Metallgitter über einem palästinensischen Markt sollen Siedler-Gewalt verhindern.

Foto: Andreas Hackl

Opfer des Massakers von 1929 in Hebron.

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Hebron von einem militärischen Aussichtspunkt betrachtet.

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Die Landkarte der UNO-Organisation OCHA (Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten) von Hebron gibt es zum Ansehen in besser Qualität als PDF zum Download.

Foto: UN-OCHA

"Wenn du siehst, wie diese jüdischen Siedler inmitten von Palästinensern in Hebron leben, dann fragst du dich vielleicht, wie das funktioniert", sagt ein Kommandant des israelischen Militärs, der anonym bleiben will, während sein Fahrer einen gepanzerten Militär-Jeep durch die belebten Straßen von Hebron chauffiert. "Ich denke, Segregation und Kontrolle sind das einzige Rezept. Nur so kann es funktionieren."

In Hebron - auf Arabisch al-Khalil - leben rund 170.000 Palästinenser. Doch in deren Mitte befinden sich etwa 800 israelische Siedler in einer gesonderten Zone unter Militärschutz. Erst vor kurzem hat eine Gruppe jüdischer Siedler ein neues Haus in einem palästinensischen Viertel von Hebron besetzt.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat nun Verteidigungsminister Ehud Barak gebeten, die für diesen Donnerstag vorgesehene Evakuierung der Siedler zu verschieben. Im Schatten dieser Entwicklungen lohnt ein Blick auf die Rolle des israelischen Militärs in dieser Siedlungspolitik.

Geteilte Stadt

"Zuallererst ist die israelische Armee hier, um die jüdischen Bewohner zu beschützen. Doch es geht auch um die Bekämpfung von Terrorismus", sagt der Kommandant, als der Jeep vor einem mit Stacheldraht umwickelten Eisenschranken hält. Dahinter liegt die Shuhadah-Straße. Sie war einst das belebte Zentrum von Hebron und der historische Markt der Stadt. Doch heute ist die Straße für Palästinenser komplett gesperrt.

Seit dem Hebron-Protokoll von 1997, in dem die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und Israel Hebron im Rahmen der Oslo-Abkommen unter sich aufteilten, ist die Stadt in eine Zone H1 und eine Zone H2 geteilt. In H2 leben die rund 800 Siedler, beschützt durch das Militär im Altstadtkern der Stadt und getrennt von den rund 30.000 palästinensischen Anrainern. H1 ist der größere Teil Hebrons, in dem die restliche palästinensische Bevölkerung unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) lebt.

"Zeigen, was hier wirklich abgeht"

Das Zentrum von Hebron ist für Palästinenser zu einem unmöglichen Hürdenlauf geworden. Blockaden, Kontrollpunkte und Angriffe durch Siedler prägen dort die Realität. Das weiß auch die Organisation Breaking the Silence (BTS).

Gegründet von ehemaligen israelischen Soldaten, die während der zweiten palästinensischen Intifada in Hebron im Einsatz waren, erzählen die Aktivisten von BTS heute in mehr als hundert Stadtführungen pro Jahr ihre Sicht der Geschichte.

"Am Anfang war die Idee, Hebron nach Tel Aviv zu bringen. Wir wollten der israelischen Bevölkerung zeigen, was hier wirklich abgeht", sagt Yehuda Shaul, Co-Direktor von BTS. Shaul war in den Jahren 2001 und 2002 selbst für 14 Monate Teil einer Kampfeinheit in Hebron. "Unsere Mission damals war klar. Wir sollten die jüdischen Bewohner beschützen. Damals war die Lage viel gewalttätiger. Doch auch heute ist die Mission des Militärs einfach: das bestmögliche Leben für 800 jüdische Siedler zu gewährleisten. Deswegen ist Hebron heute eine Geisterstadt", sagt er.

Steriles Zentrum

Dafür gebe es aber mehrere Gründe. "Die israelische Armee hat das Zentrum von Hebron sterilisiert. Sie haben den Markt geschlossen und sterile Straßen ausschließlich für Siedler geschaffen. Seit 2002 haben mindestens 1.800 palästinensische Geschäfte zugesperrt", meint Shaul und fügt hinzu, dass besonders Gewalt durch Siedler das Leben in H2 für viele unerträglich mache. Auch gebe das Sicherheitsregime der israelischen Armee den Palästinensern das Gefühl, ständig gejagt zu werden.

"Mindestens zwei Patrouillen sind in Hebron andauernd unterwegs. Ihr Auftrag ist es, so präsent wie nur möglich zu sein, um dadurch das Gefühl zu schaffen, dass die Armee immer und überall ist." Yehuda Shaul glaubt nicht, dass eine derart starke Militärpräsenz heute aus Sicherheitsgründen gerechtfertigt ist. "Seit 2007 erlebt Hebron die ruhigste Phase überhaupt."

