Ein Stein des Anstoßes: der "M... im Hemd"

Foto: Matthias Cremer

Wie ist es zu verstehen, wenn sich auffallend viele Menschen an einer Diskussion beteiligen - um zu betonen, dass es Wichtigeres als das Diskussionsthema gibt? Wohl, dass das Thema sie trotz ihrer gegenteiligen Versicherungen sehr beschäftigt. Sowie, dass ihnen besagtes Thema unangenehm ist, sodass sie von näherer inhaltlicher Beschäftigung ablenken möchten. Nicht zuletzt, um anderen ein gründliches Überdenken der Angelegenheit madig zu machen.
Zusammengefasst: Ein derartiger Diskussionsverlauf zeigt, dass etwas Wichtiges, aber gleichzeitig Tabuisiertes angesprochen wird.

Ein solches Herunterreden findet derzeit zum Thema "rassistische Speisenbezeichnungen" statt. Seit in diesem Blog vor wenigen Monaten über die Initiative eines Süßwarenhändlers in der Wiener Innenstadt berichtet wurde, der aus "Negerbrot" "Nägerbrot (-:" machte, um RassismuskritikerInnen ein Schnippchen zu schlagen, hat es sich beachtlich ausgebreitet. (An dieser Stelle: Nochmals Dank an alle PosterInnen, die sich damals gegen die hämischen bis beleidigenden Posting-Kommentare verwahrten und es weiter tun!) Und nach einer Empfehlung der Gastronomen-Innung in der Wirtschaftskammer von vor eineinhalb Wochen, aus Höflichkeitsgründen auf solch beleidigende Essensbezeichnungen zu verzichten - was in etlichen Medien berichtet wurde - hat das Herunterreden sogar die Kronen Zeitung erfasst.

Rassistische Seitenhiebe

Dort widmen sich seit Tagen LeserbriefschreiberInnen in der Rubrik "Das freie Wort" der Aufgabe, es unwichtig zu finden, darüber zu sprechen, dass sich Schwarze durch Bezeichnungen wie "N...brot" oder "M... im Hemd", Roma durch "Z...schnitzel" beleidigt fühlen. Wie besagter City-Süßwarenhändler schlagen auch sie alternative Benennungen vor, die lautmalerisch alles beim rassistisch konnotierten alten belassen und ihnen einen spöttischen Seitenhieb ermöglichen: Etwa den "M.. im Hemd" in "Moor im Hemd" umzubenennen. Zitat aus dem Leserbrief: "Ist auch schwarz." (Wichtige Fragen zu der Speisebezeichnungsdiskussion beantworten übrigens die Menschenrechtsgruppe SOS Mitmensch und die Migranten-Medieninitiative M Media in einem Fact Sheet: www.sosmitmensch.at)

Und im redaktionellen Teil des Kleinformats wurde ein - sonst recht interessantes und vielschichtiges - Interview Conny Bischofsbergers mit der neuen, schwarzen Vorsitzenden der SPÖ-Ortsgruppe Puchenau bei Linz, Beverley Allen-Stingeder, einseitig und selektiv getitelt:
Frage im Interview: "Wie finden Sie die Diskussion um die Abschaffung des 'Mohren im Hemd'"?
Antwort Allen-Stingeders: "Wir haben sicher größere Probleme. Trotzdem denke ich, dass man auch Schokogugelhupf mit Schlagobers dazu sagen könnte. Es tut nicht weh - und wäre ein Anfang."

Titel des Artikels: "Mohr im Hemd? Wir haben sicher größere Probleme": Was die Jungpolitikerin, die als Kind aus Sierra Leone ins Mühlviertel kam, wirklich sagte, wird im Titel auf das - offenbar gewünschte - "Es gibt Wichtigeres"-Format reduziert.

"Es wäre ein Anfang"

Auf diese Art bestätigt eine schwarze Frau auf den ersten Blick scheinbar, dass es nicht lohnt, über die fragwürdigen Speisenbezeichnungen nachzudenken. (Dabei meint sie, im Gegenteil: "Es wäre ein Anfang" - nachdem sie im Gespräch davor von Übergriffen und Benachteiligungen berichtet, die sie selbst erlebt hat. Etwa, dass sie als 14-Jährige in Linz von einem Mann bespuckt wurde. Oder, dass sie nach Abschluss der Handelsschule als Schwarze keinen Job bekam).

Das ist nicht neu. Das gab es immer schon, denn es ist äußerst bequem, sich von Angehörigen einer diskriminierten Gruppe bestätigen zu lassen, dass man nicht umdenken muss: Frauen, die schildern, dass sie ihren Ehemann als "Herrn im Haus" schätzen; Schwule und Lesben, die erklären, dass sie nichts lieber als"normal", also heterosexuell, sein wollen; assimilierte Einwanderer, die auf neu hinzugekommene Migranten als "Ausländer" schimpfen, die angeblich Probleme schafften. Ihre Wortspenden schienen (und scheinen) zu beweisen, dass alles beim vorurteilsbeladenen Alten bleiben könne.

Dass es aber nicht dabei blieb, hängt damit zusammen, dass trotz scheinbarer „Unwichtigkeit" des Themas weiter diskutiert wurde. Am besten dort, wo es sich anbot, also relativ leicht ging: So, wie es in Sachen Rassismus, als „ein Anfang", bei den leidigen, „traditionellen" Speisebezeichnungen leicht geht. Im diesem Sinn ist zu hoffen, dass über "M... im Hemd", "Z...schnitzel" usw. noch lange gestritten wird. (Irene Brickner, derStandard.at, 17.3.2012)