Eine italienische Groteske.

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"Welch eine Harmonie, die der Meister hier zwischen der Erhabenheit des Körpers Christi und dem Leiden seines Opfers für die Auferstehung der Menschheit erreicht hat." So tönte Italiens ehemaliger Kulturminister Sandro Bondi 2008, als er sich selbst zum Kauf des Kruzifixes beglückwünschte.

Bondi beendete seinen Wortschwall, in dem von Ergriffenheit, höchsten universellen Werten, Kunst und Glauben die Rede war, mit dem Satz: "In einem so kritischen Moment wie heute ist es entscheidend, die wenigen uns zur Verfügung stehenden Mittel Projekten und Initiativen zukommen zu lassen, die von hoher Bedeutung sind und die wir an die künftigen Generationen weitergeben wollen."

Namhafte Zweifler

Zumindest in einem Punkt hatte Bondi recht. Die Mittel waren knapp. Just zu diesem Zeitpunkt wurde im Kulturministerium der Rotstift angesetzt. Der Rest ist Augenwischerei. Denn dass es sich bei dem 41,3 mal 39,7 Zentimeter großen Kruzifix um ein Frühwerk von Michelangelo, datierbar auf circa 1495, handeln sollte, bezweifelten schon damals namhafte Vertreter aus der Fachwelt.

Nicht aber Roberto Cecchi, der zwar kein Kunsthistoriker ist, noch weniger ein Michelangelo-Experte, wohl aber Architekt und vor allem Funktionär. Ihm oblag die Generalleitung des Kulturguts, von wo aus er zum Staatssekretär avancierte, zu dem ihn der heutige Kulturminister Lorenzo Ornaghi ernannte.

Er ließ die Gutachten links liegen und überzeugte seinen Chef Sandro Bondi, dass der Kauf eine einmalige Gelegenheit sei. Ein Michelangelo um schlappe 3,25 Millionen Euro, das käme nicht oft vor. Spätestens hier hätte Bondi stutzig werden müssen, der Preis war viel zu niedrig. Schon für eine kleine Studie von Michelangelo, Die Schmerzensmutter, waren 2001 bei Sotheby's 10,2 Millionen Euro zu bezahlen. Im Unterschied zum Kruzifix war diese aber echt. Die Summe wurde hingeblättert und das Lindholzstück auf Vorzeigetournee geschickt. Es reiste zur italienischen Botschaft am Heiligen Stuhl, damit der Papst in den Genuss des herausragenden Zeugnisses von Kunst und Glauben (Copyright Bondi) kommen konnte. Es wurde im italienischen Parlament ausgestellt, rund 30.000 Menschen gaben ihm die Ehre, inklusive Staatspräsident Giorgio Napolitano. Auch die Tagesschau des öffentlich-rechtlichen Senders Rai Uno wurde die Figur gezeigt, ehe sie an ihrem Bestimmungsort, dem Museum Bargello in Florenz, zur Ruhe kommen durfte. Es wurde still um das Kruzifix, bedenklich still. Ungern wollte das Ministerium an die große Glocke hängen, dass die Experten mit ihren Zweifeln recht gehabt hatten: Es gibt nicht nur keine Beweise wie etwa Briefe, Anmerkungen oder Ähnliches im doch recht gut dokumentierten Werk des Künstlers. Auch der stilistische Vergleich hat sich als hinkend entpuppt. Doch hoffte man die Sache mit der ja von Anfang an eingeräumten "Zuschreibung" auf sich beruhen zu lassen. Aber 3,25 Mio. Euro sind für eine Zuschreibung nicht eben wenig, was zwar der "perfekten Harmonie" des Kreuzes keinen Abbruch tut, wohl aber den Staatskassen. Dieser Meinung ist zumindest der Rechnungshof, der nun ein Verfahren wegen Staatsschädigung gegen Roberto Cecchi eingeleitet hat. Der Prozess soll am 10. Mai beginnen. Cecchi beteuert weiterhin, im guten Glauben gehandelt zu haben, wobei hier ein kleines Detail nicht unwichtig ist, nämlich das Unterlassen der Herkunftsprüfung. Giancarlo Galliano, der Turiner Händler, dessen eher unorthodoxe Methoden in der Fachwelt kein Geheimnis sind, gab an, das Werk in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre von einer florentinischen Familie erworben zu haben. Dies entspricht nicht ganz der Wahrheit, kauft er es doch nachweislich in Amerika.Zweitens war das Kreuz keine ganz so einmalige Gelegenheit, wie Cecchi Bondi Glauben machen wollte. Bereits einige Jahre zuvor war es dem Kulturministerium angeboten worden, allerdings für 18 Mio. Euro. Der damalige Kulturminister Francesco Rutelli winkte ab. Bondi griff zu. Nun bleibt nur noch eine essenzielle Frage: Was wird Kulturminister Lorenzo Ornaghi tun? Kaum hat sich der Ärger um das Kolosseum gelegt, steht das Ministerium schon wieder im Rampenlicht der Justiz und - welch ein Zufall - in beiden Fällen spielt Roberto Cecchi die Hauptrolle. (Eva Clausen, DER STANDARD - Printausgabe, 25./26. Februar 2012)