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Salz genug gibt es in den Lagunen.

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Sogar in der trockensten Wüste der Welt findet das Leben einen Weg.

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Valle de la Luna - das Mondtal.

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Gusto auf Geysir? Im 4300 m hoch gelegenen Tatio lohnen auch Detailblicke auf das Spielmaterial der Vulkane.

Anreise & Unterkunft
Reisezeit: Ganzjährig, praktisch niederschlagsfrei. Besonders angenehm sind die Monate März bis Juni, September bis November.
Anreise: Den Inlandsflughafen Calama erreicht man über Santiago de Chile u. a. mit Lan Chile - die chilenische Fluglinie bietet auch einen Air-Pass für weitere Inlandsflüge an.
Veranstalter-Tipp: "Faszination Atacama-Wüste" über www.kuoni.at, Tel.: 01/512 94 00.
Info: www.chile.tourismus.de; www.chileinfo.de

Grafik: DER STANDARD

Gegen acht legt sich der Spuk. Dann schwächeln die Wasserdampfsäulen, ziehen sich schließlich ganz in ihre heißen Löcher zurück - und die verschlafenen Touristen in ihre Mini-Vans. Das morgendliche Zischen der Fontänen, eine Pflichtstation des Atacama-Circuit, ist dann vorüber.

Doch tritt man näher heran, zeigt das Geysirfeld von El Tatio ganz neue Facetten: Bizarre Drachenschuppen aus Kalkstein hat das kochend heiße Wasser geschaffen. Dazwischen schimmern schwefelgelbe, ockerrote Stellen, und die Algen leuchten herrlich giftgrün. Achtzig aktive Geysire machen El Tatio im Norden Chiles zu einem der größten Geysirfelder der Welt, und vermutlich zu jenem mit der spektakulärsten Anfahrt.

Sie beginnt in der Regel vor fünf, wenn das morgenklamme Örtchen San Pedro de Atacama eine Mini-Rushhour erlebt. Die zerbeulten Trucks, die im Dreiländereck Chile-Bolivien-Argentinien auf die Zollabfertigung und die Weiterfahrt zum Paso de Jama an der argentinischen Grenze warten, dürfen dann noch ein wenig rasten. Denn im Moment rackern sich bloß die Vehikel der lokalen Reiseagenturen Richtung Vulkanland hoch und die paar Selbstfahrer, denen am klirrend kalten Morgen vielleicht die Scheibenflüssigkeit gefriert, aber sicher nicht die Blase. Dass die Vesica urinaria ab viertausend Meter häufiger drückt, der Mensch im Altiplano-Hochland stets irgendwie durstig und perforiert zugleich wirkt - auch diese Erfahrung beschert einem der frühe Morgen.

Doch die erhöhte Pinkelpausen-Frequenz ist keineswegs verlorene Zeit, erlaubt sie doch meditative Panoramablicke auf eine Mondlandschaft in Buntmetall. Der Unterdruck der Nazca-Platte unterhalb des Festlandes prägt ja auch die zum Greifen nahen Vulkane - überwiegend Fast-Sechstausender wie der perfekt geformte Lincancabur (5916 m), der zuerst den Inkas heilig war und jetzt den Herren vom Touristenamt. Mit knapp 4300 Meter Seehöhe zählen El Tatios Geysire zu den höher gelegenen Ausflugszielen, die von San Pedro aus angesteuert werden - ein Trip, der durch unterschiedliche Geländestufen führt. Und der nun, bei Licht besehen, das Rätselraten der nächtlichen Anreise - "Wolke oder Vulkan? Schluck, eine Schlucht?" - als fantastischen Bilderbogen auflöst. Die Grazie der Vicuña, die jetzt übers verwaiste Geysir-Gerinnsel defilieren, ist da bestenfalls ein Beginn. Denn das Altiplano-Hochland hat noch mehr auf Lager: Felsen, die einmal lachsrosa, dann kupferrot schillern. Schwarz glänzendes Geröll, das direkt nach Mordor zu führen scheint. Die quietschgrünen Pölster der Llareta-Pflanzen - hart wie Stein, aber gut zum Heizen.

Hühner im Rückspiegel

Später liegt das Indio-Dorf Machuca an einer Nebenstraße, lässt Bilder von holprig ausgeführten Sandburgen aufkommen: eine eckige Kirche für die runden, breiten Llameros, die hier seit Jahrhunderten dem Wind und der Kälte trotzen, und jetzt dem Teergeruch des herangerückten Straßenbaus. Denn längst zerschneidet die verbreiterte Trasse benachbarte Sümpfe, für Laster, die Sulfur zu den Häfen karren. Riesenblässhühner mit knallroten Vogelfüßen sehen ihnen hinterher. Und in tieferen Lagen: fünf Meter hohe Cardones-Kakteen, die mit erhobenen Armen in den Böschungen stehen - und denen die frühe Sonne soeben fahlgelbe, weiche Gegenlicht-Pyjamas überzieht.

