Ein neuer Bildband für Nostalgiker, aber auch für Liebhaber der Gegenwartsarchitektur, die den alten Bahnhof nochmals verschwinden sehen wollen.

Was als schön gilt, liegt bekanntlich am individuellen Geschmack des Betrachters. Nicht zuletzt beim ästhetischen Anspruch von Architektur scheiden sich die Geister sehr häufig. So verwundert es nicht, dass mit dem Abriss des Wiener Südbahnhofs für manche Stadtbewohner endlich ein alter, dreckiger Schandfleck, für andere aber ein Juwel nostalgischer Erinnerungsarchitektur der 50er Jahre entfernt wurde.

Foto: Roman Bönsch

Der neue Bildband "Wien Südbahnhof. Bestand und Abbruch 2007-2010" porträtiert den Südbahnhof in den letzten zwei Jahren seines Betriebs, dokumentiert seinen Abbruch, gibt einen Ausblick auf den neuen Hauptbahnhof und liefert zudem einen Abriss über die historische Entwicklung des Bahnknotenpunkts südlich der Wiener Innenstadt.

Foto: Roman Bönsch

Auf 250 großformatigen Fotografien bekommt man den alten Südbahnhof nochmals aus allen nur möglichen Blickwinkeln zu sehen: Außenansichten, Aufnahmen der Kassenhalle, der Stiegenauf- und -abgänge, Momentaufnahmen von Reisenden, Mitarbeitern, Bahnsteigen, Warteräumen und Zügen. Auch Räume, die der breiten Öffentlichkeit verschlossen blieben, hielt Herausgeber und Fotograf Roman Bönsch mit seiner Kamera detailliert fest: die Fundsammelstelle Wien Süd, den Waschplatz für Elektrokarren, das Büro der Haustechniker, die Mitarbeitergarderoben, die E-Lok-Montagehalle, das Postzentrum und die Lagerhallen am Frachtenbahnhof.

Foto: Roman Bönsch

"Es ist mir eine Ehre, als Nicht-Eisenbahner ein Buch über den Südbahnhof herausgeben zu dürfen", schreibt Bönsch im Vorwort seines fotografischen Essays. "Vielleicht ist es ja der Blick des Außenstehenden, der ungewöhnliche Einblicke in die Lebens- und Arbeitswelt des Südbahnhofs ermöglicht und ihn für eine unbefangene Auseinandersetzung zugänglich macht." Zweifelsohne fängt Bönschs Blick sowohl detaillierte Schönheiten des alten Geländes als auch bewegende Bilder der Zerstörung des Südbahnhofs ein.

Foto: Roman Bönsch

Viele Doppelseiten des Bands widmen sich fotografischen Gegenüberstellungen, die Ansichten aus gleicher Kameraposition vor, während und nach dem Abbruch zeigen. Während der Abtragung des alten Bahnhofsgeländes wurden auch Reste der historischen Südbahnhöfe, die sich unter den Bahnsteigen 13 - 19 befunden hatten, freigelegt. Diese Ausgrabungen wurden vor ihrem Abtrag mittels Laserscans dokumentiert.

Foto: Roman Bönsch

Wer noch einmal hinter die Kulissen des Wiener Südbahnhofs blicken möchte, bekommt mit diesem Bildband die Chance. Es ist ein stimmiges Buch, das den Südbahnhof als bedeutendes Bauwerk Wiens würdigt und zugleich Platz macht für das neue, Richtung Zukunft weisende Projekt des Hauptbahnhofs. (Jasmin Al-Kattib, derStandard.at, 30.1.2012)

Roman Bönsch (Hg.)
Wien Südbahnhof. Bestand und Abbruch 2007 - 2010
Springer Verlag, 2012
ISBN 978-3-7091-0837-6

Foto: Roman Bönsch/Springer Verlag