Screenshot: derStandard.at

Schon im vergangenen März wurde der "Österreichische Baukulturreport 2011" von Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ) stolz präsentiert (derStandard.at berichtete). In dieser Woche war das 160-seitige Werk nun auch Thema im Nationalrat; und wenn es danach geht, wie affirmativ die heimischen Parlamentarier diesen Bericht "einstimmig zur Kenntnis genommen" haben, steht der alsbaldigen Umsetzung der 45 konkreten Empfehlungen wohl nichts mehr im Weg.

Diese Empfehlungen betreffen etwa so umfassende Dinge wie die gesamte Raumordnungs-, Förderungs- und Abgabenpolitik in diesem Land. Diese sollte "auf die Stärkung von Orts-, Stadt- und Regionszentren ausgerichtet werden", raten die Autoren. Die interkommunale Zusammenarbeit sollte gefördert werden, bei der Standortauswahl sollte die vorhandene Infrastruktur stärker miteinbezogen werden. Außerdem sollte mehr auf die Lebenszykluskosten als auf die reinen Baukosten eines Gebäudes geachtet werden und die ökologische Effektivität von Bauten insgesamt gesteigert werden.

Große Bedeutung misst der Baukulturreport aber auch der Wissensvermittlung über Baukultur bei, die Autoren empfehlen etwa die Entwicklung von Baukulturmodulen für den Unterricht ("Baukulturkoffer"), außerdem die Ausarbeitung einer Deklaration des Bundes zur Baukultur sowie die Einführung einer Stiftung zur Förderung des Prinzips "Baukultur". (Die gesamte Liste findet sich in dieser pdf-Version des Reports ab S. 18).

"Zersiedelung?" ...

Schon im Bericht des parlamentarischen Bautenausschusses, der in der vergangenen Woche getagt hatte, wurde die voranschreitende Zersiedelung in diesem Land als dringend zu lösendes Problem hervorgestrichen. Dem überwiegenden Teil der Abgeordneten dürfte das Problem somit klar sein. Dass deswegen nun in der heimischen Politik aber sozusagen über Nacht die raumplanerische Vernunft um sich greift, muss leider bezweifelt werden.

Darauf lässt unter anderem die Tatsache schließen, dass ein Abgeordneter der SPÖ allen Ernstes den Vorschlag machte, den Baukulturreport, der seit mehr als zweieinhalb Monaten auf baukulturreport.at zum Download zur Verfügung steht, "auch den Gemeinden zukommen zu lassen". Überhaupt war in den Reihen der größeren Regierungspartei sehr viel anerkennendes Geplauder für Staatssekretär Ostermayer zu hören, wenn diesem etwa von Bautensprecherin Ruth Becher für die "materielle und ideelle Unterstützung" der Entstehung des Reports ausdrücklich gedankt wurde. Man muss fast sagen: Zuviel des Guten. Punkto Umsetzung scheint den Regierungsparteien nämlich nicht viel mehr einzufallen als auf die schwierigen Gegebenheiten am Land hinzuweisen.

... "Andere Probleme!"

"Was hindert uns eigentlich daran, die Empfehlungen des Reports in Form von Fünfparteien-Anträgen auch umzusetzen?", fragte Grünen-Bautensprecherin Gabriela Moser herausfordernd. Dass das Problem der Zersiedelung "endlich angegangen" werden müsse, sei seit langem klar - "und zwar nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen".

Die steirische Abgeordnete Elisabeth Hakel antwortete darauf, dass Politikerinnen und Politiker im ländlichen Raum oft "andere Probleme" hätten, als intensive Baukultur zu betreiben - beispielsweise jene, "die Abwanderung von Supermärkten oder Betrieben in Nachbargemeinden" zu vereiteln, oder "die Infrastruktur" - sozusagen als Ganzes - "zu erhalten".

Den "Beirat für Baukultur", der nun nach 2006 zum zweiten Mal den Baukulturreport erstellt hat, nannte der Grüne Abgeordnete Wolfgang Zinggl "zahnlos" - was wohl weniger als Geringschätzung des Beirats, mehr als realpolitische Einschätzung gedacht war. Manche der Empfehlungen seien nämlich auch schon im letzten Baukulturreport vor fünf Jahren gestanden, ohne dass sich etwas geändert hätte. Dabei gebe es großen Handlungsbedarf, das zeige sich nicht zuletzt an den "vielen Bausünden".

Die "Zahnlosigkeit" stellte Silvia Fuhrmann in Abrede, denn es liege "natürlich in der Verantwortung der Politik, die Empfehlungen des Beirats ernst zu nehmen und sie auch umzusetzen", betonte die ÖVP-Abgeordnete. Ihr Parteigenosse und Bautensprecher Johann Singer rang sich das Bekenntnis ab, dass es wichtig sei, "bei neuen öffentlichen Bauten in Zukunft ein Umdenken in der Bewertung weg von den tatsächlichen Errichtungskosten hin zu Lebenszykluskosten" in die Wege zu leiten. Immerhin.

Positive Beispiele im Schulbau

Kaum mehr als Lippenbekenntnisse gab es auch zu den Empfehlungen für den Schulbereich. SPÖ-Abgeordneter Elmar Mayer meinte, die Politik solle den Bericht "zum Anlass nehmen, dort helfend einzuschreiten, wo sich Fragen ergeben - damit Schulen gebaut werden, in denen sich Kinder ganztägig aufhalten und gefördert werden können."

Der Grüne Abgeordnete Harald Walser nannte positive Beispiele, denen es nachzueifern gelte - etwa den Schulcampus Sonnwendviertel in Wien oder den Bildungscampus Moosburg in Kärnten. "Dazu braucht es Inklusion, mehr Eigenverantwortung von Schülerinnen und Schülern oder entsprechende Schulen, die ganztägig geführt werden können. Darum gilt es, in Koordination mit der laufenden Schuldiskussion die richtigen Weichen zu stellen."

"Gelebtes Vorbild"

Wie sich diese "klaren Aufträge", das "Umdenken" und das "Weichen stellen" in Zukunft ausgestalten werden, muss wohl aufmerksam beobachtet werden. Denn schnell geht in diesem Land bekanntlich nichts: Einem Entschließungsantrag des BZÖ, in dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, "schnellstmöglich Gesetze vorzulegen, die eine bundeseinheitliche Bau- und Raumordnungsgesetzgebung ermöglichen", war dann nämlich erst recht keine Mehrheit beschieden.

Nicht nur für den Sprecher der "Plattform Baukultur", Jakob Dunkl, blieb die Debatte deshalb vorerst jedenfalls jede konkrete Initiative und jeden Beschluss schuldig. Regierung und Parlament hätten nun aber zumindest "die Möglichkeit, zu beweisen, dass ihnen eine Verbesserung der baukulturellen Situation am Herzen liegt. Aber nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten", meinte er in einer Aussendung - damit der Report nicht "am parlamentarischen Abstellgleis" hängen bleibe.

Schließlich hat auch die FPÖ Interesse daran, dass die Empfehlungen des Baukulturreports Schritt für Schritt umgesetzt werden - wenn auch aus etwas anders gelagerten Motiven: "Ansonsten wären nämlich die für den Bericht aufgewendeten 178.600 Euro umsonst investiert worden", sagte der Abgeordnete Bernhard Vock laut Parlamentskorrespondenz.

Österreich, wie es leibt und lebt. (derStandard.at, 15.6.2012)