatrie. Zudem soll Breivik laut eigener Aussage wochenlang Anabolika und andere Drogen genommen haben, "um hart genug" für seine Bluttat sein zu können.

Das Schuldunfähigkeits-Gutachten wurde in der Folge auch von einem obligatorischen, medizinischen Kontrollgremium anerkannt. Viele der Opfer akzeptierten das Gutachten, auch weil Breivik in der Psychiatrie tatsächlich lebenslang sitzen könnte. Im norwegischen Strafvollzug hingegen könnte er bei guter Führung mit rund 50 wieder freikommen.

Unangenehm für Polizei

Doch als eine Psychiaterin und eine Psychologin, die sich anfangs im Gefängnis um Breivik kümmerten, kurz vor Weihnachten das Gutachten als falsch bezeichneten, weil es so wirke, als habe Breivik rational aus einer rechtsextremen Ideologie und nicht aus einem Wahn heraus gehandelt, mehrte sich auch bei den Anwälten Überlebender und Hinterbliebener wieder der Protest.

Anwälte sagten, die Regierung hoffe wohl, mit der Schuldunfähigkeit einen unangenehmen Prozess zu vermeiden, der auch das Versagen der Polizei und Politik ans Licht führen würde. Breivik selbst hat erklärt, sich einem zweiten Gutachten zu verweigern. (André Anwar/DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2012)