Grünen-Politikerin Schwentner (r.): "Viele Frauen gehen ja schon jetzt als Arbeitslose in Pension."

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Niss: "Zahlreiche Frauen möchten doch länger arbeiten. Mich stört die generelle österreichische Stimmung, dass Arbeit für alle Leid ist."

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Schwentner: "Österreich hat eine gewaltige Einkommensschere zwischen Männern und Frauen, nur Estland liegt hinter uns."

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Niss: "Prinzipiell gehen viele Österreicher frühzeitig in Pension, nur weil das Gesetz es ihnen ermöglicht."

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Schwentner: "Sie tun so, als wäre die Langzeitversichertenregelung das größte Übel in der Arbeitswelt." - Niss: "Die Hacklerregel ist ein großes Übel."

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Unternehmerin Niss ist für ein möglichst schnelles Heranführen des Frauenpensionsalters an die Männer, um das Budget zu sanieren. Schwentner beharrt darauf, es solle erst - wie im Gesetz vorgesehen - ab 2024 angeglichen werden, nicht heute schon.

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In Österreich arbeiten Frauen bis 60, Männer bis 65 - zumindest laut Gesetz. Ausgleich von Nachteilen oder überholtes Privileg? Darüber ließ derStandard.at die Industrielle Therese Niss und Grünen-Frauensprecherin Judith Schwentner debattieren.

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derStandard.at: Die Bundesregierung hat über ein schnelleres Anheben des Frauenpensionsalters auf Männerniveau verhandelt. Durchgesetzt hat sich die SPÖ, es bleibt alles beim Alten. Warum ist das gut, Frau Schwentner?

Schwentner: Zuerst müssten einige Reformen kommen, bevor wir über eine vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters reden können. Ich bringe gerne das Beispiel vom Hausbau. Man muss zuerst die Grundmauern errichten, bevor man das Dach draufsetzen kann. Da stehen zwei Mauern noch nicht: Frauen haben ein viel schlechteres Einkommen und können ihren Beruf mit Kindern oder auch mit älteren Angehörigen nur sehr schwer vereinbaren.

Niss: Ich sehe das schon ein bisschen anders. Das Erhöhen des Frauenpensionsalters wird ja von allen verteufelt. Man muss aber auch die positiven Seiten sehen. Es gibt Frauen, die länger arbeiten möchten.

Schwentner: Die könnten eigentlich jetzt schon länger arbeiten. Aber wenn Sie gerade jetzt die vorzeitige Anhebung der Frauenpension fordern, betrifft das die Frauen vor uns, die Generation unserer Mütter. Das sind genau die Frauen, die gar nicht die Qualifikation mitbringen, damit sie es überhaupt schaffen, länger im Arbeitsleben zu bleiben.

Niss: Die Leute, die mir nach öffentlichen Diskussionen E-Mails schreiben, sie würden gerne länger arbeiten, gibt es schon auch. Aber prinzipiell gehen viele Österreicher frühzeitig in Pension, nur weil das Gesetz es ihnen ermöglicht. Das ist ein Faktum!

Schwentner: Sie sprechen von den wenigen Frauen, die in ein besseres Einkommen und hohe Bildung haben. Die sind aber nicht die Regel.

Niss: Ich spreche von Sekretärinnen, Sachbearbeiterinnen - die sind die Regel im Angestelltenbereich. Schauen Sie in die Unternehmen rein!

derStandard.at: Frau Schwentner, die aktuellsten Zahlen des Sozialministeriums vom dritten Quartal 2011 besagen zwar, dass nur 54 Prozent der Frauen in die normale Alterspension gehen, aber bei den Männern sieht es mit 51 Prozent keineswegs besser aus.

Schwentner: Gut, es ist bei beiden nicht berauschend viel. Aber man muss dazusagen, wie schlecht die meisten Frauen mit ihrer Pension ausschauen. Es gibt eine gewaltige Einkommensschere in Österreich wie fast nirgends in Europa. Ich glaube, nur Estland ist hinter uns. Und wollen Sie mehr Arbeitslose?

Niss: Ich verwehre mich gegen das Argument der Arbeitslosigkeit. Dass gesagt wird, die Jugendarbeitslosigkeit würde steigen, ist falsch.

derStandard.at: Frau Niss, nun halten SPÖ, Gewerkschaft und Grüne der Industrie entgegen: möglich, dass es ein bisschen Geld bringt, aber auf dem Rücken von älteren Frauen.

