Sind beide keine Spezialisten für ein bestimmtes Opernrepertoire, haben sich aber für die aktuelle Volksopernproduktion dennoch spezialisiert: Die Dirigenten Gerrit Prießnitz (li.) und Enrico Dovico.

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Wien - Zwischen den Proben in einem Kaffeehaus nahe der Volksoper: DER STANDARD muss für sein Interview mit den Dirigenten Enrico Dovico und Gerrit Prießnitz ein lebhaftes Gespräch zwischen den beiden unterbrechen, in dem sie über die Eigenheiten von Singstimmen im Besonderen und über den (Volks-)Opernalltag im Allgemeinen fachsimpeln.

Dabei wird gelacht und der Ball zwischen den zwei fußballaffinen Musikern hin und her gegeben, rennt der Schmäh zwischen den beiden, als wären sie hauptberuflich Wiener Kaffeehausgäste.

Der gebürtige Turiner und der gebürtige Bonner sehen sich derzeit zwar " sehr oft, aber immer nur kurz", wie sie unisono meinen. Denn sie sind beide in einen engmaschigen Probenplan eingespannt, um heute, Samstag, die Doppelpremiere zweier Opern zu stemmen, die ihnen im Vorfeld nur wenig Spielraum für Plaudereien und künstlerischen Austausch lässt.

Reizvolle Abwechslung

Dabei bräuchte es für "Das Wundertheater" von Hans Werner Henze und den "Bajazzo" von Ruggero Leoncavallo gar nicht unbedingt zwei verschiedene musikalische Leiter - auch darin stimmen die beiden einmütig überein. " Das ist eigentlich eher ein Clou", meint Gerrit Prießnitz, "weil wir nun eben beide am Haus sind und beide an und für sich viel Verschiedenes machen."

Ein Beispiel nennt gleich Enrico Dovico, der gerade den Bajazzo einstudiert: "Das erste Stück, das ich als erster Kapellmeister in Wiesbaden gemacht habe, war Henzes Prinz von Homburg." Und im Falle von Prießnitz, an der Volksoper Dirigent des Wundertheaters, ließe sich ergänzen, dass er seinerseits jede Menge italienisches Repertoire interpretiert hat.

Kein typischer Fall von Spezialisierung also? Dovico geht in die Offensive: "Ich hasse das. Spezialisten sind limitierte Leute. Bei Dirigenten gibt es das natürlich oft, dass jemand mehr Oper oder mehr Konzert macht. Solche Schwerpunkte ergeben sich häufig wie von selbst. Und wenn man einmal als Operndirigent bekannt ist, dann kann es sehr schwierig sein, überhaupt noch für Symphoniekonzerte engagiert zu werden."

Prießnitz nimmt diesen Ball auf und gibt ihm eine andere Stoßrichtung: " Aber selbst das ist eigentlich schade, wenn es auf dem Markt so auseinanderklafft. Wenn diese Spezialisierung auch noch in die Oper hineingetrieben würde, fände ich das entsetzlich. Es gibt ja jetzt bereits viele Anzeichen dafür, wenn sich schon mittelgroße Häuser etwa für Belcanto Gastdirigenten aus Italien holen."

Dabei finden beide eigentlich den umgekehrten Weg viel reizvoller. Dovico: "Für mich als Italiener hier in Wien Operette machen zu dürfen oder in Deutschland Wagner oder Richard Strauss ist gerade das Schöne."

Die aktuelle Produktion, bei der dann halt doch der Deutsche die Musik des Deutschen dirigiert und der Italiener den Italiener, hat eine lange Vorgeschichte, wie Prießnitz erzählt: "Es gab schon seit längerer Zeit Überlegungen, dass der Volksoper einmal ein Werk von Henze gut anstehen würde. Außerdem wurde überlegt, was aus dem Verismo-Repertoire gut auf Deutsch spielbar ist. Da liegt der 'Bajazzo' sicherlich viel näher als die 'Cavalleria rusticana' von Leoncavallo, die üblicherweise mit ihm zusammen aufgeführt wird, die ich aber auf Deutsch fast nicht machbar fände."

Geistige Nähe zu Italien

Und auch die Erklärung für den ungewöhnlichen Doppelabend liefert Prießnitz gleich mit: "Es handelt sich ja um zwei Stücke, die auf den ersten Blick nur sehr wenig miteinander zu tun haben. Dennoch gibt es eine erstaunliche dramaturgische Klammer: Beides sind Stücke, in denen eine Theatertruppe in die Stadt kommt."

Musikalisch freilich überwiegen trotz Henzes geistiger Nähe zu Italien die Unterschiede - ein Aspekt, der Dovico auch generell wichtig ist: " Ich schätze es als Italiener sehr, dass es hier noch einen echten Repertoirebetrieb gibt. Und ich halte es für die tollste Sache hier an der Volksoper, dass Sie an einem Abend Oper und am anderen dann Operette, Musical oder Ballett haben. Das bereichert die Musiker hier ungemein, und sie sind dadurch sehr flexibel. Das ist hier ja eigentlich das Markenzeichen des Hauses und des Orchesters."

Könnten die beiden eigentlich auch ihre Stücke tauschen? Prießnitz: "Wir haben ja schon bisher hin und wieder getauscht. Das liegt in der Natur des Repertoirebetriebs. Deswegen arbeiten bei uns nicht die Überspezialisierten, sondern gerade jene, die sich auf gute altmodische Weise als Opernkapellmeister sehen." Und wie wäre das bei der jetzigen Konstellation? Dovico: "Ich könnte im Moment nicht wechseln, Herr Prießnitz vielleicht schon. Also bitte nicht im letzten Moment absagen!"  (Daniel Ender,  DER STANDARD, 31.3./1.4.2012)