James Johnston und seine Band Gallon Drunk aus London spielen seit zwei Jahrzehnten Blues und Rock 'n' Roll unter besonderer Berücksichtigung von Amoklauf und Punk.

Foto: Cloudshill Ltd.

Es muss kurz vor Mitte der 1990er-Jahre gewesen sein. Damals hatte sich in Seattle gerade der Grungerock erschossen, und der aus den Sixties adaptierte Hardrock und Neandertaler-Heavy-Metal sollte es die nächste Zeit wieder einmal schwer haben. Er zog sich in grimmige Kellerclubs zurück und sortierte die T-Shirt- und Holzfällerhemdensammlung. Die Dose des Bieres machte zosch.

Die fortschrittlichere Weltjugend hingegen schweifte in sogenannten geilen Locations wie ehemaligen Großtischlereien, Sicherheitsauffanglagern für Erdgas oder aufgelassenen asiatischen Kampfsportcentern am Höhepunkt der Technowelle zu bösen und seither weitestgehend unveränderten Maschinenbeats aus. Das ging selbstverständlich auch ohne Drogen sehr gut. Aber auf das eine glückliche Nacht machende Ecstasy konnten sich trotzdem alle Anhänger der Freizeitchemie zwischen Black-Sabbath- und Blue-Cheer-Riffs und Tanzbefehl-Vierviertelbeats sehr gern einigen.

Die damalige Zeit war also einerseits deprimierend wie nur was. Diverse unveröffentlichte Nirvana-Outtakes, Kurt Cobains Tagebücher und das erste Foo-Fighters-Album waren noch nicht erschienen - und auch die britische Drogenfresserszene zwischen Beatles und Dancefloor, Acid und Rolling Stones in deren psychedelischer Phase in Gestalt der Happy Mondays oder der Stone Roses befand sich schon in der Reha-Klinik, in Therapie oder im Begriff, ereignisarme Solokarrieren zu starten. Übrigens: Die Soloplatten von Morrissey boten damals prächtigen Schutz! Andererseits hat jede Generation das Recht, auf lustigen Partys mit lustigen Drogen zu experimentieren und zu schauen, wie die Welt nach drei Tagen wach ausschaut.

Das ist jetzt nur als atmosphärische Einstimmung gedacht. Damit man sich vorstellen kann, dass es damals für James Johnston sehr schwierig gewesen sein muss, wie er im dunklen Düstermanntuch vom Kleiderbauerflohmarkt mit Brillantine in den Haaren auf die Bühne stürmte und zehn Jahre zu spät in spitzen Schuhen den Ersatz-Nick-Cave gab. Johnston stolperte über Mikrofonstative und Kabel. Er übte nebenbei Gitarrenweitwurf und zerstörte seine zur Firmung von den Eltern geschenkte Wimmerorgel, auf der er früher immer zu Weihnachten so schön Stille Nacht gespielt hatte, bis er in eine falsche Clique geriet und ... ach.

James Johnston musste später sogar zeitweise bei Nick Cave als Gitarrist aushelfen, wenn Blixa Bargeld Schwierigkeiten mit einem Akkordwechsel hatte oder andere Kollegen vergaßen, das Flugzeug Richtung Start der Welttournee zu nehmen oder so. Sein wahres Herzblut aber vergießt der Mann aus London seit dem Debüt "You, The Night ... And The Music" von 1992 trotzdem gemeinsam mit seinen Freunden Ian White und Terry Edwards in seiner Band Gallon Drunk.

Ähnlich wie Nick Cave oder auch der US-Besessene Jon Spencer und dessen Bands Pussy Galore, Boss Hog, Heavy Train oder Jon Spencer Blues Explosion versucht James Johnston dabei, die frühen Formen populärer Musik wie Blues, Rhythm 'n' Blues oder Rock 'n' Roll in ihrem wilden, ungezähmten Kern am Leben zu erhalten - und dabei im Geiste des Nihilismus keine Gefangenen zu machen. Das führte in der Vergangenheit zu beeindruckend ungestümen Meisterwerken der Unbelehrbarkeit und Aufsässigkeit wie "From The Heart Of The Town" oder "In The Long Still Night" oder "Fire Music". 2007, nach dem Album "The Rotten Mile" und dem Tod des Bassisten Simon Wring, war aber vorerst Schluss.

Johnston spielte und spielt mit US-No-Wave-Veteranin Lydia Lunch im Projekt Big Sexy Noise und wurde erstaunlicherweise auch Mitglied in einer der zwei Besetzungen der deutschen Krautrockpioniere Faust. Und man hört, dass Johnston wieder einmal für Nick Cave in dessen Begleitband The Bad Seeds tätig ist.

Bevor es so weit ist, veröffentlichen Gallon Drunk allerdings mit "The Road Gets Darker From Here" eine energiegeladene Form von Alterssturköpfigkeit, die zwar heute so unmodern wie je klingt. Mit über die Jahre Richtung Schrottplatz gequälten Instrumenten und jeder Menge Unvernunft im Herzen strahlen Songs wie "Hanging On, Killing Time" oder der Boogiepunkrock "The Big Breakdown" aber eine Energie aus, die für Menschen auf ihrem Weg zum baldigen Fünfziger bemerkenswert ist. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 7.9.2012)