Ein Logo, das man sich merken sollte: Anadolu erobert die Welt. "Glaubwürdig, unparteiisch, ethisch, schnell", steht unter dem Firmennamen.

Foto: Markus Bernath

"Große Nationen haben große Nachrichtenagenturen", sagt Kemal Öztürk und klatscht mit den Händen zufrieden auf die Armlehnen seines Lederfauteuils, aus dem er gerade seinen Vize vertrieben hat. Ahmet Tek, ein älterer Herr, war aufgesprungen und hatte seinen Sitz geräumt, als Öztürk ungeplant im Büro des Stellvertreters erschienen war. "Große Nationen haben große Nachrichtenagenturen", sagt der Chef von Anadolu also. "Wir drücken uns selbst aus und brauchen keine Vermittler." Will heißen: kein CNN und kein Al-Jazeera, weder Agence France Presse noch Reuters, die Agenturen der abgehalfterten Europäer.

Noch ist das alles Zukunftsmusik, doch sie klingt schön in den Ohren der türkischen Regierungspartei. "Unser Ziel ist, zu unserem 100. Geburtstag eine der fünf wichtigsten Nachrichtenagenturen der Welt zu werden", sagt Öztürk, bis vergangenes Jahr noch Presseleiter bei Regierungschef Tayyip Erdogan. 100 wird Anadolu in acht Jahren. Dann soll das Personal der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur von 500 auf 1500 verdreifacht sein, das Hauptquartier Europa in Brüssel stehen und die Agentur in nicht weniger als elf Sprachen Meldungen in die Welt schießen. Das ist schon mal eine Ansage. Krise und Sparen gibt es nicht.

Anadolu, so wird beim Besuch in Ankara klar, ist die Fusion von Kemalismus und AKP geworden, die Fortsetzung von Modernisierungskampagne und Weltgeltung, die zurückerobert sein will. Kemal Atatürk hatte 1920 damit begonnen. Jetzt läuft sie im Gewand des Islam-Kapitalismus der konservativ-muslimischen Regierung, die seit November 2002 im Amt ist. Für ihren Status als neue Wirtschaftsmacht und Champion multilateraler Diplomatie braucht die Türkei auch einen globalen Nachrichtenproduzenten: Anadolu 2.0. Im Vormonat hat die Agentur mit einem Büro in Sarajevo die große Expansion begonnen. Im Balkanstaat beliefert sie Zeitungen und Radio. Bosnien liest und hört jetzt Anadolu.

Den Einfluss der Regierung auf die tägliche Arbeit von Anadolu redet Öztürk, 43, klein. Anadolu sei ein Wirtschaftsunternehmen, dessen Mehrheitsanteile von Privatpersonen gehalten werden und nicht vom Staat. Entscheidungen über die Agentur treffe der Verwaltungsrat, nicht die Regierung. Wenn er die Zahl von 105 inhaftierten Journalisten in der Türkei hört, runzelt Kemal Öztürk die Stirn. Erstens ist die Zahl falsch, zweitens die Beschreibung. Die Journalisten sind nicht wegen ihrer Arbeit verhaftet worden, sondern wegen terroristischer Aktivitäten. Beruf irrelevant. "Man sagt ja auch nicht: 'Es sind fünf Ärzte in Haft.' Ein Kolumnist geht in der Türkei nicht ins Gefängnis aufgrund der Dinge, die er schreibt. Ein Kolumnist geht ins Gefängnis, weil er in den Terrorismus verwickelt ist."

Eine Neuerung hat Anadolu-Chef Öztürk auch diese Woche angekündigt: Unter den elf Fremdsprachen, in denen die türkische Nachrichtenagentur in den nächsten Jahren arbeiten will, wird auch Kurdisch sein. Noch eine Modernisierung. (Markus Bey, derStandard.at, 12.4.2012)