Starker Mann? Nein, danke! Für die Jugend ist Demokratie "ganz klar die beste Staatsform", sagt Jugendforscher Philipp Ikrath.

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STANDARD: Wie politisch ist denn die heutige Jugend eigentlich?

Philipp Ikrath: Wenn man unter dem Politischsein die Bindung an politische Akteure, ob an Parteien oder aber auch an Neue Soziale Bewegungen, versteht, kann man die Jugendlichen als apolitisch bezeichnen. Solche Themen sind nur für eine kleine Minderheit interessant. Das heißt aber nicht, dass Jugendliche sich nicht für genuin politische Themen interessieren würden. Für solche, die in ihrer Lebenswirklichkeit vorkommen oder die ihnen Angst machen, wie der Rückbau des Sozialstaates, Bildung bis hin zu Rauchverboten, haben sie ein feines Gespür. Nur sind das in ihrer Wahrnehmung eben keine "politischen" Themen. Mit Politik verbinden sie vor allem das System der Parlamente, Parteien und Regierungen.

STANDARD: Mit welchen Etiketten lässt sich die Jugend heute am ehesten beschreiben?

Ikrath: Man könnte sie als eine Generation verhinderter Spießer bezeichnen. Sie sehnen sich nach einem Leben mit heiler Familie, Haus im Grünen und Golden-Retriever-Welpen. In der Realität sind sie aber mit überzogenen Mobilitätsanforderungen, ständigem Leistungsdruck und beinhartem Konkurrenzkampf konfrontiert, was ein unauffälliges, dafür aber zufriedenes Leben für sie zunehmend utopisch erscheinen lässt.

STANDARD: Sie haben im Frühjahr eine Jugend-Wertestudie vorgelegt. Welche Werte sind da wichtig?

Ikrath: Im Zuge der Globalisierung - und der damit verbundenen steigenden Komplexität und Unsicherheit - sowie der Zunahme rationaler, ökonomischer Denkmuster in allen Lebensbereichen rücken Familie und Freunde wieder in den Fokus. Hier findet man den sicheren Rück- und Zusammenhalt und die emotionale Wärme, die man in der "Welt da draußen" vergeblich sucht.

STANDARD: Wo rangiert da Politik?

Ikrath: Im Leben der meisten Jugendlichen hat die Politik schon über die letzten 20 Jahren hinweg keine große Rolle gespielt. Und daran hat sich wenig geändert. Was sich geändert hat, ist die Einstellung der Jugendlichen zur Politik. Von betont kritischer Distanz oder freundlichem Gewährenlassen ehedem hin zu tiefem Misstrauen und offen zur Schau gestelltem Desinter esse heute.

STANDARD: Was ist den Jugendlichen wichtig, auf das die Politik potenziell Einfluss hat?

Ikrath: Wichtig ist ihnen in all diesen Bereichen, dass die Politik ihren individuellen Zielen nicht im Wege steht. Das bedeutet etwa, dass man Gerechtigkeit so lange hochhält, solange man selbst nichts abgeben muss. Solidarität wird zwar gerne eingefordert, aber ungern selbst geübt.

STANDARD: Wie kann die Politik die Jugendlichen erreichen?

Ikrath: Wo sich die Positionen der Parteien einander immer weiter annähern, rücken die Personen und die Prozesse in den Vordergrund. Den Piraten etwa wird von politischen Kommentatoren immer wieder Inhaltsleere vorgeworfen. Bei den Jugendlichen sind sie aber genau deswegen beliebt, weil sie Mitbestimmung und Transparenz versprechen und nicht nur die Identifikation mit fertigen Parteiprogrammen, die ohnedies fast niemand mehr liest.

STANDARD: Was erregt das Interesse der Jugend an Politik, was stößt ab?

Ikrath: Was ihre Aufmerksamkeit erregt, ist vor allem das Spektakel, das politische Drama. Dass politische Entscheidungen zunehmend als "alternativlos" dargestellt werden, stößt bei ihnen auf Ablehnung. Sie wünschen sich mehr offene und kontroverse Diskussionen über unterschiedliche politische Standpunkte und eine klare Positionierung der Parteien.

STANDARD: Ein Sommerthema war der Korruptionsskandal in Kärnten. Wie wirkt so etwas auf die Jugend?

Ikrath: Wie wir aus diversen Studien, auch aus der Zeit vor den jüngsten Korruptionsfällen, wissen, assoziieren Jugendliche Po litik ohnedies regelmäßig mit Korruption. In dieser Sichtweise werden sie durch die aktuellen Fälle bestätigt.

STANDARD: Welche Politikertypen will die Jugend? "HC Strache" als Facebook-Freund? Oder "Macher" wie Frank Stronach?

Ikrath: Was die Leute von Politikern erwarten, sind Durchsetzungsfähigkeit und Charisma. Auch der Ruf nach moralisch agierenden Politikern wird wieder laut. Ideologische Standfestigkeit ist im Gegensatz dazu eher unwichtig. Dass Strache durch die Diskotheken tingelt und auf Facebook aktiv ist, kommt bei seiner Zielgruppe gut an, die an deren verstehen das eher als eine Anbiederung. Die Inszenierung von Volksnähe fordern aber trotzdem alle in der einen oder anderen Art und Weise ein.

STANDARD: Gibt es in dieser krisenhaften Zeit (Euro, Jugendarbeitslosigkeit etc.) auch vermehrt ein Bedürfnis nach "starken" Politikern?

Ikrath: Den sprichwörtlichen "starken Mann" als autoritäre Führerfigur lehnen junge Menschen ab, die Demokratie gilt ihnen ganz klar als die beste Staatsform. Was sie aber wollen, sind starke de mokratische Politiker, die sich gegen die Macht der Märkte auflehnen, eine "starke Demokratie, die aufstampft und Maßnahmen ergreift", um es in den Worten einer Jugendlichen aus der Jugend-Wertestudie 2011 auszudrücken.

STANDARD: Wie reagieren Jugendliche auf die aktuellen Krisen - Rückzug ins private, kleine Glück?

Ikrath: Die Jugendlichen entkoppeln die Entwicklung der Gesellschaft immer stärker von der jeweils persönlichen. Die Zukunft des Gemeinwesens sehen sie düster, die eigene rosig. Deswegen haben die meisten auch das Gefühl, von der Krise nicht persönlich betroffen zu sein, und wenn doch, wird diese Betroffenheit selten als existenziell erlebt.

STANDARD: Welche Rolle spielen für die junge Generation gesellschaftlicher Zusammenhalt oder zivilgesellschaftliches Engagement?

Ikrath: Die Jugendlichen nehmen sehr klar gesellschaftliche Ent solidarisierungstendenzen wahr und beklagen diese auch, da sie sich, etwa angesichts der Pensionsdebatte, als deren Hauptleidtragende sehen. Fast die Hälfte von ihnen hat das Gefühl, auf sich alleine gestellt zu sein und von niemandem Hilfe erwarten zu können. Deswegen ist die Bereitschaft zu langfristigem gesellschaftlichem Engagement gering ausgeprägt, zuerst möchte man das eigene Wohlergehen sicherstellen. Wenn man sich für andere einsetzt, dann passiert das eher punktuell in informellen, nicht organisationsgebundenen Zusammenhängen im eigenen Alltag. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 29.8.2012)