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Der temporäre Wohnort des kanadischen Künstlers Gareth Moore in der Karlsaue: eine Siedlung, gebaut aus dem, was die Zivilisation ausgeschieden hat.

Foto: apa /EPA/Zucchi

Ein Lokalaugenschein.

Manche hätten vorgegeben, richtig gut bellen zu können. Andere prahlten, sie hätten den Hund in sich schon erfolgreich auf der Leinwand gegeben, erzählt jener Mann, der den Zutritt zum Skulpturengarten für Vierbeiner kontrolliert. Talent zählt hier nicht. Pierre Huyghes Disneyworld unter den Hundespielpätzen, im idyllischen Grün am Ende der Karlsaue gelegen, ist ein Ort für Privilegierte - also für Frauchen oder Herrchen in Vierbeinerbegleitung.

Die Documenta, probiert man den Mitarbeiter umzustimmen, habe sich doch die Ausweitung der Grenzen vorgenommen. Es sei also an ihm, selber zu definieren, wer oder was ein Hund sei. Der Mann lächelt verunsichert. Der Mensch, so haben die Kasseler gelernt, ist eben kein Hund. Was noch ein Hund ist, definiert allenfalls Carolyn Christov-Bakargiev.

Plötzlich hat man die autoritäre Chefin des 100 Tage währenden Kunstfestivals wieder am Schirm; man wollte sie den Künstlern zuliebe gerne beiseiteschieben. Denn von diesen hat sie eine erkleckliche Anzahl interessanter, weil interdisziplinär arbeitender in Kassel versammelt. Es ist jedoch wie ein Schluckauf, von dem man befallen wird, sobald der Blick auf den die ästhetische Handschrift der Documenta 13 "bedrohenden" Balkenhol im Kirchturm nahe des Friedrichsplatzes trifft. Der macht sich wirklich wunderbar dort oben. Ganz anders als wenige Dächer weiter ein Dschungel aus Mobilfunkantennen. Der stört in der Tat.

Es stört, dass der Kuratorin nicht auffällt, dass dieses Zensor-Gehabe, Grenz-Beharren und das Elitäre der Preview ihrem Konzept widerspricht. Ein Konzept, das sich anschickt, vorhandene Ordnungen und Vorstellungen über Mensch und Tier, Gesellschaft, Politik und Ökonomie umzukrempeln. Aber wenn man sich nicht mehr im Museum herumdrückt, sondern bereits in der 150 Hektar großen Aue angelangt ist, atmet man tief ein, vergisst und genießt die Parallelwelt. Etwa die parallele alternative Mikroökonomie der Time/Bank, die in einer mit bunten Postern (darauf Gesuche ihres Tauschzirkels) tapezierten Holzhütte Quartier gefunden hat.

Anders als Tauschkreise, die mit "Talenten" zahlen, sich regional etabliert haben und inzwischen sogar Bankenlizenzen erwerben können, ist Julieta Arandas und Anton Vidokles Projekt für die globale Kunstszene tatsächlich noch an die immaterielle Währung Zeit gebunden. Im Ottoneum präsentiert Claire Pentecost ihr alternatives Zahlungsmittel aus gepresstem Ackerboden: Durch seine Zerbrechlichkeit ist er ortsgebunden und verweigert sich so dem Waren- und Geldverkehr.

Gratis oder Müll

Gratis - zumindest für die Zeit der Documenta - ist es, sich von Lori Waxman eine Kunstkritik verfassen zu lassen. 25 Minuten betrachtet sie jeweils die Arbeiten und verfasst dann 200 Wörter, 60 pro Minute. Eine sportliche Demokratisierung, aber zugleich auch Bürokratisierung von Kritik. Nichts gekostet haben auch die Baumaterialien, mit denen 50 arbeitslose Helfer das leerstehende Hugenottenhaus renoviert haben. Es stammt, weitgereist, aus dem Abriss eines Hauses in Chicago. Der schöne Symbolwert schlägt sich auf des Künstlers Theaster Gates persönliche CO2-Bilanz allerdings weniger gut zu Buche.

Irgendwie dekadent auch der Champagnerempfang, für den ein Berg Trockeneis im Park aufgeschüttet wurde. Gleich daneben der "Monte Scherbellino", das vielfotografierte Projekt namens Doing Nothing Garden des chinesischen Künstlers Song Dong. Die Idee, Müllberge zu bepflanzen und in Erholungsräume umzuwandeln, ist jedoch in der Stadtplanung seit Jahrzehnten Usus.

Um das champagnerisierende VIP-Volk abzuschütteln, gräbt man sich wieder tiefer in die Aue. Sicher, der Park ist nun verhüttelt, aber genau das verwandelt die barocke Anlage in einen Lebensraum - einen niedrigschwelligen Bereich, der auch die Kunst nahe an die Menschen heranholt. Etwa in Gareth Moores abgelegener Zuflucht, die er sich aus ausrangiertem Material, dem vermeintlich Unbrauchbaren, gebaut hat.

Im Park wächst auch der Korbiniansapfelbaum in Gedenken an den widerständigen Pfarrer und Gärtner Korbinian Aigner, der als KZ-Insasse vier Apfelsorten züchtete. Im Fridericianum hängen nun einige seiner Zeichnungen: 900 Apfelsorten hat er dokumentiert. Ein wortloses Plädoyer für Vielfalt.

Trotzdem: Wer die kalten, musealen Hallen einmal Richtung "Abseits der Hauptschauplätze" (so der offizielle Duktus) verlassen hat, wird in dieser Documenta nicht dorthin zurückkehren. Da kann Ryan Gander noch so sehr versuchen, frischen Wind in das Fridericianum zu blasen.     (Anne Katrin Feßler aus Kassel,  DER STANDARD, 9./10.6.2012)