Eine, vielleicht sogar "die" wichtigste gesetzliche Grundlage, auf der religiös nichtgläubige Eltern die positive Thematisierung religionskritischer Argumente im Schulunterricht einfordern können, ist der Lehrplan.

Gesetzlicher Auftrag laut Lehrplan

In allgemeinbildenden Schulen ist demnach nämlich kritisches, selbstständiges Denken besonders zu fördern. Und speziell in weltanschaulichen und religiösen Belangen haben die Schüler "ausreichend" informiert zu werden.

Auszug aus dem BGBl. II Nr. 134/2000, Anlage 1: Lehrplan der Hauptschule (praktisch gleichlautend wie Lehrplan der AHS-Unterstufe, BGBl. II Nr. 133/2000): "Lehrpläne - Allgemeine Bestimmungen (...) 2. Gesetzlicher Auftrag. Die Hauptschule (bzw. allgemein bildende höhere Schule) hat (...) an der Heranbildung der jungen Menschen mitzuwirken, nämlich beim Erwerb von Wissen, bei der Entwicklung von Kompetenzen und bei der Vermittlung von Werten. Dabei ist die Bereitschaft zum selbstständigen Denken und zur kritischen Reflexion besonders zu fördern. (...) 3. Leitvorstellungen (...) Die Schülerinnen und Schüler sollen eigene weltanschauliche Konzepte entwerfen (...) Den Fragen und dem Verlangen nach einem sinnerfüllten Leben in einer menschenwürdigen Zukunft hat der Unterricht mit einer auf ausreichende Information und Wissen aufbauenden Auseinandersetzung mit ethischen und moralischen Werten und der religiösen Dimension des Lebens zu begegnen. (...)"

Es ist hierzulande praktisch niemandem möglich, die Konfrontation mit Religion völlig zu vermeiden. Beiden oben genannten Lehrplan-Anforderungen kann die Schule im Fall solch strittiger Lehr- bzw. Glaubensinhalte wie, es sei vorteilhaft, an Gott zu glauben, nur gerecht werden, indem auch die gegenteilige Position innerhalb der Pflichtschulzeit gebührend – das heißt profund und der Tragweite und Bedeutungsschwere angemessen – dargestellt wird. Das findet aber nicht statt.

Warum geschieht das trotz gesetzlicher Vorgaben nicht?

Die oben genannten Verordnungen – in dieser Form wurden die Lehrpläne erlassen – enthalten neben allgemeinen Zielvorstellungen auch Anweisungen bezüglich konkreter Lehrinhalte in den einzelnen Unterrichtsgegenständen. In diesen fachspezifischen Bestimmungen finden sich nun interessanterweise bei dafür in Frage kommenden Unterrichtsgegenständen (Sprachen, Geschichte, Musik, Philosophie ...) Anknüpfungspunkte an religiöse Thematik, die den eigentlichen Religionsunterricht ergänzen können. Darüber hinaus enthalten sie Anleitungen, wie man als Lehrer diese Themen brav pro- und keinesfalls antireligiös präsentiert. (Un)ausgesprochener Druck "von oben" tut in konservativ dominierten Regionen ein Übriges.

Religionskritik explizit zu thematisieren wird dem Religionsunterricht überlassen und damit den Konfessionen anheimgestellt. Diese neigen dazu, das Thema auszusparen oder tendenziös in ihrem Sinn hinzubiegen.

Wie es also für verschiedenen Gesellschaftsbereiche etliche konkrete Gesetze gibt, die Religionen bevorzugen (steuerliche Absetzbarkeit der Kirchenbeiträge, Konkordat, Abhaltung konfessionellen Religionsunterrichts in der Schule und kirchliche Fakultäten auf Staatskosten, Erreichung des privilegierten Status als "Bekenntnisgemeinschaft" oder als "gesetzlich anerkannt" ausschließlich für Religiöse, religiöse Präsenz im ORF ...), gibt es eine zusätzliche Bevorzugung von Religion über die Lehrpläne und Lehrinhalte.

Das Ergebnis ist bekannt: Sogar in der katholischen Kirche etwa halten sich mit ca. je einem Drittel die "Atheisierer" (also mit Atheismus oder Agnostizismus Sympathisierende), die diffus an "etwas Höheres" Glaubenden und die im christlichen Sinn Glaubenden die Waage (laut einer Erhebung vor einigen Jahren durch den katholischen Pastoraltheologen Paul Zulehner). Glaube an Astrologie oder Esoterik ist weit verbreitet und beliebt.

Verfassungswidriges Versäumnis?

Diese Leerstelle statt angemessen ("ausreichend") präsentierter Religionskritik in den staatlicherseits definierten Fachlehrplänen ist nicht nur signifikant, sondern auch ungesetzlich. Obwohl auf der Hand liegt, dass Information über ein strittiges Thema wie Religion nur dann "ausreichend" sein kann, wenn sie die ganze Spannweite der gegensätzlichen Meinungen dazu ausleuchtet, informiert die Schule darüber – seit eh und je und nach wie vor – einseitig.

Religiöse Eltern bei der religiösen Erziehung ihrer Kinder vielfach zu unterstützen, nichtreligiöse Eltern aber hinsichtlich religionskritischer Erziehung "im Regen stehen zu lassen" ist unfair und entwürdigend. Es schränkt für Letztere die Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Erziehungsarbeit gleichheitswidrig ein.

Verfassungsgerichtlich angreifbar erscheint diese Missachtung allerdings unter Verweis auf das sogenannte Bestimmtheitsgebot. Dieses ist in Artikel 18 Bundes-Verfassungsgesetz enthalten. Es ist nämlich ein Grundsatz der österreichischen Verfassung, dass Gesetze und Verordnungen das staatliche Handeln hinreichend determinieren müssen, damit sie verfassungskonform sind. Bei den Lehrplänen ist das in puncto "ausreichende Information" im strittigen Themenfeld Religion/Religionskritik nicht der Fall. Es müsste in den genannten Verordnungen zumindest definiert werden, wer bzw. welches Unterrichtsfach für "ausreichende" Information zu sorgen hat. In den derzeit geltenden fachspezifischen Bestimmungen ist der Anteil an religionskritischen Inhalten bestenfalls dürftig, und eine Festlegung, wie viel davon als "ausreichend" anzusehen ist, kommt dort nicht vor.

Befangenheit?

Es scheint, dass der Staat hier bislang in einseitiger Weise und still und heimlich (solange es niemandem auffällt?) religiösen Einflüssen aufgesessen ist. Insofern kommt dem Problem möglicher Befangenheit jener, die darüber zu befinden haben werden, besondere Bedeutung zu.

Ob diese Aspekte rund um das Bestimmtheitsgebot ein Schlüssel für die den Nichtreligiösen bisher versperrte Tür zur Gleichbehandlung sind, muss sich erst noch erweisen. Eine gemeinsame Anstrengung der Betroffenen wird nötig sein, um es herauszufinden. (Leserkommentar, Hermann Geyer, derStandard.at, 7.3.2012)