Manchmal, sagt Michelle Obama, erkenne sie sich einfach nicht wieder. Was sie meint, sind Karikaturen wie einst die im New Yorker, die sie als Black-Panther-Rebellin mit Flinte und Patronengürtel zeichnen. Seit ihr Mann an den Start des Rennens ums Weiße Haus ging, hafte ihr dieses merkwürdige Etikett an, "dass ich so eine zornige schwarze Frau bin". "Dabei versuche ich einfach nur ich selbst zu sein", fügt sie hinzu, als sie mit Gayle King, einer Moderatorin des TV-Senders CBS, über die Höhen und Tiefen des Lebens in der Machtzentrale spricht.

Seit ein paar Tagen sucht sie die Medienoffensive, die First Lady. Politisch enorm engagiert ist sie, alles andere als eine immerzu lächelnde Ergänzung ihres Mannes. Es war von vornherein klar, dass sich der konservativere Teil Amerikas reiben würde an der selbstbewussten Frau, der ersten Afroamerikanerin in der Beletage des Weißen Hauses. Neuerdings aber sind Reibungen anderer Art Thema in Washington. Reibungen zwischen dem Westflügel, wo die Mitarbeiter des Präsidenten sitzen, und dem Ostflügel der First Lady.

Die New-York-Times-Reporterin Jodi Kantor hat ein Buch darüber geschrieben. Stellenweise liest es sich wie eine Chronologie von Intrigen und Missverständnissen. Doch vor allem skizziert es eine Michelle Obama, die ihre intime Nähe zum Chef nutzt, um ihre Ansichten gegen dessen Stab durchzusetzen - aufgehängt an einem Schlüsselerlebnis: Jänner 2010. In Massachusetts hat der Republikaner Scott Brown das Mandat des verstorbenen Ted Kennedy gewonnen. Mit dem Paukenschlag verliert Obamas Partei jene 60-Sitze-Mehrheit im Senat, mit der sie die umstrittene Gesundheitsreform rasch durchsetzen möchte. Die First Lady nimmt es als Zeichen von Inkompetenz, als neuen Beweis dafür, dass sich ihr Mann schon viel zu lange auf eine kleine Gruppe von engstirnigen, kurzsichtigen und schlecht organisierten Beratern verlässt. Sie schreitet ein.

Obamas Wahlstratege David Axelrod erklärt das in Kantors Buch so: "Sie hat viel in Barack investiert, sie hat ein Gefühl dafür, wie hart er arbeitet. Sie will sichergehen, dass auch die anderen einen guten Job machen." Mittelmaß, schildert ein anderer Insider, dulde Michelle nicht. Stoße sie auf Schlendrian oder Bequemlichkeit, könne sie richtig ungemütlich werden. "Sie denkt, jeder lauert nur darauf, dass eine schwarze Frau einen Fehler macht." (Frank Herrmann aus Washington/ DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2012)