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Harte Arbeit, reicher Lohn

Foto: Sönke Simonsen / Der Steinkern

Obwohl die Jurassic Coast seit einiger Zeit zum Weltnaturerbe der UNESCO zählt, darf nach wie vor nach Fossilien gesucht werden

Foto: Sönke Simonsen / Der Steinkern

Die achte Ausgabe des Magazins "Der Steinkern" ist soeben erschienen und kann über das Bestellformular der Webseite angefordert werden.

Foto: steinkern.de

Die Jurassic Coast im Südwesten Englands ist ein fundträchtiges Gebiet für Fossiliensammler. Bereits im 19. Jahrhundert wurde die Region durch Funde von Wirbeltierfossilien, unter anderem von Meeressauriern, überregional für ihren Reichtum an Fossilien bekannt. Die in Lyme Regis geborene legendäre Paläontologin Mary Anning (1799-1847) fand an der Küste das erste vollständige Ichthyosaurierskelett. Ihre Geschichte lieferte erst jüngst den Stoff für Tracy Chevaliers Roman "Zwei bemerkenswerte Frauen", der 2010 erschien. Obwohl inzwischen etliche Generationen von Fossiliensammlern die Strände in der Umgebung der im Südwesten Englands gelegenen Küstenstädte Lyme Regis und Charmouth besammelt haben, sind noch immer Funde möglich. Die Küste Dorsets gehört zu den am schnellsten erodierenden Küsten Europas. Aus den unzähligen Tonnen jährlich herabfallenden Gesteinsmaterials wäscht das Meer immer wieder neue Fossilien heraus.

Fossilien sammeln im Weltnaturerbe?

Obwohl die Jurassic Coast seit einiger Zeit zum Weltnaturerbe der UNESCO zählt, darf nach wie vor nach Fossilien gesucht werden. Die Erlaubnis beschränkt sich jedoch auf die Suche im herabgefallenen Blockwerk. Im Kliff selbst darf nicht gesammelt oder gegraben werden, um den Abtrag der Küste nicht zu beschleunigen und sich selbst nicht zu gefährden. Eine sinnvolle Regelung, die es Touristen und Sammlern weiterhin ermöglicht, Fossilien in einem umweltverträglichen Ausmaß zu finden. Was nicht am Strand aufgesammelt wird, fällt im Laufe der Zeit der Abrollung durch das Meer zum Opfer.

Ablagerungen aus der Zeit des Unteren Jura

Die bei Lyme Regis und Charmouth in den bis fast 200 Meter hohen Kliffs aufgeschlossenen Schichten stammen aus der Zeit des Unteren Jura und wurden vor rund 175 bis 200 Millionen Jahren abgelagert. Jeder aufmerksame Besucher der Küste hat die Chance selbst Fossilien zu finden. Am häufigsten sind Ammoniten und Belemniten. Seltener sind z.B. Muscheln, Stachelhäuter wie Seelilien, Seeigel und Schlangensterne und Wirbeltierreste. Am Strand werden Führungen angeboten und in Charmouth gibt es sogar einen Hammer-Verleih, bei dem man sich für die Suche am Kliff mit Werkzeug ausstatten kann. Dieses Angebot richtet sich an Touristen, die eher sporadisch an Fossilien interessiert sind. 

Der Strand wird aber auch von professionellen Fossilienjägern aus der Gegend begangen, die in den Küstenorten kleine Handelsgeschäfte betreiben. Das hier angebotene Material hat eine Qualität, wie man sie nur mit außerordentlichem Glück selbst finden kann.
Die professionellen Sammler haben das geschultere Auge, die genauere Schichtkenntnis und schwereres Werkzeug sowie bessere Möglichkeiten die gefundenen Fossilien zu Hause mit geeigneten technischen Geräten wie Druckluftstichel und Sandstrahlgerät freizupräparieren.

Unter den Touristen gibt es auch eine Gruppe von Fossiliensammlern, die Aufschlüsse in ganz Europa bereisen. Die Grafschaft Dorset mit ihrer Jurassic Coast ist einer der "Wallfahrtsorte der Paläontologie" und wird daher früher oder später Gegenstand einer Exkursion vieler Sammler.

Exkursion an die Jurassic Coast

Ich selbst besuchte die Dorset-Küste erstmals im Frühjahr 2011. Ich hatte eine Woche Zeit, um die Kliff-Fundstellen Black Ven, Stonebarrow Hill, Golden Cap, Doghouse Hill, Down Cliff und Thorncombe Beacon zu erkunden. Mit Pickhammer, Fäustel, Meißeln sowie ausreichend Verpackungsmaterial und Wegzehrung im Rucksack ging es auf die Suche. Dabei ist man immer abhängig von den Gezeiten: Die Suche ist nur bei ablaufendem Wasser möglich.
Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit stellten sich bei mir schnell die ersten Funde ein. Mein Augenmerk galt vor allem den formenreichen Ammoniten. Der Rucksack füllte sich bei jedem Strandgang im Laufe des Tages mit Funden, so dass der Rückweg mitunter beschwerlich wurde.

