Peter Rosei, geb. 1946 in Wien, ist österreichischer Schriftsteller. Er studierte an der Universität Wien. Seit 1972 ist der promovierte Jurist schriftstellerisch tätig. Zuletzt erschien von ihm der Roman "Geld" im Residenz Verlag (2011).

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Das ist zu wenig. So geht das nicht weiter? Wie aber geht es weiter? Neun Ansätze.

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Ansatz 1: Die Ratingagenturen, um damit zu beginnen, im Grunde Hausmeister einer international aufgestellten Kapitalmaschinerie, bescheiden nun den Völkern eines ganzen Kontinents: Nein, das passt nicht. Das ist zu wenig. So geht das nicht weiter. Nun mögen die Anführer dieser Völker so medioker sein wie auch immer, zum Teil sind sie es wohl auch, sie repräsentieren doch ihre Völker mit deren Arbeit, derer Faulheit meinetwegen, den Hoffnungen und Wünschen, deren Klugkeit und Dummheit - der ganzen Menschlichkeit eben.

Da kommen Hausmeister daher und verkünden: So geht das nicht! Es wäre doch leicht, diesen Technikern des Geldes den Rücken zu kehren und zu sagen: Schert euch zum Teufel! Man müsste eben nur wissen, wie man es anders anstellen will. Man müsste ein Bild haben von dem Leben, das man sich vorstellt, das man führen möchte. Hat man kein Bild, gibt's nur eins: Schnauze halten und parieren.

Die Pariser Marktweiber, die seinerzeit die Gendarmen des Königs beschimpften und mit Mist bewarfen und damit die Französische Revolution auslösten, sie wussten allerdings wahrscheinlich nicht, was sie mit ihrer Wut anrichteten. Sie wussten bloß, dass sie daheim einen Schippel hung-riger Kinder hatten. Mangels Alternativen gleichen die Völker Europas zurzeit großen Käfern, die auf dem Rücken liegen und mit ihren Beinchen strampeln. Kein schöner Anblick!

Ansatz 2: Du stehst auf einer Felsenkanzel, und schaust du nach vorn, erkennst du einen Klettersteig, der, da und dort angedeutet, eine steile Wand hinaufführt. Schaust du aber nach hinten, nun, da ist nichts als der Abgrund. Da fällt die Wahl doch nicht schwer!

Ansatz 3: Momentan geht so mancher selbst ernannter EU-Spezialist hausieren, leider. Der faselt dann von Regionalentwicklung oder -partnerschaft, will sich da und dort bei irgendwelchen Landesfürsten einschleimen. Nichts gegen die Organisation von unten, im Gegenteil! Aber ein gemütlicher Kegelverein wird's doch nicht bringen.

Gerade angesichts der hegemonialen Performance gewisser Staatenlenker springt das Demokratie-Defizit der EU überdeutlich ins Auge. In einer Demokratie werden üblicherweise Parlament und Regierung vom Volk gewählt. Legt man das auf die EU um, sieht man, woran es hapert.

Der EU fehlt es aber auch an einem Band der Sympathie, einem Band übereinstimmender Gefühle, das seine Bürger verbinden könnte. Man soll das nicht gering achten. Gibt es schon keine mitreißende Idee, keine Utopie, es sei denn die eher ausgelatschte, dass der Wohlfahrtsstaat eine bewahrenswerte Errungenschaft darstellt, und selbst das ist jetzt im Wanken, wie wäre es dann mit so etwas: Haben sie schon einmal Amerikanern zugeschaut, wenn sie "Home of the brave, land of the free" singen? Vernunft in der Politik ist etwas Wunderbares. Die in der Hinsicht so oft geschmähten Gefühle sind es auch. Das wissen vor allem Rechtspopulisten. Die anderen aber haben bloß Krümel in der Tasche.

Ansatz 4: Geld ist an sich ist nicht das Problem. Es ähnelt dem elektrischen Strom, dem Blut im Körper, das alle Teile gleichmäßig versorgen soll. Wer wollte denn auch zur Tauschwirtschaft zurück? Es ist die asymmetrische oder ungerechte Verteilung, die aufstößt und Probleme schafft.

Das Kapitalismus genannte ökonomische System ist ein Stück Natur in der Kultur, ist ein Stück zugelassener Evolution in einer im Übrigen anders verfassten menschlichen Gemeinschaft.

Wenn etwa Joseph Schumpeter, einer der großen Ökonomen, von der schöpferischen Zerstörung spricht, die er grundlegend dem kapitalistischen Wirtschaftsprozess zuschreibt, ist damit nichts anderes gemeint als das allgemeine Lebensprinzip, wie es von Charles Darwin definiert wird, angewendet auf das spezielle Gebiet der Ökonomie.

Das Neue und besser Praxistaugliche unterminiert und überwindet ständig das Alte und vergleichsweise schlechter Funktionierende. Der neue Gedanke bringt den zuvor gefassten ins Wanken, die neue Mode lässt die alte fahl und grau aussehen, das durchgreifendere Prinzip weist das an der Herrschaft befindliche, jetzt überholte in seine Schranken. Kapitalismus, das meint ein ständiges Wetten auf ein besseres, schöneres Morgen. Daraus erklärt sich sein Tempo, die für ihn typische Atemlosigkeit.