Niss: Da stört mich wieder die generelle Stimmung, dass Arbeit für alle in Österreich Leid ist. Man darf ja nicht vergessen, dass viele Karrieresprünge in den letzten fünf Jahren passieren. Das ist für Frauen dann zugleich ein Einkommenssprung. Mein Hauptargument ist aber, dass wir schauen müssen, unseren Staatshaushalt zu sanieren. Dafür müssen wir jedes Schlupfloch in die Frühpension stopfen. Nehmen wir die Hacklerregelung, die hauptsächlich Beamte und Angestellte in Anspruch nehmen, auch viele angestellte Sekretärinnen. Da kann mir niemand erklären, dass alle knapp am Burn-out sind.

Schwentner: Ich mag die Diskussion über "Schlupflöcher" in die Pension generell nicht, weil ich sie zynisch finde. Aber bei Frauen hinkt der Vergleich besonders, weil sie das gesetzliche Pensionsalter gar nicht in einem Vollzeitjob erreichen, sondern aus der Altersteilzeit oder der Arbeitslosen in Pension gehen.

derStandard.at: Macht die Wirtschaft genug für ihre älteren Arbeitnehmerinnen?

Niss: Die Unternehmer müssen weiterhin dafür sorgen, dass die Frauen qualifiziert bleiben, durch Umschulungen und so weiter. Das tun wir auch jetzt schon! Dass ältere Mitarbeiterinnen noch 50 Kilo heben müssen, ist nur noch in wenigen Betrieben der Fall. Das ist ein bisschen ein Schreckensargument, das so nicht mehr gilt. Ich bin aber vollkommen dafür, die Arbeit auch anzupassen, wenn Mitarbeiterinnen älter werden.

Schwentner: Da bin ich voll bei Ihnen. Aber bis das nicht passiert ist ...

Niss: Na, das passiert ja. Da gibt es schon die ersten Initiativen in einzelnen Unternehmen wie "Arbeit und Alter". Oder die Voest, die mit ihrem "LIFE"-Programm versucht, die Leute flexibel arbeiten zu lassen.

Schwentner: Sie nennen Beispiele, einzelne nette Beispiele.

Niss: Dass unsere Unternehmen so schrecklich sind und unsoziale Bedingungen für Arbeitskräfte schaffen, das lasse ich mir als Unternehmerin so nicht sagen. Sie generalisieren, dass die Wirtschaft keine altersgerechten Arbeitsplätze zur Verfügung stellt.

Schwentner: Aber Sie generalisieren bei den Hacklerinnen.

Niss: Nein, ich verstehe nur nicht, warum es eine Hacklerregelung geben muss. Die gab es früher auch nicht.

Schwentner: Aber wo sehe ich die Verantwortung der Unternehmen? Wo bekennen sich die Unternehmen zu Leuten, die länger arbeiten wollen?

Niss: Ich kann's Ihnen von unserem Unternehmen sagen: Wir schicken keine Leute in Pension, sondern jene Leute in der Frühpension gehen von sich aus in die Hacklerpension und die Frauen in die frühere Frauenpension.

derStandard.at: Was halten Sie davon, Unternehmen zu strafen, wenn sie nicht genügend ältere Arbeitnehmer anstellen?

Niss: Dann muss ich auch die Arbeitnehmer zwingen, länger zu arbeiten. Ich kann nicht auf der einen Seite sagen, Angestellte können in die Hacklerpension gehen, und auf der anderen Seite Unternehmer bestrafen, wenn sie keine Frauen mit 59 eingestellt haben. Ich kann nicht Unternehmen bestrafen für etwas, das sie nicht beeinflussen können.

Schwentner: Sie tun so, als sei die Langzeitversichertenregelung das größte Übel in der Arbeitswelt.

Niss: Sie ist ein großes Übel.

Schwentner: Ich halte ehrlich gesagt viel davon, dass auch Unternehmen dafür verantwortlich gemacht werden können, wenn ihre Arbeitnehmerinnen krank werden. In Skandinavien müssen die Betriebe teilweise das Reha-Geld übernehmen, wenn die Arbeit ursächlich damit zu tun hatte, dass die Arbeitnehmerinnen krank wurden.

