Gönnt sich seit 100 Jahren immer nur nachts eine Pause: der Paternoster im Haus der Industrie.

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Johann Zolles, der Maschinist hinter dem reibungslosen Dauerlauf.

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Alle fünf Jahre führt Zolles oben im Maschinenraum eine Ultraschallprüfung der Bolzen durch.

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Die Kabinen rattern am oberen und unteren Wendepunkt in den anderen Schacht hinüber, ohne dabei umgedreht zu werden.

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Zolles hat auch für die Zehen der Fahrstuhlbenützer vorgesorgt.

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Vorschriften 1911: "Die Fahrt über den Dachboden oder durch den Keller ist ganz gefahrlos."

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Als Johann Zolles den Paternosteraufzug 1979 erstmals wartete, war er ein junger Mann. Schon seit 1911 fährt der Paternoster im Haus der Industrie unermüdlich. Ein hundertjähriges Auf und Ab. Nächstes Jahr geht Aufzugstechniker Zolles, 59, in Pension. Der Paternoster im Palais am Wiener Schwarzenbergplatz wird auch danach weiter laufen.

Heute steht der Paternoster wie jedes Jahr einmal still. Zolles prüft die Sicherheit, tauscht alte Teile aus. Dieses Jahr durchleuchtet er mit einem Ultraschallgerät auch jeden der 600 Bolzen, an denen die 13 Kabinen rauf und runter gezogen werden. Zwei Leute pro Kabine, steht auf Schildern. "Die Schilder haben sie mir zuerst gefladert, jetzt hab ich sie mit Torbandschrauben befestigt", erzählt Zolles. Die Erhaltung des Paternosters ist für ihn nicht bloß ein Job, auch ein Anliegen. "Ich bin ein Patznfreund vom Paternoster", sagt er.

Mit 20 Zentimetern pro Sekunde in der Endlosschleife

Der Umlauf-Aufzug, wie Bürokraten den Paternoster nennen, ist nach vorne offen und bleibt nie stehen. Für den Benützer heißt das: Den gewöhnlichen Aufzug kann man rufen, den Paternoster muss man erwischen. 1950 Kilogramm oder 26 Personen kann der älteste Paternoster Wiens gleichzeitig befördern.

Obwohl der Fahrstuhl sich mit 20 Zentimetern pro Sekunde bewegt (das sind gerade einmal 0,72 km/h), sorgte das Einsteigen seit jeher für Nervosität: Man ergreife die angebrachten Handgriffe "mit mäßig gebeugten Armen bei gerader Körperhaltung" und richte "seine Aufmerksamkeit auf den herannahenden Fahrstuhl", lautete zu Kaiserzeiten die Vorschrift im Palais der Industriellenvereinigung.

Was passiert oben?

Auch die größte Angst vor dem Paternoster hat 100 Jahre überdauert und treibt manche immer noch um: Was passiert oben? Im Haus der Industrie führen zwei große Ketten die Fahrkörbe durch einen 20 Meter hohen Schacht. Ein Elektromotor treibt die Ketten an. Beim Hochfahren hängt die Kabine, diagonal eingespannt, an der jeweils rechten Seite der beiden Ketten, beim Heruntergleiten an der jeweils linken. "Die Kabine fädelt aus einer Führungsschiene aus und in die andere ein", erläutert Aufzugstechniker Zolles. "Die Kabine hängt bei jeder Kette nur an einer Seite."

Kurzum: Die Kabinen rattern am oberen und unteren Wendepunkt über große Räder in den anderen Schacht hinüber, ohne dabei umgedreht zu werden. "Eine simple Konstruktion, aber sehr wirkungsvoll", lobt Zolles den alten Erfindergeist. Den Auftrag erteilte die Industriellenvereinigung damals Anton Freissler, einem Aufzug-Pionier der Monarchie.

Seit den 1960er-Jahren dürfen in Österreich keine Paternoster mehr gebaut werden. Im ganzen Land gibt es heute kaum mehr als 20, schätzen die Aufzugsprüfer von TÜV Österreich. Der Paternoster ist unter den Fahrstühlen eine bedrohte Art. Im Vergleich zum gebräuchlichen Aufzug birgt der Paternoster, der nur in den Nachtstunden ruht, zumindest theoretische Gefahren, obwohl so gut wie nie etwas passiert.

Bedrohte Bauart

Wenn man sich in den Aufzugkabinen im Haus der Industrie zu knapp zum Ausgang stellt, hebt sich eine Klappe am Boden. Dem Zehenbruch ist damit vorgebeugt. Außerdem verbietet ein Schild Kindern und Gebrechlichen den Einstieg. Gepäck ist unerlaubt, Kinderwägen sowieso. "Wenn einer mit der Leiter einsteigen will, gäb's Brösel", warnt Zolles.

Sollte trotzdem einmal Gefahr entstehen, kann in jedem Stock ein Notstopp-Knopf gedrückt werden. Wobei es auch schon vorgekommen ist, dass Besucher die Nottaste drücken, weil sie dachten, so den Aufzug rufen zu können. Weil es immer weniger Paternoster gibt, können auch immer weniger Leute damit umgehen. Der Paternoster im Neuen Institutsgebäude der Uni Wien fiel vor ein paar Jahren der Bürokratie zum Opfer -  er wurde "wegen Allgemeingefährdung" aufgegeben.

Die ersten Stockwerke schneller

Die Industriellenvereinigung versichert aber, ihren Paternoster noch möglichst lange fahren lassen zu wollen, viele Mitarbeiter haben ihn liebgewonnen. Herr Zolles hat seinen Nachfolger schon eingeschult. Der Paternoster, sagt Zolles, sei auch schnell. Keine Wartezeiten, kein Türöffnen. "Die ersten vier Stockwerke muss der Aufzug schon anzah'n, damit er gleich schnell ist." (Lukas Kapeller, 5.4.2012)