Gegenwart ist hier bloß Aus- und Durchgangslage für stets neue Unternehmungen und Errungenschaften, pekuniärer Erfolg das wichtigste, oft einzige Kriterium.

Ansatz 5: Man könnte sagen, dass europäische Politik in den letzten zweihundert Jahren im Wesentlichen versucht hat, das Programm der Französischen Revolution abzuarbeiten: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! (Letzteres würde man heute Solidarität nennen.) Man sieht gleich, dass in Hinsicht auf die ersten beiden Punkte viel erreicht ist, während Letzterer zu kurz gekommen ist. Wie in der Natur einerseits das Konkurrenzprinzip herrscht, andererseits aber das der Kooperation, so sollte und muss auch menschlicher Haushalt organisiert sein. Mit der Natur fährt man immer am besten. Gegen sie - siehe Umweltzerstörung - geht es sicher schief. Wie die Bäume mit ihrem Schatten die Voraussetzung für das Biotop des Waldes bieten, wie die Meere mit ihrem kalten, kühlen oder warmen Wasser die Grundlage für ein vielfältig differenziertes Leben bilden - das nenne ich Zusammenwirken, Kooperation. Konkurrenz ist nur ein Aspekt des Miteinander in der Natur, so muss es auch in der Kultur oder Zivilisation sein. Die Macht der Idee liegt in der Konsequenz. Und im Übrigen: Demokratie und Kapitalismus setzen systemisch ganz anders an. Es kann also nicht verwundern, dass es da zu Kollisionen kommt und kommen muss.

Ansatz 6: Seit den späten Achtzigern sind die Reallöhne kaum mehr gestiegen, die Renditen um ein Vielfaches. Die Schere zwischen Reich und Arm hat sich weit geöffnet. Selbst Hardcore-Kapitalisten finden diese Entwicklung problematisch, erst recht Liberale oder Linke, und nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit (ein eigenes Thema!), sondern weil das Marktsystem durch eine solche Ungleichverteilung selbst Schaden nimmt. Gerechtigkeit - das wäre doch was! Mir fällt immer mehr auf, wie viele unserer Worte bloß noch Erinnerungen an Inhalte sind: Ehre, Würde, Bescheidenheit z. B., aber eben auch Gerechtigkeit. Kapital sucht sich seine Chance, wie jede andere Ressource auch. Findet sie diese nicht im Nützlichen und Positiven, nun, dann eben im Gewagten, im Spielerischen und, wie zu sehen ist, bei Gelegenheit auch im Destruktiven.

Ansatz 7: Vorschläge, wie man es besser machen könnte, gibt es genug. Man muss sie nur umsetzen. Tobin Tax, Regulierung der Börsen, insbesondere auch der Rohstoffbörsen, Neudefinition der Boni, Verbot von Privatstiftungen, Erhöhung der Grundsteuer, des Spitzensteuersatzes, Reichensteuern, Änderungen am Konzept der Erbschaftssteuer, Beteiligung der Arbeiter am Profit etc. etc.

Die meisten der Vorschläge stellen darauf ab, das Konkurrenzdenken als zentralen Antriebsmotor des Marktes zu erhalten. Der Wettbewerb soll nicht abgeschafft, er soll bloß auf neue und - idealiter - sozial verträglichere Grundlagen gestellt werden. Das Spiel bleibt sich gleich, bloß die Arena und die Regeln ändern sich. Gut möglich, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen zu Verlangsamung des sogenannten Fortschritts führen könnten, ein Umstand, der unter dem Stichwort Entschleunigung allenthalben angepriesen wird. Vielleicht könnte, als Nebeneffekt, die so dringend notwendige Schonung der Ressourcen damit tatsächlich erreicht werden (Nachhaltigkeit)?

Freilich, wir sind nicht allein auf der Welt. Kreativität ist das erste, Fleiß das zweite, Sparsamkeit das dritte Erfordernis - sonst werden wir nicht bestehen. Wer hört das schon gern, ich weiß.

Ansatz 8: Der Eigentumsbegriff unterliegt von jeher einem Wandel. Man muss sich nur entscheiden, etwas grundlegend zu verändern.

Ansatz 9: Es gibt einen Satz der politischen Analytik, den ich für unangreifbar halte: Wenn erst einmal die Stimmung da ist, der passende Politiker dazu findet sich von selbst. Was will ich sagen? Erscheint uns auch der Primat des Faktischen unumstößlich, liebäugeln wir doch mit der Maxime des Marc Aurel, dass die Welt Meinung sei. Es ist eine Art von chemischem Vorgang, ein subtiles Hin und Her in der Gesellschaft zwischen dem Gegebenen und Herrschenden und dem, was sich vorerst andeutungsweise in den Köpfen der Menschen formt. Der Vorlauf mag da ein langer sein, man denke etwa an die oben angesprochene Französische Revolution, der Widerstand der Realien zäh und hinhaltend, einmal ist es so weit, und das Neue bricht sich Bahn. (DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 21./22. Jänner 2012)