Strafrechtlich wird wahrscheinlich nicht viel übrigbleiben von den Korruptionsvorwürfen gegen den Bundeskanzler und seinen Staatssekretär. Es ist eher eine betriebswirtschaftliche Fleißaufgabe, wenn die Oberstaatsanwaltschaft noch prüfen lassen will, ob es für das Unternehmen ÖBB einen Werbewert hatte, wenn der damalige Verkehrsminister in Inseraten erklären durfte, dass er erkannte Mängel bei der Bahn abstellen werde. Die anderen Vorwürfe gegen Werner Faymann und Josef Ostermayer erschienen den Juristen erst recht nicht verfolgenswürdig.

Aber um juristische Fragen geht es eigentlich gar nicht. Nicht beim Fall Faymann. Nicht bei den vielen Fällen, die jetzt Gegenstand des Untersuchungsausschusses sind. Auch nicht bei jenen Jagdeinladungen, Freundschaftsdiensten und Mauscheleien, die nicht einmal vor einen Untersuchungsausschuss kommen.

Es geht darum, wie Politiker in Österreich agieren, wie sie einzelne Unternehmen protegieren - oder sich umgekehrt von Unternehmern protegieren lassen. Es geht um das Geld, mit dem jene um sich werfen, die es kraft ihrer Position in die Hand bekommen - ohne zu bedenken, dass es nicht ihr Geld ist, sondern jenes der Bürgerinnen und Bürger. Es geht um das Gespür dafür, welche kleinen Gefälligkeiten sinnvoll sein können, um gewisse Härten des Gesetzes und von dessen bürokratischem Vollzug abzumildern - und welche Gefälligkeiten eben nicht mehr klein sind.

Vielen Politikern, vielen Geschäftsleuten und leider wohl auch einigen Beamten scheint dieser Sinn verlorengegangen zu sein. Man hat den Eindruck: Früher war das nicht so schlimm. Oder schauen wir nur näher hin auf Zustände, die es in der Zweiten Republik immer gegeben hat? Jedenfalls wollen die Österreicher diese Zustände ändern. In der ersten Aufregung wird stets gerufen: Wir brauchen neue Regeln! Ist die Aufregung etwas abgeflaut, sickert die Erkenntnis durch: Es haben die alten Regeln auch nichts geholfen.

Also brauchen wir vielleicht neue Politiker. Vielleicht gar: neue Parteien. Und die Freiheitlichen schreien "Hier!", noch ehe jemand ernsthaft über neue Parteien nachgedacht hat. Das haben sie in ihrer Parteigeschichte immer wieder gemacht: Schon der VdU war eine Gründung gegen die ÖVP und SPÖ, die sich nach dem Krieg das Land aufgeteilt hatten. Jörg Haider hat das Spiel gut beherrscht, Heinz-Christian Strache hat inzwischen ähnlich gut gelernt, die Mächtigen anzuprangern.

Aber muss es denn unbedingt Strache sein? Nein, sagen die Grünen. Sie sind immerhin als einzige Partei unbelastet von irgendwelchen Skandalen. Doch sie haben kein Monopol auf Anständigkeit: Schon bilden sich dutzende Initiativen, die nach Möglichkeit bei der Wahl 2013 mitmischen wollen. Sie wissen: Die Images der etablierten Parteien sind ramponiert, wer ganz von vorn anfängt (vielleicht mit finanzieller Unterstützung von Frank Stronach), könnte durchaus mitmischen. Man spürt, dass es Zeit ist für einen Wandel.

Und was ist mit der Koalition? Die hält sich zugute, dass das Land allen Missständen zum Trotz viel besser dasteht als andere. Aber auch bei SPÖ und ÖVP weiß man, dass es dafür keinen Dank geben wird. Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum nehmen wir als Selbstverständlichkeit. Bei der Wahl wird zählen, ob sie mit anständigen Methoden geschaffen wurden. (DER STANDARD, 6.4.2012)