Das israelische Militär sieht das anders.

Eine Armee für Siedler? Die Militärperspektive

"Für die jüdischen Siedler, die heute in Hebron leben, war die Rückkehr nach 1967 ein Weg, um sich für das Massaker von 1929 zu rächen", erklärt der israelische Militärkommandant am Balkon eines Museums, das an das Massaker vom August 1929 erinnert, in dem 67 Juden von Arabern ermordet wurden.

Vom Balkon auf der Rückseite des Museums sieht man auf eine palästinensische Marktstraße hinunter. Doch weil Siedler von hier aus immer wieder Steine und andere Objekte auf Palästinenser hinuntergeworfen haben, ist der komplette Markt von einem Metallgitter bedeckt. "Das ist ein Beispiel für die Gewalt der anderen Seite", sagt er. "Wir versuchen, das Leben hier so normal wie möglich zu gestalten."

Aber in Hebron, wo Segregation unter dem Banner der Sicherheit das tägliche Leben dominiert, sucht man vergeblich nach dieser Normalität. "Kennst du 'Big Brother'?", fragt der Kommandant. "Wir haben Kameras in jeder Straße Hebrons. Jeder hier weiß, dass er beobachtet wird." Das sei nötig, um Sicherheit und Ruhe zu gewährleisten. "Es ist eine gefährliche Balance."

In Sachen Sicherheit gebe es jedenfalls viel zu tun. Einmal habe er einen "Terroristen" aus einem Haus entfernen müssen. Doch lange war nicht klar gewesen, ob man das gesamte Haus oder doch nur den Teil, in dem er wohnte, angreifen soll. "Ein Spezialist meiner Einheit hat gesagt: 'Wenn du willst, sprenge ich das ganze Haus. Aber wenn nur ein Teil weg soll, dann sag es.' Ich habe mich dafür entschieden, nur einen Teil zu sprengen", erklärt er.

In Hebron, sagt er, stellten heute vor allem Hamas-Aktivisten eine Bedrohung für Israel dar. Aber auch "andere Arten von Terroristen". Doch auch jugendliche palästinensische Steinewerfer, gegen die Beweise vorliegen, werden verfolgt. "Aber nur, wenn wir wirkliche Beweise haben", sagt er und holt ein Foto aus einer Schublade, auf dem vermummte Palästinenser gestochen scharf beim Steinwurf abgebildet sind.

Prinzipiell orientiere man sich en einem einfachen Rezept. "Wir schneiden das Gras, bevor es wächst", erklärt der Kommandant. "Wir verhaften Hamas-Aktivisten jede Woche. Wären wir heute nicht hier, dann würde aus dem Westjordanland ein zweiter Gazastreifen werden. So ein Hamastan wäre das Ende Israels."

Von bewaffneten Soldaten bewacht, marschiert der Kommandant vom Museum weiter in Richtung Machpela, die unter Muslimen Abrahams-Moschee genannt wird. Hier liegt nach muslimischem und jüdischem Glauben Abraham begraben, wie auch andere Stammväter des Judentums und deren Ehefrauen.

"Juden und Araber sind hier völlig getrennt. Sogar der Augenkontakt ist unmöglich", sagt der Kommandant, während er von der jüdischen Seite durch eine Stahltür in die muslimische Moschee hinübertritt, deren Boden mit einem Teppich bedeckt ist. Am selben Boden fand vor 18 Jahren ein weiteres Massaker in der Geschichte von Hebron statt, als der rechte Siedler Baruch Goldstein am 25. Februar 1994 29 Muslime erschoss und 120 verletzte.

"Die Ruhe in Hebron kann jede Sekunde in Gewalt münden", meint der Kommandant.

"Wofür stehen wir?"

Yehuda Shaul von Breaking the Silence bezweifelt, dass das israelische Militär heute in Hebron ist, um Terrorismus zu bekämpfen. Stattdessen nennt er es "systematische Verunsicherung". "Die Basis der Militärstrategie ist Prävention - aber nicht nur, um Terrorismus zu bekämpfen, sondern um alle zu jeder Zeit zu verunsichern. So soll Palästinensern erst gar nichts Böses in den Sinn kommen."

Doch für ihn geht es in Hebron nicht nur um Palästinenser, und auch nicht nur um die Konsequenzen, die das Militärregime und die Siedler für diese haben. Es geht ihm um Kernfragen der israelischen Gesellschaft. "Wer sind wir als jüdische Israelis, wofür stehen wir? Ist das, was heute in Hebron passiert, innerhalb der Grenzen unserer Gemeinschaft? Ist das alles ein Preis, den wir bereit sind zu zahlen?" (Andreas Hackl, derStandard.at, 4.4.2012)