Carmen Leicht-Scholten über Führungsverhalten, Stereotype und Zuschreibungen - und warum das Geschlecht (noch) eine Rolle spielt.

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STANDARD: Wenn es um Geschlechterverteilung in der Führung geht, dann schwingt oft mit, dass Frauen "anders" im Sinne von "besser" führen. Ist das so?

Leicht-Scholten: Jein. Es gibt ja nicht "die Frauen" und "die Männer", wir sind sozial konstruierte Personen. Wenn wir von Führungsverhalten sprechen, dann haben wir aber noch sehr klar stereotypisierte Vorstellungen von guter Führung: männlich, zeitlich quasi unbegrenzt verfügbar, ungestört von jeglichem Privaten, aufgabenorientiert und an finanziellen Anreizen festzumachen. Frauen sind anders sozialisiert und entsprechen diesem Bild nicht.

STANDARD: Wäre die Wirtschaftskrise nicht oder anders, wären schon mehr Frauen in den Boards gesessen?

Leicht-Scholten: Wären Boards unterschiedlicher, diverser gewesen - ja. Aber: Frauen sind ja nicht die besseren Menschen.

STANDARD: Wenn weibliches Führungsverhalten diskutiert wird, dann kommen Zuschreibungen wie "kommunikativ", "Bringt Benehmen und kooperativere Stimmung ins Team" und dergleichen - das sind ja auch Stereotype ...

Leicht-Scholten: Natürlich, aber wenn wir den Bias der Führung als männliche Idealvorstellung im Kopf haben, dann gibt es diese Unterschiede. Tatsächlich ist es selbstverständlich die einzelne Person, nicht ihr Geschlecht, die das Verhalten ausdrückt.

STANDARD: Spielt das Geschlecht also doch keine Rolle?

Leicht-Scholten: Doch, solange wir diese Stereotype haben, schon. In einer Gruppe von Führungskräften wird eine Frau nicht als Führungskraft, sondern als Frau wahrgenommen - dann beginnt die Quadratur des Kreises, es ist sehr schwierig, diesen Bestand aufzulösen. Letztlich geht es um Vielfalt, die ja allen Studien zufolge höheren ökonomischen Output und höhere Zufriedenheit in Unternehmen und Organisationen bringt. Das Geschlecht ist aber derzeit noch Thema, weil Frauen 50 Prozent der Gestaltungsmacht zustehen, die sie nicht haben.

STANDARD: Also Quoten?

Leicht-Scholten: Niemand gibt gern die Macht ab. Ich bin absolut für Quoten, und zwar im Kaskadensystem: Es wird keine Rektorinnen geben, wenn es keine Professorinnen gibt. In Unternehmen ist das genauso. Da braucht es Quotenziele mit Anreizsystemen im Sinne von Budgetsanktionen der jeweils verantwortlichen Manager.

STANDARD: Frauen müssen also konkreter an den Machtsesseln sägen?

Leicht-Scholten: Ja, aber nicht einzelne Männer in Einzelhaft nehmen für ein gesellschaftliches Problem, das wir haben. Es wird gern weichgeredet, aber es geht um Verteilungsmacht, um 50 Prozent des Himmels, der Hölle.

STANDARD: Ein hohes Maß an politischer Correctness im Sprachgebrauch wär ja schon mal da ...

Leicht-Scholten: Ja, da sind wir ganz gut am Weg, aber wir müssen jetzt weitergehen mit Sensibilisierung auf allen Ebenen, individuell, strukturell, auf organisatorischer Ebene. Frauen wie Männer sind aufgerufen, ihre Rollen zu reflektieren - da ist in der jungen Generation ja auch ein Wandlungsprozess sichtbar. Quoten wären jetzt das probate Mittel, um deutlich zu machen, dass wir ankommen wollen ... und nicht mehr über weibliches und männliches, sondern nur mehr über gutes und schlechtes Führungsverhalten sprechen. (Karin Bauer/DER STANDARD; Printausgabe, 28./29.1.2012)