Dass André Heller dieser Tage (genauer: am 22. 3.) 65 Jahre alt wird, ist der österreichischen Öffentlichkeit nun allmählich bekannt. Eine Woge von Interviews und eine 450-Seiten-Biografie von Christian Seiler ( Feuerkopf, Bertelsmann) sowie eine eigengefertigte Sammlung (Wienereien oder ein absichtlicher Schicksalsnarr, Brandstätter) umgeben das Jubiläum. Diesem reichen Geburtstagsstrauß ist kaum noch etwas hinzuzufügen, außer einer Anmerkung über André Heller, Gründungsmitglied der österreichischen Zivilgesellschaft. "Zivilgesellschaft" bedeutet Selbstorganisation der Bürger abseits des Staates und der Interessenverbände. Das Ziel ist immer eine Verbesserung der politischen Kultur und das Streben nach mehr Demokratie.

Österreich hatte Mitte der 80er-Jahre dringenden Bedarf an einer Zivilgesellschaft. Sie keimte im Winter von Hainburg und entfaltete sich gegen Waldheim und Haider. Heller war nicht der einzige Zivilgesellschaftler, aber er war einer der effektivsten: Ein Gespür für Ideen, deren Zeit gekommen war.

Die Fähigkeit, Leute zu motivieren (manchmal zu manipulieren). Ein Sinn für machtvolle Symbolik. In der Waldheim-Affäre stellte er sich zu einer bis dahin resonanzlosen "Mahnwache" vor den Stephansdom (neben dem "O5" der Widerstandsbewegung). Nach einem Foto im Kurier meldeten sich dutzende andere prominente Mahnwächter, und der Platz war wochenlang voll mit wild Diskutierenden.1992 sollte dem aufstrebenden Haider mit einem " Konzert für Österreich" am Heldenplatz Kontra geboten werden. Der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel sprach vom Balkon, von dem Hitler den Anschluss verkündet hatte. 1993, als Haider sein Anti-Ausländer-Volksbegehren ankündigte, importierte Heller aus Deutschland die Idee eines "Lichtermeers". Die Umsetzung drohte am Streit der Proponenten, darunter etliche linke Sektierer, zu scheitern. André Heller hielt die Primadonnen des Protests meisterlich zusammen. Es kamen 300.000 auf den Heldenplatz - und die Sozialdemokratie beschloss trotzdem "strenge Ausländergesetze". Haider bekam sieben Jahre später 1, 24 Millionen Stimmen (27 Prozent).

Der entscheidende Punkt ist aber - und war es auch zu Zeiten des "Lichtermeers" - dass nicht alles in einem rechtspopulistischen Gatsch versinkt; dass die Kritischen und Verunsicherten wissen können: Es gibt noch etwas anderes. Da hat Heller eindeutige Verdienste errungen.Natürlich kann eine Zivilgesellschaft, die sich formiert, sehr viel mehr leisten: den Sturz des kommunistischen Systems in Osteuropa oder die Vertreibung der arabischen Gerontokraten. In Österreich geht es immer wieder "nur" darum, das schleichende Abrutschen einer ohnehin autoritär geprägten politischen Kultur in ein vollends autoritäres System zu verhindern. Dass nicht alles hingenommen wird. Die Mattigkeit der etablierten Parteien und die Stärke der Rechten verlangt nach einer neuerlichen Anstrengung der Zivilgesellschaft. Vorläufig ist nicht viel davon zu spüren. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 21.3.2012)