Das war der Tatio-Tag. Ein Schnaller. Aber keineswegs der einzige. Denn das Konzept "Wüste" fällt in einer Gegend wie der chilenischen Atacama - sie ist der trockenste Platz der Welt: an manchen Stellen wurde noch nie Niederschlag verzeichnet - verblüffend vielfältig aus. Türkisgrüne Altiplano-Lagunen wie die von Atacameño-Communitys verwaltete Laguna Miscanti, in denen sich die Kette der schneebedeckten Andengipfel spiegelt, aber auch das Rosarot der Chilenischen Flamingos, umfasst das riesige Gebiet im Windschatten des Gebirgszuges, das im Norden bis nach Peru reicht. Ferner tief eingeschnittene Schluchten, mit Pappeln und den zitternden "Fuchsschwänzen" des Cola-de-Zorro-Schilfes, das die Ufer versteckter Wasserläufe und heißer Quellen versilbert. Petroglyphen präkolumbianischer Zivilisationen finden sich hier, die die gnadenlose Trockenheit vor 7000 Jahren zu den ältesten Mumifizierungen der Welt inspirierte. Und seit der kalte Humboldtstrom vor der Pazifikküste versiegt, mischt sich auch noch der Himmel ein: diesen Februar sogar im abgeschiedenen Valle de Arcoiris, dem Regenbogental. Starkregenfälle unterspülten da die Häuser des nahen Dörfchens Rio Grande, rissen Schotterpisten und Brücken weg. Seither sind die Ausflüge in den spektakulären Canyon von San Pedros Exkursionsmappen gestrichen - aber nicht von jenen der Trekking-Agenturen. Wer hierher will, geht besser zu Fuß.

All das verwirrt mitunter. Geysire, Flüsse, Canyons? Wer Atacama sagt, denkt in der Regel an die Salar de Atacama. Und hat dann einschlägige Bilder der vermutlich berühmtesten Salzpfanne der Welt vor Augen, sonnenbebrillte 4WD-Machos und Mountain-Bike-Masochisten in neonbunten Kasperlhosen, die durch eine Art spiegelglattes Salz-Nirwana rudern, inklusive. Kurz: ein Ort, an dem sich der Himmel in einer milchig-weißen Suppe spiegelt und wo man Reifenprofile wie Kondensstreifen hinterlässt.

Souvenirs im Salz

Guide Gustavo, Outdoor-Experte der exklusiven Explora-Lodge, sieht sogar noch mehr. Oder behauptet es zumindest: "I saw cars ... eaten by salt!" Das klingt ernst: Wer es wagt, die dazugehörige Schweigesekunde zu brechen, muss vielleicht bereits an der Explora-Bar verdursten. Vielleicht empfiehlt Gustavo deswegen bei der Suche nach den besonders weißen Atacama-Flecken eine Route, die ein wenig an Mad Max erinnert, aber zugleich für das halluzinatorische Landschaftspotpourri à la Atacama typisch ist: zweite Einfahrt Valle de la Luna, Mondtal, das mit den bizarren, roten Felsnadeln. Aber dann da, wo alle die Linkskurve nehmen, einfach geradeaus: am eingezäunten Minenfeld, dem Souvenir chilenisch-bolivianischer Reibereien vorbei; dann quer durch die Cordillera del Sal.

Vielleicht macht sich Gustavo auch bloß wichtig. Denn wer in San Pedro de Atacama aufbricht, darf sich heute sogar über einen Fahrradweg zum Valle de la Luna freuen und auf helmpflichtige Ausritte in umliegende Schluchten.

Das heißt: falls man aufbricht. Das freundliche Städtchen hat sich zur überregionalen Drehscheibe entwickelt, verbindet die regionale archaische Bauweise mit dem Fingerspitzengefühl einer an Ethno-Design-Konzepten geschulten, urbanen Klientel. Grobe Adobe-Lehmziegel, aus stacheligen Zweigen geflochtene Zäune erzählen davon. Aber auch das offenporige "Holz" der Kandelaberkakteen, das in coolen Bars und der 300 Jahre alten Iglesia gleich gut wirkt. Aber Hippie-Hangout? Dazu sehen die Studenten und Señoras aus Santiago zu flauschig aus, Hazienda plus Halligalli trifft das aktuelle San-Pedro-Feeling besser. Das "Tal des Todes" trifft es am allerbesten: Valle de la Muerte, eine enge Schlucht wie im Italo-Western, an dessen Ende sich eine riesige Sanddüne querlegt. Und auf ihr die Sandboards der jugendlichen Wüstenurlauber. Abfahren auf Atacama - hier geht es sogar mit Hüftschwung. (Robert Haidinger, Rondo, DER STANDARD, 18.5.2012)