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Die Ignoranz gegenüber dem Radsport sei in Österreich groß, meint Bernhard Eisel: "Ich fahre nicht bei Minusgraden, weil der Fernseher daheim kaputt ist."

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Eisel gilt als verlässliche Kraft im Peloton: Mark Cavendish (l.) herzt ihn gerne, schließlich hat der Brite auch ihm seinen Status als Sprint-Ass zu verdanken.

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Eisels größtes Solo bisher: Der Sieg beim belgischen Klassiker Gent - Wevelgem.

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derStandard.at: Sie haben zusammen mit Sprintrakete Mark Cavendish für zwei Jahre beim britischen Rennstall Sky unterschrieben. Wie stark schätzen Sie Ihr neues Team diese Saison ein?

Eisel: Sehr stark. Sky war bereits 2011 das stärkste Team in Ranking. HTC hat zwar mehr Rennen gewonnen, Sky dafür mehr Punkte geholt. An diese Leistungen wollen wir anknüpfen. Auf dem Papier haben wir vielleicht keinen Sieganwärter für die Tour de France. Mit Bradley Wiggins und Chris Froome haben wir aber zwei Fahrer, die für Plätze unter den Top Drei gut sind.

derStandard.at: Die Tour soll heuer flacher sein als der Giro d'Italia und die Vuelta. Wo liegen die Schwerpunkte im heurigen Rennkalender und wo rechnen Sie sich die größten Chancen aus?

Eisel: Am 6. Februar geht es los in Katar, da rechne ich mir schon etwas aus. Bei den Klassikern darf ich teilweise auf eigene Kappe fahren, werde aber auch eine Führungsrolle übernehmen für unsere heißen Eisen Juan Flecha und Boasson Hagen. Bei den Rennen in Belgien wollen wir natürlich ebenfalls eine Rolle spielen. In meinem Kalender ist auch der Giro rot markiert, vielleicht ergibt sich da etwas in einer Fluchtgruppe. Das ist ja nicht die Tour de France.

derStandard.at: Sie sind weiter Edeldomestik für Cavendish, betonen den Teamgedanken. Würden Sie nicht lieber selber auf Sieg fahren, statt für andere zu schuften?

Eisel: Das würde ich schon machen, wenn wir jemand zusichert, dass ich die nächsten zehn Jahre gleich viel verdiene. In einer Gruppe von 40 bis 50 Fahrern kann ich bei 15 Chancen einmal einen Sprint gewinnen. Und dann gibt es Mark Cavendish, der von 15 Mal einmal verliert. Vor kurzem erfuhr ich über Facebook, dass Tom Boonen mich auch gerne in seiner Mannschaft gehabt hätte. Also ich glaube, dass ich in den letzten zehn Jahren einiges richtig gemacht habe. Natürlich könnte ich noch mehr sprinten, aber nicht so erfolgreich wie der kleine Mann von der Insel. (lacht)

derStandard.at: Sie werden im Februar 31. Kommt man da erst ins beste Radfahrer-Alter?

Eisel: Viele sagen, das sei jetzt das beste Alter. Der einzige Punkt, wo ich das spüre, ist, dass ich konsequenter im Training bin. Die Vorbereitung im Winter war top, ich bin ruhiger und fokussierter geworden.

derStandard.at: Stichwort Fokus, Stichwort Preisgelder: Ein Sieg bei einer Tour-Sprintetappe bringt 1500 Euro, ein Tag im prestigeträchtigen Gelben Trikot 350 Euro - Gelder, die dann noch versteuert und mit dem Team geteilt werden müssen. Ist das nicht ein Hohn für die Qualen?

Eisel: Ja, natürlich. Wir hätten gerne mehr von den Einnahmen der TV-Übertragungen und auch höhere Preisgelder. Wir verdienen monatlich unser Gehalt, das ist schon mal gut. Für das Team und für die Organisation würde aber mehr überbleiben. Das Problem haben natürlich viele andere Sportarten auch.

derStandard.at: Der Radsport hat keine Gewerkschaft. Wäre ein Arbeitsstreik unrealistisch?

Eisel: Ja, komplett unrealistisch. Da gibt es zu viele verschiedene Interessengruppen. Letzten Herbst wurde auf Wunsch des IOC eine Athletenkommission gegründet. Da wurden alle UCI-Sportarten (UCI = Weltradsportverband, Anm.) unter einem Dach vereinigt. Alle Stimmen (Bahnrad-, Behinderten-, Straßen-, Mountainbikesportler etc.) sollen hier gehört werden. Zum ersten Rennen in Katar wird es nicht zu schaffen sein, dass die Teams nicht hinfliegen. Es könnte höchstens Streik-Überlegungen am Start geben, aber dann haben eh alle verloren. Veranstalter, Teams und Fahrer sind auf dem Weg in eine gemeinsame Richtung, es dauert halt noch einige Zeit. Die Fahrer dürfen aber nicht schlafen.

derStandard.at: Fährt man als Profi nicht zuerst für sein eigenes Leiberl?

