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Offiziell nur "Krieger hoch zu Ross": Alexander der Große im Zentrum von Skopje.

Foto: Reuters/Teofilovski

Die Vorstadt von Skopje ist heruntergekommen, man fährt durch unverhülltes Elend. Das Bild entspricht der Bewertung der britischen Zeitschrift Economist, die Mazedonien nach einem Armutsindex an die erste Stelle von 92 analysierten Ländern setzte. Doch ist man einmal im Zentrum angelangt, ist der Staub der Randbezirke angesichts des prachtvollen Kitsches schnell vergessen.

Man bekommt den Eindruck, sich inmitten einer Kulisse für einen historischen Film zu befinden: die prunkvollen Gebäude des archäologischen Museums und des Verfassungsgerichts im neobarocken Stil auf der einen Uferseite des Flusses Vardar, antik wirkende Skulpturen von Kaiser Samuil oder Justinian I. auf der anderen, ein "römischer" Pavillon, eine Schar Löwen aus Bronze und mazedonische Soldaten mit Lanzen in Kampfstellung, der große mazedonische Patriot und Revolutionär Goce Delcev ...

Das Projekt "Skopje 2014" hat Form angenommen. Überall wird gebaut, über Nacht entstehen neue Denkmäler, die Meilensteinen der mazedonischen Geschichte gewidmet sind. Und über all den von der Regierung bestellten "patriotischen Kunstwerken" auf dem Platz Makedonija prangt ein riesiges, fünf Millionen Euro teures Denkmal Alexander des Großen auf Pferd mit ausgestrecktem Schwert. Allerdings darf Alexander der Mazedonier wegen Protesten aus Athen, das ihn als exklusives Symbol der hellenischen Antike beansprucht, offiziell lediglich als "Krieger hoch zu Ross" bezeichnet werden. Man wollte sich auf keinen neuen Streit einlassen mit Griechenland, das seit Jahren den Beginn der Beitrittsverhandlungen Mazedoniens mit der EU und eine Nato-Mitgliedschaft blockiert, weil es in dem Staatsnamen "territoriale Ansprüche" wittert. Skopje will wiederum im Namensstreit "unter gar keinen Umständen" nachgeben, und so kommt in der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien" (FYROM), wie sie offiziell heißt, recht wenig voran.

30 Prozent Arbeitslosigkeit

Das seit Jahren umstrittene Projekt "Skopje 2014", das viele anfangs für einen Witz hielten, hat sich als ein Grundstein der nationalen Politik von Premier Nikola Gruevski herausgestellt. Die Mazedonier hat es in verbissene Gegner des "sauteuren nationalistischen Größenwahns" und Befürworter der "Politik des nationalen Stolzes" gespalten. Während dieses "Disneyland" gebaut werde, stehe im Rest des verarmten Landes mit einer Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent alles still, sagt Expremier Ljupco Georgijevski.

Als Premier und damaliger Chef der heute regierenden nationalistischen VMRO-DPMNE, von der er sich trennte, als Gruevski an die Parteispitze kam, prägte der national-konservative Georgijevski allerdings selbst den Slogan von den "vier Wölfen", die Mazedonien umzingeln: Griechenland erkennt den Staatsnamen Mazedonien nicht an; Bulgarien bestreitet die Existenz der mazedonischen Sprache und Nation; Serbien die autokephale mazedonische orthodoxe Kirche, die sich von der serbischen Kirche abgespalten hat; Albanien schließlich setzt Mazedonien über die albanische Minderheit unter Druck, die aufgrund des Friedensabkommens von Ohrid, das 2001 die Auseinandersetzung zwischen albanischen Rebellen und mazedonischer Regierung beendete, mit mindestens 23 Prozent in allen staatlichen Institutionen vertreten sein muss.

In dieser "feindlichen Umgebung", inmitten der tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Krise, setzt Premier Gruevski auf die Karte des nationalen Trotzes. Die Regierung propagiert die "antike Herkunft" der Mazedonier. Statt einer von anderen abhängigen Hoffnung für die Zukunft wird eine schönere Vergangenheit geboten, den slawisch- orthodoxen Mazedoniern eine neue, "antike" Identität angepriesen, die auf dem Erbe von Alexander dem Großen beruht. Während Kunsthistoriker und Architekten wie der bekannte Miroslav Grcev das alles als "lächerlich", als "ideologische Fassaden" abtun, scheint das Projekt der nationalen Erneuerung bei vielen Mazedoniern zu greifen.

"Missbrauch von Gefühlen"

"Ohne Gewissensbisse wegen möglicher Folgen missbrauchen die Machthaber nationale Gefühle, die Identitätsfrage und die Geschichte", erklärt die politisch engagierte Soziologin Mirjana Najcevska. Ziel sei es, von realen Problemen abzulenken, die breite Front der sozial Unzufriede - nen aufzusplittern. Das ist laut dem freischaffenden Journalisten Siniša Stankovic möglich, weil die Regierung und VMRO-DPMNE "fast alle Medien kontrollieren".

Mittlerweile versuchen die Sozialdemokraten (SDSM) des früheren Staatspräsidenten Branko Crvenkovski die zerstrittene Opposition zu einen. Mit dem einzigen Ziel, die Koalitionsregierung aus VMRO-DPMNE und der Albanerpartei DUI abzuwählen, zeichnet sich ein Lager aus linken, rechten und albanischen Oppositionsparteien ab.

Premier Gruevski wiederum erwägt laut mazedonischen Medien, schon im November, zwei Jahre vor Mandatsablauf, Neuwahlen auszuschreiben, solange sich seine auf dem Projekt der antiken Identität beruhende Popularität noch hält. Das einstige mazedonische Motto "Die Nato wird uns verteidigen und die EU ernähren", scheint unerreichbar. Weil notwendige Investitionen aus Europa und den USA nicht kommen, wendet sich die Regierung Gruevski an China und Indien. Dort kümmert man sich wenig um das antike Theater. (Andrej Ivanji, DER STANDARD, 2.8.2012)