Wien - Jahrelang bauten Lieferanten um die Gebaren im Lebensmittelhandel eine Mauer des Schweigens auf. Angesichts der außergewöhnlich hohen Konzentration in der Branche drängte sich zwar immer wieder der Verdacht auf Missbrauch der Marktmacht der österreichischen Supermarktketten auf - belegbare Beweise dafür fanden sich in Ermangelung der Kronzeugen keine. Nun hat ein Betroffener offenbar stichfeste Informationen vorgelegt: Die Wettbewerbsbehörde reagiert mit einer Hausdurchsuchung bei Rewe Österreich.

Es ist die erste im Lebensmittelhandel hierzulande. Alle anderen entsprechenden Vorstöße versandeten ohne bleibende Spuren.

Seit Montag durchleuchtet das Kartellamt mit 15 Mitarbeitern die Zentrale des Konzerns in Wiener Neudorf. Anfangs war zusätzlich ein gutes Dutzend Kriminalbeamte im Einsatz. Die Durchsuchung an Ort und Stelle dauerte bei Redaktionsschluss noch an. Es besteht der Verdacht auf horizontale und vertikale Preisabsprachen, lässt eine Sprecherin der Behörde wissen. Konkret: unerlaubte Absprachen mit Konkurrenten und Lieferanten. Rewe selbst bestätigt Untersuchungen bei Billa, Merkur und Adeg. Penny und Bipa seien nicht betroffen. Man sei kooperativ, stelle alle notwendigen Unterlagen zur Verfügung, sagt Corinna Tinkler, Sprecherin der Rewe.

Weitere Razzien

Wettbewerbsexperten sind sich sicher, dass auf die laufende Hausdurchsuchung weitere bei Mitbewerbern und der Industrie folgen werden. Losgetreten habe sie mit hoher Sicherheit ein Kronzeuge. Um mit entsprechenden Geschützen aufzufahren, braucht es in der Regel schwere und glaubwürdige Verdachtsmomente.

Im Visier der Kartellhüter sind die Geschäfte mit Bier und Kaffee, erzählen mit der Causa Vertraute. Beide Sparten sind der Justiz keine Unbekannten: In Deutschland gerieten die Kaffeehersteller in ih-re Mühlen. Kraft Foods und Krüger mussten 2011 wegen illegaler Preisabsprachen neun Millionen Euro zahlen. Zuvor wurde gegen Tchibo, Melitta und Dallmayr 160 Millionen Euro Bußgeld verhängt.

In Österreich gab es im Vorjahr Hausdurchsuchungen bei großen Brauereien wie Ottakringer wegen möglicher Wettbewerbsverstöße - ausgelöst durch die Nichtbelieferung von Cash-&-Carry-Märkten.

Bier und Kaffee sind entscheidende Lockartikel des Einzelhandels. Sie werden stark beworben, mehr als die Hälfte gibt es zu hohen Rabatten. Verdienen lässt sich damit für den Handel meist wenig, er holt sich Gewinne anderswo. Kraft Foods, BrauUnion und Ottakringer wollen sich zu den laufenden Ereignissen vorerst ebenso wenig äußern wie Spar. Die Prüfung der beschlagnahmten Unterlagen der Rewe kann mehrere Wochen dauern. Erhärtet sich der Verdacht auf Absprachen, kommt der Fall vor das Kartellgericht.

Hohe Geldbußen drohen

Strafrechtliche Folgen hätte das keine. Bei einer Verurteilung drohen jedoch Geldbußen von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Rewe hat in Österreich 2010 rund sieben Milliarden Euro umgesetzt.

Rewe, Spar und Hofer halten 83 Prozent des Lebensmittelhandels in Österreich. Die Marktkonzentration zählt zu den höchsten europaweit. Und sie führt auch auf Beschaffungsseite zu einer wachsenden Machtverschiebung hin zu wenigen großen Unternehmen.

"Diese Strukturen leisten Wettbewerbsverstößen potenziell Vorschub. Drei sprechen sich leichter ab als sechs", sagt Michael Böheim, Experte des Wirtschaftsforschungsinstituts, dem Standard.

Konsumentenschützern ist die Preispolitik der Supermärkte seit langem Dorn im Auge. Dass es bei so hoher Marktkonzentration keine Absprache brauche, da der eine sofort auf die Preise des anderen reagiere, lässt man in der Arbeiterkammer nicht gelten: Es liege auf der Hand, dass die Branche besonders genau geprüft gehöre. (Verena Kainrath, DER STANDARD, Printausgabe, 29.2.2012)