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Ist das Copyright im digitalen Zeitalter obsolet? - Die internationalen Proteste von Internetnutzern gegen das geplante Antipiraterieabkommen stoßen nicht nur bei "großen Konzernen" auf Unverständnis.

Foto: REUTERS/David W Cerny

Proteste gegen Acta, ein internationales Abkommen zur Durchsetzung des Urheberrechts im Internet: In etlichen Städten haben am vergangenen Wochenende vor allem junge Leute für ihre "digitale Freiheit" demonstriert. Sie kritisieren: Sie, die User, hätten bei Acta nicht mitreden dürfen, das sei alles "hinter verschlossenen Türen" ausgehandelt worden. Das ist nicht ganz falsch, und man sollte wohl den einen oder anderen Acta-Punkt noch diskutieren (dürfen). Aber dass gegen die längst zur Gewohnheit gewordene Verletzung des Urheberrechts im Internet (und auch gegen Produktpiraterie) vorgegangen werden muss, steht für mich fest.

Wer ein Produkt herstellt, das andere haben wollen, der soll für dieses Produkt auch bezahlt werden. Und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein materielles oder ein geistiges Produkt handelt. Das war bis vor kurzem allgemein akzeptierte Meinung. Geistiges Eigentum ist durchs Urheberrecht geschützt. Wer sich fremdes geistiges Eigentum einfach aneignet, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Das war - mehr oder weniger - unbestritten, solange etwa die Herstellung von "Raubdrucken" , Raubkopien" oder "Raubpressungen" mit erheblichem Aufwand verbunden war.

Das ist nun ganz anders geworden. Auf elektronischem Weg können Filme, Musikstücke, Werke der bildenden Kunst und der Literatur so einfach vervielfältigt werden, wie man sich das vor ein paar Jahrzehnten noch nicht hat vorstellen können. Ist etwas einmal digitalisiert und "ins Netz gestellt" , dann kann jeder damit tun, was er will. Er darf es nicht, aber er kann, also tut er es. Viele tun es. Dass die, um deren geistiges Eigentum es dabei geht, sich dagegen wehren wollen, ist verständlich. Also verlangen sie, die Künstler nämlich, dass das Urheberrecht an die neuen Gegebenheiten angepasst wird. In Österreich wurde die Initiative "Kunst hat Recht." gestartet.

Guttenberg ein Avantgardist?

Doch da gibt es nun - offenbar durch die gut vernetzten Proteste gegen Acta inspiriert - eine "Gegeninitiative" aus den eigenen Reihen (wobei das noch zu hinterfragen sein wird, ob das wirklich die eigenen Reihen sind). Neue experimentelle Kunstformen seien, heißt es, gefährdet, wenn man sich wirklich um Urheberrechte kümmern müsste. Die Kunst des Sampelns etwa.

"Netzcommunitys und PiratInnen" , heißt es dazu beispielsweise in einem Leserkommentar von Tina Leisch in der Onlineausgabe des Standard (30. 1.) "lehnen alle Versuche ab, das freie Fließen der Informationsströme im Sinne des alten Urheberrechts zu reglementieren." "Viele der jüngeren, mit den Konzepten der Tausch- und Geschenkökonomie im Internet sozialisierten KulturmacherInnen" seien daher über Acta wie über die Initiative "Kunst hat Recht." verärgert.

"Tausch- und Geschenkökonomie" , das ist eine nette Formulierung, nur wird aus ihr nicht klar, dass hier Dinge getauscht und verschenkt werden, die jemand anderem gehören. Sorry, auch wenn man es gern hätte und wenn das heute so einfach geworden ist, kann man sich nicht einfach nach Belieben an fremdem geistigen Eigentum bedienen. Sonst dürfte - auf den Bereich Wissenschaft umgelegt - ein Karl-Theodor zu Guttenberg nicht länger als Plagiator gelten, sondern müsste eigentlich als Avantgardist gepriesen werden, nämlich als einer der Erfinder der gesampelten Dissertation.

