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Welcher Patient von welcher Operation am meisten profitiert, wissen die Experten noch nicht.

Foto: APA/Waltraud Grubitzsch

Jeder zweite Erwachsene ist übergewichtig und hat einen Body-Mass-Index (BMI) von über 25, jeder dritte ist fettleibig mit einem BMI von über 30. Fettleibige (adipöse) Menschen sterben fünf bis 20 Jahre früher und leiden häufiger an Diabetes, Gelenkschäden, Gallensteinen, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebs. "Bei extremem Übergewicht wirken Diät oder Medikamente nicht", sagt Guntram Schernthaner, leitender Diabetologe am Krankenhaus Rudolfstiftung in Wien. "Dann hilft nur noch eine Operation. Damit nimmt man nicht nur dauerhaft ab, sondern lebt auch länger."

Kürzlich wurden die Ergebnisse der wichtigsten Langzeitstudie veröffentlicht. In der Swedish-Obese-Subjects-(SOS)-Studie (Jama 2012, Band 307, Seite 56) untersuchen Wissenschafter der Uni Göteborg seit 1987 4047 extrem Übergewichtige. Die Hälfte wurde mit einer Operation behandelt, die übrigen nahmen mit Diät ab. Im Mittel wurden die Teilnehmer 15 Jahre beobachtet, manche 20 Jahre. In dieser Zeit erlitten Operierte seltener einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, und weniger starben. Allerdings war der Unterschied nur bei Diabetikern statistisch signifikant. "Zusätzlich wissen wir, dass sich die Lebensqualität nach der Operation bessert und Frauen seltener an Krebs erkranken", sagt Lars Fischer, leitender Chirurg am Adipositas-Zentrum der Uni Heidelberg.Bei einem BMI von 40, bei Begleiterkrankungen ab 35 kommt eine sogenannte bariatrische Operation infrage. Vier Verfahren werden am häufigsten angewendet (siehe Grafik). "Leider haben wir noch nicht genügend Daten, welcher Patient am meisten profitiert", sagt Fischer. "Wir entscheiden individuell abhängig von Alter, Begleiterkrankungen und BMI." Operiert wird in der Regel laparoskopisch. "Vorteil des Magenbandes ist, dass man die Öffnung zwischen den beiden Magenteilen von außen variabel einstellen kann", sagt Karl Miller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Adipositaschirurgie. So kann man das Band enger ziehen, wenn der Patient zu wenig Gewicht verliert, oder lockern, wenn der Patient häufig brechen muss. "In den kleinen Vormagen passt nur wenig Nahrung auf einmal, der Patient isst weniger", erklärt Miller.

Weniger Fett

So ist es auch beim Magenbypass, außerdem nimmt der Darm aus dem Nahrungsbrei weniger Fette auf, weil die Verdauungssäfte erst später damit in Kontakt kommen. Mit dem Bypass nimmt man deshalb mehr ab, etwa 70 bis 80 Prozent des Körpergewichts im Vergleich zu 50 bis 60 Prozent beim Magenband. "Von der Methode profitieren besonders die, die Probleme haben, ihre Ernährung umzustellen und weniger zu essen", sagt Miller. Auch beim Schlauchmagen passt in den Restmagen nicht mehr so viel Nahrung. "Gleichzeitig schüttet der Körper geringere Mengen des Hungerhormons Ghrelin aus", sagt Miller, "dadurch haben die Patienten weniger Appetit." Man nimmt ähnlich viel Gewicht ab wie beim Bypass. OP-Risiko und Komplikationsrate sind bei allen Verfahren ähnlich. Nach einer biliopankreatischen Diversion mit Duodenalswitch nahmen Patienten in einigen Studien noch etwas mehr ab als mit Bypass oder Schlauchmagen.

Vor drei Jahren sorgte eine Metaanalyse aus 621 Studien mit über 135.000 Patienten für Aufruhr: Die übergewichtigen Teilnehmer, die zudem unter einem Typ-2-Diabetes litten, hatten nicht nur im Durchschnitt 40 Kilogramm Gewicht verloren. Bei 78 Prozent von ihnen verschwand auch der Diabetes, am häufigsten nach biliopankreatischer Diversion, gefolgt vom Bypass. "Dabei wirken verschiedene Mechanismen zusammen", erklärt Diabetologe Schernthaner. Direkt nach der Operation essen die Patienten viel weniger als vorher - das normalisiert den Blutzucker innerhalb von Tagen. Später bewirkt die Gewichtsabnahme, dass die Körperzellen wieder empfindlicher auf das körpereigene Insulin reagieren. Eine weitere Rolle könnte das Hormon GLP-1 spielen, das die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin ausschütten lässt. "Am meisten scheinen Patienten mit hohem BMI, kurzer Diabetesdauer und noch genügend eigenen Insulinreserven zu profitieren - wir müssen aber noch weitere Studien abwarten." Inzwischen untersuchen Forscher, ob auch normalgewichtige Diabetiker profitieren.

Weniger Diabetes

Weltweit wurden bisher einige hundert operiert. Erste Ergebnisse sind vielversprechend. In einer Studie aus Brasilien vor zwei Jahren verschwand bei 90 Prozent der Diabetes. In Heidelberg wurden im Rahmen der DiaSurg-1-Studie 14 Patienten mit Magenbypass operiert. 70 Prozent brauchten nach der OP keine Diabetesmedikamente mehr. "In einer Folgestudie vergleichen wir, ob die OP besser ist als eine Therapie mit Medikamenten", sagt Fischer. Schern- thaner findet den Ansatz spannend, warnt jedoch vor Euphorie: "So eine Operation ist ein großer Eingriff. Die Studien müssten mindestens 10 bis 20 Jahre dauern und zeigen, dass sich damit die Lebensqualität und diabetesbedingte Folgekrankheiten bessern."

Nach einer bariatrischen Operation müssen die meisten dauerhaft Vitamine nehmen, manche leiden immer wieder unter Erbrechen, außerdem muss man sein Essverhalten drastisch ändern. Typ-2-Diabetes kann man indes mit Diät, körperlicher Bewegung und Medikamenten gut behandeln. "Eine Operation kommt für Normalgewichtige wenn überhaupt nur im Rahmen von Studien infrage", sagt Schernthaner. "Bei extrem Übergewichtigen ist sie dagegen eine gut etablierte Therapie, die den Patienten viele Vorteile bringt." (Felicitas Witte, DER STANDARD, 19.3.2012)