Eisel: Ja, natürlich. Bei einem Rennen in Frankreich werden die französischen Fahrer aber nicht streiken. Sie müssen starten, weil sie genau wissen, dass der Sponsor ein Nichtantreten gar nicht erlaubt. Wenn alle im gleichen Boot sitzen würden, dann wäre alles einfacher. In der NBA ist das Einstiegsgehalt genauso hoch wie bei uns das Höchstgehalt. Ob ich da wegen einem Streik ein oder zwei Jahre zu Hause sitze, ist komplett egal. Im Radsport verdienen manche 45.000 Euro pro Jahr, nicht pro Tag.

derStandard.at: Erfolge bei den Frühjahrsklassikern in Belgien sind ein großes Ziel für Sky, dort herrscht Euphorie. Warum lassen sich die Belgier von den Schatten des Radsports nicht beeinflussen?

Eisel: Sie wachsen damit auf, leben den Radsport. Am Wochenende gibt es immer irgendwo ein Radrennen, das ist ein Familienereignis. Die Belgier haben eine andere Einstellung. In Österreich gibt es keinen Sport, den die Leute wirklich leben. Im Winter herrscht eine Euphorie beim Skispringen und bei ein paar Skirennen. Aber im Endeffekt werden Sportler bei uns hochgejubelt und, sobald es einmal schlecht läuft, wieder vergessen.

derStandard.at: Sie haben vor kurzem in einem Interview gesagt, der Ruf des Radsports sei nach dem Fall Contador "gänzlich zerstört", in Österreich "existiert er eigentlich nicht mehr". Ist es so schlimm oder sind Sie ein Schwarzmaler?

Eisel: Teilweise war es schon gravierend. Radfahren ist zwar noch immer der Lieblingssport der Österreicher, gleichzeitig herrscht aber auch eine große Ignoranz. Bei uns ist man nicht einmal fähig, Radwege in der Stadt zu bauen. Die gesetzlichen Richtlinien für Radwege in Österreich sind eine perfekte Einnahmequelle für Krankenhäuser und Reha-Zentren. Hier erlebe ich, dass mir Menschen den Vogel zeigen, wenn ich ihnen bei minus fünf Grad auf dem Rad entgegenkomme. Das hat aber gar nichts mit den Dopinggeschichten zu tun. Der Radsport steht derzeit einfach so weit im Hintergrund, dass die Menschen damit nichts anfangen können. Was sehr schade ist, weil die Österreich-Radrundfahrt eine der höchstangesehenen und besten Rundfahrten weltweit ist.

derStandard.at: Sie hätten 2011 Präsident des Steirischen Radsportverbandes werden können, haben aber wegen Ihrer Rolle als Kapitän bei HTC abgesagt. Welche Ideen haben Sie, um den heimischen Radsport weiterzubringen?

Eisel: Der Radsport selbst kann sich nur retten, wenn er das Interesse der Familien weckt, damit diese sich für ihre Kinder engagieren. Radfahren ist nicht Fußball, wo man das Kind zum Training bringt und zwei Stunden später wieder abholt. Da muss mehr Zeit investiert werden. Es ist aber schwer, mit dem Budget der Nachwuchsmannschaften einen Vollzeittrainer zu finden. Radfahren in Österreich muss wieder salonfähig werden.

derStandard.at: Sie haben bereits negative Erfahrungen gemacht ...

Eisel: Letztes Jahr habe ich fünf Tage vor der WM vom Land Kärnten eine Strafe über 250 Euro bekommen wegen Motortrainings (Windschattenfahren hinter einem Motorrad oder einem Auto, Anm.). Das ist eine absolute Grauzone. Das Gesetz hat recht, weil ich zu knapp aufgefahren bin. Es gibt aber keine Gesprächsbasis, ich wurde zu dem Fall nicht einmal angehört. Es heißt einfach "Zahlen, bitte", aus, Schluss, basta. Dabei wissen die meisten nicht einmal, dass Radfahrer zu Trainingszwecken in der Gruppe nebeneinander fahren dürfen. Die Menschen sollen verstehen, warum der Eisel bei Minusgraden fährt. Das macht er nicht, weil der Fernseher daheim kaputt ist.

derStandard.at: Ist die Tour unantastbar, trotz der Dopingskandale?

Eisel: Auf jeden Fall. Die Tour ist alles. (lacht) Was natürlich sehr schade ist für andere Veranstalter. Aber es gibt geniale Rennen weltweit, ein gutes Beispiel sind die USA. Dort ist eine der größten Radligen entstanden, es gibt viele Teams, und die Kalifornien-Rundfahrt hat sich etabliert. Traurig ist nur, dass HTC zugemacht hat. Die Schweiz hat zwei große Landesrundfahrten, die auch vom Fernsehen übertragen werden. Die TV-Sender lassen sich das gut entlohnen - die Sponsoren zahlen aber auch gerne, weil sie sie wissen, was der Radsport wert ist. (Florian Vetter, derStandard.at, 17.1.2012)