Auf meiner gedanklichen Wunschliste stand zu Beginn der Exkursion der Fund eines Schlangensterns. Schlangensterne gehören in vollständiger Erhaltung zu den selteneren Fossilien, da sie nach dem Verwesen der Weichteile rasch in ihre einzelnen Skelettelemente zerfallen. Nur wenige Fundstellen erlauben daher die vollständige Überlieferung dieser Tiere - hierzu zählt ein an der Dorsetküste zu findender Sandstein aus dem Unteren Jura.

Schlangensternen auf der Spur

Durch die Vorbereitung der Exkursion mit Fachliteratur und durch Tipps befreundeter Fossiliensammler wusste ich ungefähr, wo ich auf die Suche gehen musste. Ich sollte auf die Oberflächen großer herabgefallener Blöcke eines Sandsteins aus dem Oberen Pliensbachium (einer Zeitstufe des Unteren Jura) achten. Im Versturzmaterial des Thorncombe Beacon waren einige dieser Blöcke zu finden. Hier fanden sich bereits runde und viereckige Meißel- bzw. Sägespuren zuvorgekommener Sammler. Dort mussten Schlangensterne herausgesägt worden sein. Hier war ich also richtig - nur zu spät! Oder doch nicht?
Ich musterte einen vor noch nicht allzu langer Zeit herabgefallenen Block, auf dem ein Schlangenstern ausgesägt worden war. Am Rand, verdeckt durch das Geäst eines herabgestürzten Baums, entdeckte ich die Körperscheibe eines Schlangensterns und einen abgerissenen Arm desselben - wenigstens etwas!

Beim Versuch den Schlangenstern "mal eben" aus dem Block herauszumeißeln, konnte ich mich mit der Zähigkeit des Sandsteins vertraut machen. Es dauerte über eine halbe Stunde, bis ich das Fossil samt einem transportablen Brocken befreit hatte.

Nach der Exkursion, kaum zu Hause angekommen, war das Handstück mit dem Schlangensternrest das erste ausgepackte Fossil. Meine Neugierde, zu überprüfen, ob sich noch weitere Arme im Stein befinden, war groß. Die Präparation vieler anderer Fossilien zog sich über mehrere Monate hin, doch der Stachelhäuter kam sofort an die Reihe.

Mit meinem druckluftbetriebenen Feinstrahlgerät legte ich das Fossil unter Verwendung von Eisenpulver als Strahlgut frei. Und siehe da: zwei der fünf Arme kamen vollständig im Sandstein zum Vorschein, zwei weitere Arme waren zumindest teilweise erhalten.Damit war das Wunschziel der Exkursion erreicht: Ein 185 Millionen Jahre altes Belegexemplar einer Tierklasse, die sich vom Ordovizium vor 500 Millionen Jahren bis heute behauptet hat.

Schlangensterne - stammesgeschichtlich erfolgreiche Stachelhäuter

Schlangensterne repräsentieren die (fossil wie rezent) stammesgeschichtlich erfolgreichste Gruppe innerhalb der Stachelhäuter, man kennt etwa 2000 rezente Arten. Sie bestehen aus einer Körperscheibe im Zentrum, von der fünf dünne Arme abzweigen. Die Größe der Individuen liegt je nach Art meist zwischen 5-15 cm.
Die meisten rezenten Schlangensterne haben ihren Lebensraum in rein marinen Bereichen, einige Arten dringen aber auch ins Brackwasser vor. Schlangensterne bevorzugen flache Schelfmeere, es gibt aber auch vereinzelte in der Tiefsee lebende Spezies. Alle Schlangensterne haben eine bodenbezogene Lebensweise gemeinsam. Sie kommen z. B. auf Sand- und Schlickböden, aber auch auf unterschiedlichen Hartgründen vor. Schlangensterne sind sehr regenerationsfähig und können sogar den Verlust mehrerer Arme kompensieren - diese wachsen wieder nach.
Die Nahrung von Schlangensternen besteht aus diversen Kleinlebewesen, darunter Foraminiferen, Kieselalgen, Strahlentierchen etc. Diese werden von den agilen Stachelhäutern beim Kriechen über den Meeresboden mit den Armunterseiten "aufgetupft" und zur Mundöffnung geführt. Größere Beutetiere wie Schnecken. Muscheln, andere Stachelhäuter und kleine Krebse werden hingegen mit den Armen umschlungen und zum Mund geführt.
Eine ähnliche Lebensweise darf man auch für die fossilen Schlangensterne annehmen - und natürlich auch für das Exemplar von der Küste Dorsets.