Vom Urheberrecht profitierten, wird von den Anti-Acta-Aktivisten behauptet, ja gar nicht die wahren Urheber, sondern nur die "großen Konzerne" . Das ist nicht viel mehr als ein Appell an die antikapitalistischen Affekte, die in den meisten von uns schlummern. Gegen die "großen Konzerne" sind wir doch alle, eh klar. Nur stimmt die Behauptung selbst im Film- oder Musikgeschäft nur so halb-halb, weil die, mit deren Werken das "große Geld" gemacht wird, in der Regel auch recht ordentlich verdienen. In den Bereichen bildende Kunst oder Literatur stimmt die Behauptung ganz sicher nicht. Die Verlage, in denen meine Bücher erscheinen, verdienen daran gewiss nicht viel mehr als ich. Und dass sie etwas verdienen, ist mir sehr recht, sie könnten es sich sonst nämlich nicht leisten, meine Bücher zu verlegen.

Bemerkung am Rande: "Gegen-Initiative" -Proponent Konrad Becker meinte in einem Kommentar an dieser Stelle (26. 1.): "Keines der großen Hip-Hop-Alben der 1980er-Jahre könnte heute noch produziert werden" und Andy Warhol hätte nicht zum großen Pop-Art-Künstler werden können. Dieser Einschätzung kann man zustimmen oder auch nicht, doch verliert das Argument an Gewicht, wenn man weiß, dass die Schöpfer dieser "großen Hip-Hop-Alben" oder Andy Warhol durchaus nicht auf ihre Einkünfte aus der urheberrechtlichen Verwertung ihrer Arbeit verzichtet haben.

Es fällt auch auf, dass diese "Gegeninitiative" von Leuten getragen wird, die selbst offenbar nur sehr wenig geschaffen haben, was einen Ertrag aus urheberrechtlich geschützter Verwertung bringen könnte. Sofern sie nicht überhaupt nur Theorie produzieren, schaffen sie Kunst ohne Marktwert. Dagegen ist nichts zu sagen. Der Marktwert besagt nicht viel. Was keinen Marktwert hat, kann hohe Kunst sein (muss aber nicht). Andererseits kann aus der Tatsache, dass ein Kunstwerk für mehr als drei Personen interessant ist oder gar ein sehr großes Publikum findet, nicht abgeleitet werden, dass das keinesfalls hohe Kunst sein kann.

Wohltäter Staat?

Jeder soll das halten, wie er will. Wer mag, der soll, was er an Kunst produziert, ins Netz stellen und den Damen und Herren Usern sagen: Freut euch dran, verändert es nach eurem Gutdünken, macht damit was ihr wollt! - Andere sollen aber auch sagen dürfen, dass sie - wenn's irgendwie geht - von ihrer Köpfe Arbeit auch leben möchten. Das sind zwei grundverschiedene Vorstellungen von Kunstausübung, und beide müssen möglich sein.

Das geht aber nur, wenn jene, die - absichtlich oder gezwungenermaßen - nicht für einen Markt produzieren, nicht allen anderen ihre Alternativmodelle aufzwingen können. Wer in einem Spiel nicht mitspielen will, kann nicht dessen Regeln bestimmen.

Tina Leisch schlägt vor, wir Künstlerinnen und Künstler sollten eine Lösung des leidigen Problems, dass wir halt von irgendwas leben müssen, jenseits des Marktes suchen und uns "an PolitikerInnen oder LehrerInnen orientieren. Die müssen für ihre Dienstleistungen auch nicht bei jedem jeweils Profitierenden kassieren, sondern werden für ihren Dienst an der Allgemeinheit mit Steuergeldern bezahlt." Davon abgesehen, dass der Staat uns eh nicht bezahlen wird wollen - davor bitte graut mir. Nein, ich möchte von meiner Arbeit leben und nicht permanenter Subventionsempfänger sein - abhängig vom Wohlwollen von Politikern und Kulturbürokraten. Und ich weiß mich darin mit vielen Kolleginnen und Kollegen einig. Dafür brauchen wir freilich ein Urheberrecht, das dafür sorgt, dass wir auch weiterhin selbst über unsere Arbeit verfügen können.

Man mag und darf - aber ja! - davon träumen, dass alles, was es gibt auf der Welt, allen gemeinsam gehört und von allen kostenfrei genutzt werden darf. Doch steht die Abschaffung des Privateigentums noch nicht unmittelbar an, und die allgemeine Enteignung aller wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Warum also schon jetzt ausgerechnet bei den Künstlern damit anfangen? (Walter Wippersberg/DER STANDARD, Printausgabe, 16.2.2012)