Niss: Jetzt sind wir wieder da angelangt, dass die Unternehmen für alles verantwortlich gemacht werden. Dafür, dass die Leute privat zu Hause einen Stress haben. Dafür, dass die Leute aus verschiedenen Gründen krank werden. Entschuldigung, wo führt das denn hin?

Schwentner: Gerade wenn wir über die Frauen reden, gibt es viele Krankheiten, die nicht einmal als Berufskrankheiten anerkannt sind, zum Beispiel Gehörschäden von Kindergärtnerinnen. Ich sehe da keine echte Ausgewogenheit zwischen der Verantwortung der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer.

derStandard.at: Die Junge Industrie rechnet vor, dass ein vorzeitiges Anheben der Frauenpensionen 710 bis 770 Millionen Euro bis 2020 bringen würde.

Niss: Bei allen Berechnungen kommen mehr als 700 Millionen Euro heraus. Die könnte man in Bildung, F&E sowie auch Pflege investieren.

Schwentner: Ich würde das bezweifeln, dass man zu Einsparungen kommt. Das ist eine Verlagerung des Pensionssystems ins Arbeitslosensystem, wenn ich nicht genügend Arbeitsplätze für die Frauen geschaffen habe.

derStandard.at: Dahinter steht ja die große gesellschaftliche Diskussion: Wie können wir uns das längere Leben in Europa leisten? Josef Kirchengast schrieb kürzlich im STANDARD: "Es geht um mehr als die finanztechnische Beherrschung des Problems: um ein neues Konzept der Lebensarbeitszeit." Müssen Politik und Sozialpartner hier nicht noch viel mehr tun?

Niss: Das Wichtigste ist einmal, das faktische ans gesetzliche Pensionsalter anzuheben.

Schwentner: Da sind die Frauen aber eh knapp dran.

Niss: Unsere Arbeitsbedingungen sind auch nicht so viel schlechter als in Deutschland. Die deutschen Frauen treten ihre gesetzliche Rente auch mit 65 an. Und warum geht das in Österreich nicht? Wir sind da immer einen Schritt hinten. Und neben den Frauenpensionen gibt es genügend andere Schlupflöcher und Sonderpensionen. Wenn das faktische Antrittsalter einmal angepasst ist, müsste man zweitens eine automatische Anpassung an die steigende Lebenserwartung einführen. Das ist für mich eine einfache Rechnung, das geht sich gar nicht anders aus!

Schwentner: Dafür müssten Erwerbskarrieren aber auch anders aussehen. Derzeit ist es so, dass Männer und Frauen in einer gewissen Lebensphase strudeln, rennen und sich vollkommen fertigmachen! Man weiß ja, man muss in einer gewissen Lebensphase gut verdienen, um sich abzusichern, soll aber gleichzeitig für die Kinder da sein und für die Eltern vielleicht auch noch. Also muss die Politik über andere Formen der Arbeit nachdenken. Man sollte aus der Vollzeit- in die Teilzeitarbeit wechseln können, wenn es meine Lebensphase erfordert. Die Dinge sind aber so weit und so rund noch nicht gedacht.

derStandard.at: Die Sozialpartner haben in ihrem Bad Ischler Papier angekündigt, den Arbeitsmarkt altersfreundlicher machen zu wollen. Ist das glaubwürdig? Passiert genug?

Schwentner: Derzeit offenkundig nicht. Wenn darüber nachgedacht wird, befürworte ich das absolut. Im Sparpaket der Regierung stehen einmal große Überschriften, dass Menschen länger im Arbeitsprozess gehalten werden müssen. Was dahintersteht, wissen wir noch nicht. Derzeit ist altergerechtes Arbeiten nicht gewährleistet, und es gibt zu wenige Plätze.

derStandard.at: Frau Niss, glauben Sie das der Regierung, wenn sie sagt, sie werde das faktische Pensionsalter erhöhen?

Niss: Wenn die Regierung das macht, finde ich das ehrlich toll.

Schwentner: (lacht) Solange die Regierung die Unternehmen zu nichts verpflichtet?

Niss: Nein, noch einmal. Die Unternehmen, die mehr für die Mitarbeiter tun, kriegen ja auch die besseren Mitarbeiter. Es wird mehr und mehr gemacht. Für alles, was hilft, das faktische Antrittsalter in realistischem Maße zu erhöhen, bin ich zu haben. (Lukas Kapeller, Rosa Winkler-Hermaden, 23.2.2012)