Ex-Carnival-Mitarbeiter Werner Cerutti schließt aus, dass es blinde Passagiere an Bord der Costa Concordia gab.

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Cerutti: "Der Fels wurde tausendprozentig am Radar gesehen."

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STANDARD: Sie waren 20 Jahre lang auf Kreuzfahrtschiffen des Costa-Mutterunternehmens Carnival als Hoteldirektor tätig. Inwieweit ist die nach dem Unglück vor Giglio geäußerte Kritik an Kapitän und Crew für Sie nachvollziehbar?

Cerutti: Die Kritik an der Person des Kapitäns dürfte schon berechtigt sein, bei der Crew seh ich das nicht so. Dass einige Menschen ums Leben kamen, ist sehr zu bedauern, aber, dass mehr als 4000 überlebt haben, ist eine Sensation.

STANDARD: Bis zur Entscheidung, das Schiff zu evakuieren, soll eine Stunde vergangen sein.

Cerutti: Zuerst gibt es immer eine Schadensanalyse, die dauert sicher 20 Minuten. Der Sicherheitsoffizier und der Chefingenieur sind in der Situation die wichtigsten Personen - nicht der Kapitän. Sie wussten, wo das Wasser steht. Darüber habe ich bisher nicht einen Satz gelesen.

STANDARD: Passiert sein soll das Unglück bei einem Manöver namens "Verneigung". Kennen Sie das aus Ihrer Zeit bei Carnival?

Cerutti: Ich weiß nichts davon, dass einer der Chefingenieure oder Kapitäne der Carnival - alles Italiener - dieses Risiko eingegangen wäre. Die sind eher sehr vorsichtig. Ich glaube, der Kurs war eng gewählt und wurde nicht das erste Mal gefahren. Es gibt aber Ungenauigkeiten beim GPS. Seitenwind kann so ein Schiff um 50, 100 Meter versetzen. Der Autopilot reagiert darauf nicht gleich, das korrigiert der Wachoffizier. Der Fels wurde tausendprozentig am Radar gesehen. Die haben bestimmt geglaubt, das sind Fischerboote. Nach Seegesetz wechselt das größere Schiff nicht den Kurs, man drückt die Alarme weg. Aber: Was hat die Hafenbehörde von Giglio gemacht? Wenn Schiffe so knapp vorbeifahren, sind sie bei der Hafenbehörde am Radar zu sehen. Man hätte den Kapitän warnen können.

STANDARD: Halten Sie es für möglich, dass blinde Passagiere an Bord der Costa Concordia waren?

Cerutti: Das kann nicht sein, weil diese Schiffe ein hochintelligentes Ein- und Auschecksystem haben. Sogar der Kapitän kann das nicht umgehen.

STANDARD: Werden Crews gut genug auf Notfälle vorbereitet?

Cerutti: Die Sicherheitsvorkehrungen waren nach allem, was ich weiß, getroffen. Man muss aber hinterfragen: Sind Leute, die zehn Monate ohne Unterbrechung für 300 Euro plus Trinkgeld zehn Stunden am Tag arbeiten so gut wie Leute, die nur eine Woche zehn Stunden am Tag arbeiten?

STANDARD: Wäre für die Sicherheit außerdem eine Obergrenze bei der Größe von Kreuzfahrtschiffen sinnvoll?

Cerutti: Da sehe ich kein Problem. Das größere Problem sehe ich bei so einem Unglück bei so kleinen Inseln wie Giglio: Was machen die mit einer so großen Passagierzahl? Wie werden Leute versorgt oder abtransportiert? Die Infrastruktur für solche Schiffe ist ja in den meisten Häfen heute noch gar nicht vorhanden.

STANDARD: Was, glauben Sie, passiert mit dem Wrack?

Cerutti: Wenn sie es schaffen, das Öl herauszupumpen, dann werden die Tanks zunächst mit Wasser befüllt, damit sich da nichts bewegt. Wenn sie das Schiff bergen wollen, werden sie das Loch verschweißen und dann anfangen, das Wasser wieder hinauszupumpen. Dann stellt sich die Kiste von selbst wieder auf.

STANDARD: Wird das Unglück der Kreuzfahrtindustrie schaden?

Cerutti: Ich persönlich glaube, dass das für die Kreuzfahrt generell Werbung war - mit dem Preis des Todes. Die Serviceleute werden weiterhin zehn Monate am Stück fahren, die Kreuzfahrtpreise werden weiterhin tief sein. Und man wird sich weiter nicht über die Art des Treibstoffs unterhalten und darüber, dass ein einziges Schiff so viel Feinstaub erzeugt wie die Stadt Wien. (Gudrun Springer, DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2012)