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Mit ihrem Label Rodarte sind Kate und Laura Mulleavy zu Liebkindern von Hollywood avanciert.

Foto: AP/Jason DeCrow

Die Musik, die bei Modeschauen gespielt wird, ist in den meisten Fällen dazu da, gute Stimmung zu machen. Bei manchen Modedesignern erklärt oder kommentiert sie aber auch die Mode, die gerade auf dem Laufsteg gezeigt wird. Als auf dem Höhepunkt der New Yorker Fashion Week, bei der Modeschau von Marc Jacobs, der Song "Who will buy?" aus dem Musical "Oliver" gespielt wurde, zog sich der Designer gewissermaßen selbst an den Ohren. Ja, wer soll die tantigen Pelzhauben, die riesigen, mit Sicherheitsnadeln zusammengehefteten Wollschals und die an den Hüften gepolsterten Kleider wirklich kaufen?

Marc Jacobs hatte für kommenden Herbst und Winter eine Kollektion mit einer fast surrealen viktorianischen Note gezeigt: eine Kollektion wie aus Großmutters Dachboden, halb Flohmarkt, halb Handarbeitskurs. Und das in jener Modestadt, in der wie nirgends sonst der Kommerz die Kreativität dominiert.

Das zahlt sich aus. Bei einer Pressekonferenz am Tag von Marc Jacobs Modeschau rechnete Bürgermeister Bloomberg vor, dass die Modewochen der Stadt jährlich 865 Millionen Dollar bringen: "Das ist einer der Gründe, warum New York die ökonomische Abwärtsbewegung besser meistert als andere Teile des Landes." Zweimal im Jahr infiltriert die Mode die Stadt – und das bis in die letzten Winkel von Manhattan. Mit mehr als 350 Modeschauen und Präsentationen ist der Kalender mittlerweile so vollgestopft, dass an manchen "Slots" bis zu acht Designer gleichzeitig zeigen.

Visionär Miguel Adrover

Umso größer ist der Kampf um Aufmerksamkeit, vor allem unter jenen, die erst Fuß fassen müssen – oder wie Miguel Adrover schon länger nicht mehr in der Stadt gezeigt haben. Dem mallorquinischen Designer, der vor knapp zehn Jahren und einer Reihe Aufsehen erregender Shows New York verließ (sein Investor ging pleite), hängt in der New Yorker Modeszene immer noch der Ruf eines Visionärs an. Einer, der aus Quentin Crisps alter Matratze ein Kleid und am Vorabend von 9/11 eine Burka-Kollektion schneiderte. Adrover ist so etwas wie die Antithese zum amerikanischen Modeverständnis.

Diese Rolle weiß er auch zu betonen. Mit Unterstützung des deutschen Öko-Labels Hess Natur, dessen Kreativchef er seit einigen Jahren ist, zeigte er eine zur Gänze aus alten Textilien bestehende Kollektion: Second Hand, aber raffiniert umgeschneidert. Sein Thema: der Arabische Frühling. Mittels aufwändiger Drapierungen und eines ausgetüftelten Lagenlooks schafft Adrover Volumen, er stellt Sportswear auf den Kopf, setzt sich über Geschlechtergrenzen hinweg. Am Ende der Show dürfen seine Models dann auch noch Geldscheine verteilen. Sie ein zu streifen bleibt allerdings anderen vorbehalten.

Geradezu mustergültig zeigt Alexander Wang, wie das geht. Letzte Saison eröffnete der Star unter den US-Jungdesignern eine Boutique im schicken Soho, in diesem Jahr sollen ganze 14 Filialen in China folgen. Diversifizierung scheint auch bei seiner Mode angesagt zu sein. Scharfe Schnitte und Tweed-Stoffe mit schimmernden Beschichtungen verleihen seinen Kleidern einen erwachseneren, edleren Look. Sich breiter aufzustellen scheint auch die Devise bei den Mulleavy-Schwestern zu sein.

Während Wang die New Yorker It-Girls einkleidet, ist Rodarte das Label des jungen, künstlerisch angehauchten Hollywoods. Diesmal machen sich die beiden kalifornischen Schwestern auf eine Reise ins australische Outback. Manche der strengen Doppelreiher-Mäntel mit den großen Schulterklappen hätte auch Nicole Kidman in Baz Luhrmans Kinoschinken tragen können, ausgefeilter und charmant abseitig muteten dagegen ihre mit Aborigines-Kunstmotiven versehenen Kleider an. Den Weg aus der Nische zu finden, scheint den Schwestern nicht leicht zu fallen.

Andere Labels versuchen dagegen (zumindest für die Dauer einer Modeschau), den Mainstream hinter sich zu lassen. In Manhattan zeigen traditionell viele Celebritymarken und Labels, die aus dem Sportswear- und Jeansbereich kommen. Während Diesel mit der von Sophia Kokosolaki verantworteten Linie Diesel Black Gold sich einen Platz am Designfirmament redlich erkämpft hat (diesmal zeigte sie einen coolen Lagenlook für Rock Chicks), muss sich Levis noch beweisen. Erstmals in der 138-jährigen Geschichte der kalifornischen Marke wagt man sich auf eine Fashion Week – mit einem Mix aus Wild West und puristischem East-Village-Style (mehr dazu nächstens im RONDO).

Siegerin Victoria Beckham

Promis wie Victoria Beckham oder die Olsen-Zwillinge mit ihrer Hochpreislinie The Raw haben dagegen schon vor längerem den Ritterschlag der Modeszene erhalten, ja Beckham wurde im November sogar zum englischen "Brand of the year" ernannt. Keine Frage, sie weiß, sich zu verkaufen: Keines ihrer hochgeschlossenen Sanduhren-Kleider mit den doppelten, schmalen Gürteln, das nicht ein perfektes Abbild von ihr selbst ist.

Und die Flaggschiffe unter den amerikanischen Marken? Ralph Lauren setzte auf feminine Reiteranzüge aus schweren Tweed- und Wollstoffen, den Abend bestreitet er mit schwarzen Seiden-Lederkleidern mit reichen Goldapplikationen. Oscar de la Renta zieht die Upper East Side wie Barbiepuppen an, bei Calvin Klein streift Designer Francisco Costa den Models voluminöse Kleider aus aufgerauter Wolle, Tweed und schwarzem Leder über. Transparente Einsätze und schillernde Onyx-Oberflächen lockern die strengen Sanduhren-Silhouetten auf. Bei Donna Karan wird zum Defilee der Marlene-Dietrich-Anzüge Whitney Houston gespielt.

Und welche Musik spielt Marc Jacobs bei der Show für seine wesentlich kommerziellere Zweitlinie Marc? "This is what you want, this is what you get" , hämmert es aus den Boxen, während die Models in Casual-Mode mit leichtem Military-Einschlag über den Laufsteg marschieren. Keine Frage: Diesmal zieht der Meister nicht an seinen eigenen Ohren, sondern an jenen des Publikums. (Stephan Hilpold aus New York, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.2.2012)