Bild nicht mehr verfügbar.

Die Finanzbranche auf der Couch...

Foto: AP

...von David Tuckett

Foto: STANDARD

London/Wien - "Das Problem ist, dass sich Investoren in ihre Anlageobjekte verlieben". So beschreibt der britische Psychoanalytiker David Tuckett im Standard-Gespräch die emotionellen Wurzeln von Finanzkrisen. Tuckett, der am University College London lehrt und morgen, Freitag, in Wien vorträgt, hat in den Jahren vor der Weltfinanzkrise von 2007 mehr als 50 Fondsmanager interviewt und dabei Verhaltensmuster gefunden, die mit der Standardtheorie effizienter Finanzmärkte wenig zu tun haben.

Investoren, so Tuckett, müssen ihre Entscheidungen in einem Umfeld großer Unsicherheit treffen. Um überhaupt eine Strategie zu finden, die sie rechtfertigen können, greifen sie auf das Prinzip des Narrativs zurück - Erzählungen, die ihrem Handeln einen tieferen Sinn geben. Dabei entstehen Geschichten über "fantastische Objekte", etwa Unternehmen, die dank tollen Managements hohe Gewinne garantieren, oder Anlagemethoden, die das Risiko fast vollständig eliminieren.

Von der Liebe zum Hass

Die Jagd nach diesen "fantastischen Objekten" wird für Tuckett zu einer Obsession, die Anlageentscheidungen bestimmt. Erweist sich das Objekt als weniger profitabel denn erwartet, setze eine tiefe Enttäuschung ein, die zum raschen Abverkauf führte. Aus der Liebesbeziehung zu einer Aktie werde dann blanker Hass.

Tuckett beobachtet eine Spaltung zwischen Fantasie und Realität und einen Trend zu einem "Gruppengefühl", das Investoren wiederum ein falsches Gefühl der Sicherheit verleiht. Diese Faktoren erklären für ihn das Entstehen und Platzen von Finanzblasen in den vergangenen Jahrzehnten aus psychologischer Sicht.

Anders als die Väter der Verhaltensökonomie, Nobelpreisträger Daniel Kahneman und sein früh verstorbener Partner Amos Tversky, sieht Tuckett das Problem nicht in rationalen Fehlentscheidungen, sondern in einem emotionalen, nichtrationalen Zugang der meisten Akteure zum Geld.

Dabei sei die treibende Kraft weniger die oft zitierte Gier als der allzu menschliche Wunsch, mit den eigenen Prognosen recht zu behalten und nicht in einem Meer der Unsicherheit zu ertrinken. Denn Geldmanager stünden unter Druck, besser als der Markt abzuschneiden, und wollten sich nicht eingestehen, dass das durch noch so gute Analyse gar nicht geht. Hinzu komme die Erwartung von Kunden und Medien, überzeugende Geschichten präsentiert zu bekommen. All dies führe zu einem " gespaltenen Zustand" und in weiterer Folge zu irrationalen Handlungen. Tucketts Forschungsergebnisse, die er in seinem Buch Minding the Markets im Vorjahr veröffentlicht hat, beziehen sich vor allem auf Aktienfondsmanager und ihre Erfahrungen in der New-Economy-Blase. Aber Tuckett sieht die gleichen Muster in den Jahren vor der Finanzkrise 2007, als Banker blind an ihre mathematischen Modelle zur Risikoberechnung glaubten und die Schwächen nicht erkannten. Zudem ließ die Euroeuphorie nach 2002 die Anleger südeuropäische Staatsanleihen kaufen, obwohl die Renditen dem Risiko in keiner Weise entsprachen.Um das Entstehen und Platzen von Finanzblasen zu verhindern, sieht Tuckett vor allem einen Weg: Auch die Notenbanken müssten die Macht von Narrativen nutzen und selbst durch starke öffentliche Warnungen an die Emotionen der Marktteilnehmer appellieren. "Die Notenbanken haben zwar immer wieder vor Blasen gewarnt, aber es war alles viel zu technisch und zu wenig verständlich. Sie müssen sich einer anderen Sprache mit stärkeren Bildern bedienen", sagt Tuckett.(Eric Frey, DER STANDARD; 22.3.2012)