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Das Meisterwerk bekam nun Besuch aus Spanien: Eine zweite "Mona Lisa" (re.) wirft ebenso viele Rätsel auf wie das legendäre Original, das Leonardo da Vinci einst erschuf.

Foto: Reuters

Mehr als 200 Jahre lang regierte sie unangefochten über den Louvre. Seit 1974 verließ "Mona Lisa" das größte Museum der Welt nicht mehr. Einmal gestohlen, einmal mit Säure beworfen, ruht sie hinter vier Zentimeter dickem, reflexfreiem Panzerglas, bei konstanten 20 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit.

Jetzt muss die rätselhafteste Frau der Welt den Platz teilen. Im Rahmen einer Ausstellung über Leonardo da Vincis Meisterwerk "Anna selbdritt" zeigt der Louvre seit Donnerstag eine aus Spanien zugezogene Kopie. Eine zweite Gioconda also, die der ersten zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Sonderschau ist in einem fensterlosen Untergeschoß angesiedelt, während die echte "Mona Lisa" im prächtigen italienischen Festsaal der Beletage prangt.

Von dort müssen die Besucher zehn Treppen hinuntersteigen, um zur Kopie zu gelangen. Natürlich hätte man die Gemälde gerne nebeneinander gezeigt, ließ der Louvre wissen. "Aber den Besucherandrang hätte die Ausstellung nicht ausgehalten. Und selbst ein Transport innerhalb des Museums ist für dieses meistgeschützte Werk technisch fast nicht zu bewältigen."

Die Zwillingsschwester der Gioconda hing bisher im Prado in Madrid und galt als holländische Nachahmung aus dem 19. Jahrhundert - eine Kopie unter vielen. Doch sie ist mehr als das. Als die spanischen Konservatoren das Bild auf Wunsch des Louvre genauer prüften, machten sie eine überraschende Entdeckung: Das Abbild enthält Details - wie etwa ein winziges Dorf im rechten Bildhintergrund -, die im Original unter der Verdunkelung verschwunden waren.

Vielleicht von einem Schüler

Auch andere Erkenntnisse der Infrarot-Reflektographie lassen nur einen Schluss zu: Die Kopie wurde gleichzeitig mit dem Original erstellt, etwa um 1505, zu Lebzeiten da Vincis. Ausstellungskonservator Vincent Dieulevin geht davon aus, dass sie von einem Schüler da Vincis stammt: "Während drei weitere Ateliermitarbeiter aus stilistischen Gründen ausscheiden, kommen Franceso Melzi oder Salaì in Frage."

Letzterer war wahrscheinlich mehr als nur ein Schüler da Vincis, dessen homosexuelle Neigungen schon Sigmund Freud thematisiert hatte. War Salaì der Autor der Kopie, eröffnen sich neue Perspektiven: Der italienische Forscher Silvano Vincenti behauptete schon vor einem Jahr, da Vinci habe nicht wie bisher angenommen die Lisa Gherardini, Frau des Seidenhändlers Francesco del Giocondo gemalt; vielmehr habe er seine Muse Salaì in dem unbenannten Gemälde verewigt.

Heißt das in dem Fall, dass sich dieser selber abmalte? Das Rätsel um die "Mona Lisa" wird durch die Kopie noch unentwirrbarer. Bei einem Porträt, das nicht einer namentlich bekannten Persönlichkeit gewidmet ist, sei früher keine simultane Produktion üblich gewesen, sagt Dieulevin. Die Verwendung teurer Farben sogar für die Kopie lasse aber, so Dieulevin, eher auf eine hochgestellte Dame schließen. Und dazu gehörte auch Lisa Gherardini.

Dass da Vinci bei der Kopie selbst Hand angelegt hatte, erscheint unwahrscheinlich: Dazu wirkt die zweite "Mona Lisa" zu statisch, zu wenig lebensecht. Einzelne Partien wie etwa die Drapierung und Verschleierung der linken Schulter sind meisterhaft gemalt. Aber das Lächeln und die ganze Erscheinung der Porträtierten bleiben klar hinter dem Original zurück. Die vielgerühmte Sanftmut, die betörende Unbestimmtheit, ja Rätselhaftigkeit der Mona Lisa, erzielt mit der unnachahmbaren Sfumato-Technik da Vincis, bleibt auch vier Jahrhunderte später unerreicht. Wer von der Kopie in der neuen Louvre-Ausstellung noch einmal die Treppen hochsteigt, ist nur zusätzlich beeindruckt vom Original. Der direkte Vergleich macht das Verdikt klar. Die echte "Mona Lisa" hat eben doch keine Konkurrenz. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 29.3.2012)