Wien/Eriwan - In der früheren Sowjetrepublik Armenien im Südkaukasus finden am Sonntag Parlamentswahlen statt. Meinungsforscher erwarten, dass die Republikanische Partei (RPA) von Präsident Sersch Sarksjan (Serge Sarkissian) und ihre Verbündeten ihre Vormachtstellung werden behaupten können. 90 der 131 Abgeordneten der Nationalversammlung (Azgajin Schogow) werden per Verhältniswahlrecht bestimmt, über die restlichen 41 Mandate wird nach dem Mehrheitswahlrecht entschieden.

Kandidaten treten für insgesamt acht Parteien und eine Wahlallianz, das Oppositionsbündnis Nationaler Kongress (ANC), an. Polit-Analyst Stepan Grigorjan geht allerdings davon aus, dass die Kommunisten sowie zwei weitere Gruppierungen die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament nicht schaffen werden, so dass mit einer aus sechs Fraktionen bestehenden Volksvertretung zu rechnen ist. Armenien ist die einzige Ex-Sowjetrepublik, in der seit 1991 die Kommunisten nie mehr das Sagen hatten. Für Allianzen gilt eine Sieben-Prozent-Hürde.

Das gemischte Wahlrecht macht genaue Vorhersagen schwer. Meinungsforscher Aharon Adibekjan geht auf Grundlage von Umfragen aber davon aus, dass keine Partei allein die absolute Mehrheit ab 66 Sitzen erringen wird. Adibekjan erwartet, dass die Republikaner mit etwa 40 Prozent den ersten Platz belegen werden, was die per Verhältniswahlrecht vergebenen Mandate betrifft. Demnach folgt dahinter Blühendes Armenien. Die mitregierende Partei wurde nach allgemeiner Einschätzung 2004 vom damaligen Präsidenten Robert Kotscharjan, der mit Parteien kooperierte aber kein Parteipolitiker war, eigentlich initiiert, um ein Gegengewicht zu den Republikanern zu schaffen, mit circa 35 Prozent. Für den ANC von Ex-Präsident Lewon Ter-Petrossjan wurden knapp 25 Prozent prognostiziert.

Unter den internationalen Beobachtern der Wahl befinden sich Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die OSZE-Beobachter berichteten zwar von mehreren Regelverstößen - so sollten Lehrer und Schüler in Schulen für Wahlveranstaltungen der Republikaner vergattert werden, und es kam zu zwei Handgemengen in Eriwan - bewerteten den bisherigen Wahlprozess aber grundsätzlich positiv.

Bei der Wahl Sarksjans zum Staatspräsidenten 2008 kam es zu schweren Unruhen mit Toten. Anhänger des Oppositionskandidaten Ter-Petrossjan lieferten sich Straßenschlachten mit Sicherheitskräften. Die OSZE zeigte sich mit dem Urnengang damals allerdings weitgehend zufrieden. Im Vorjahr gingen in Anlehnung an den Arabischen Frühling mehrmals Tausende Oppositionelle in Eriwan auf die Straße, um vorgezogenen Neuwahlen zu erreichen - vergeblich.

Die Wahllokale öffnen am Sonntag um 08.00 Uhr (06.00 Uhr MESZ), sie schließen um 20.00 Uhr (18.00 Uhr MESZ). Laut Wahlkommission sollen gleich danach vorläufige Ergebnisse veröffentlicht werden. Wahlberechtigt sind rund 2,4 Millionen Menschen. Nur ein Drittel der Armenier lebt in Armenien selbst; es gibt eine große Diaspora nicht nur in Ländern der Region sondern vor allem auch in den USA oder Frankreich. Die Legislaturperiode in Armenien dauert fünf Jahre.

International in die Schlagzeilen gerät Armenien immer wieder wegen zwei Themen: Streitigkeiten mit der Türkei um die Einstufung der Massaker an Hunderttausenden Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord sowie dem ungelösten Konflikt mit dem Nachbarn Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach. Die Grenze zum Nachbarn Türkei ist aufgrund der historischen Feindschaft nach wie vor geschlossen. In Berg-Karabach, um das es Anfang der 90er Jahre zum Krieg kam, leben fast nur noch Armenier. Das Gebiet wird von Armenien militärisch kontrolliert. Immer wieder kommt es zu Gefechten mit aserbaidschanischen Truppen mit Toten. Es besteht via eines Korridors eine direkte Landverbindung zwischen Armenien und Berg-Karabach. Wegen der belastenden Beziehungen zur Türkei und Aserbaidschan ist Armenien vor allem in Sachen Energieversorgung stark von Russland abhängig - mangels einer gemeinsamen Grenze via Georgien. (APA, 04.05.2012)