Viel besprochener Haarschnitt: Cat Power auf ihrem neuen Album.

Foto: Matador

CAT POWER Sun (Matador)
Wenn man die Besprechungen von Cat Powers neuem Album "Sun" liest, entsteht der Eindruck, das Wichtigste daran wäre ihr neuer Haarschnitt. Aus der Tatsache, dass Charlyn Marie Marshall nun kurzes Haar trägt, werden esoterische Abhandlungen über ihren Seelenzustand verfasst. Dabei scheint sie lediglich halbwegs nüchtern zu sein. Und diese Klarheit zeitigt das erste poppige Album der US-Amerikanerin, die für viele das Retortenbaby von Tom Waits und Nico ist.

Als Cat Power produzierte sie bisher verwischten Barfliegen-Rock, der zwischen den Schultern von Jack Daniels und Jim Beam Halt suchte. Dabei lasen sich die Entstehungsumstände mancher Alben interessanter, als sich die Ergebnisse anhörten. Etwa bei "The Greatest" (2006), das sie mit Southern-Soul-Größen aufgenommen hat, was dem Album jedoch kaum anzuhören ist. "Sun" bedeutet nun eine stilistische Neuorientierung: Mit alten Synthesizern baut Marshall die Gerüste ihrer Songs, die leicht und luftig wirken. Dazu singt sie mit der ihr eigenen, gefrorenen Empathie ihre Lieder. Das ergibt einen anrührenden, etwas steifen Groove, der meist im Mid- bis Uptempo verweilt: Das ist nie ganz schlecht, gleichzeitig nie restlos überzeugend. Aber wer weiß, vielleicht ist ja gerade dieser Balanceakt die große Kunst.

CALEXICO Algiers (City Slang)
Über wenige Bands wurde auf diesen Seiten so viel berichtet wie über Calexico. Da kommt irgendwann der Punkt, an dem man meint, es sei alles gesagt. Und dann erscheint ein Album wie Algiers und entzieht sich dieser Vermutung. Nicht dass die Band sich neu erfinden würde. Sie spielt immer noch Grenzlandrock, der stilistisch von ihrer Heimat Arizona an der mexikanischen Grenze inspiriert wird. Algiers ist aber nach einem Stadtteil in New Orleans benannt. Das verpflichtet Calexico in der Zeitrechnung nach Hurrikan Katrina zur Melancholie, aber die war ihnen nie fremd. Gleichzeitig wirken sie vom Big Easy angenehm infiziert, klingen so locker wie lange nicht. Als Kollateralsegen fällt dabei ein Album ab, das natürlich Mexiko heimsucht, nach Kuba schielt und die gelassene bis ausgelassene Lebensfreude von New Orleans verströmt. Wie immer also, nur ganz anders. Live am 22. September im Wiener Konzerthaus.

GET WELL SOON The Scarlet Beast O' Seven Heads (City Slang)
Konstantin Gropper macht es sich und seinen Hörern nie leicht. Mindestens ein Konzeptalbum musste noch jedes seiner drei Longplayer sein. Doch die Ergebnisse seiner theoretischen Überlegungen kommen der Musik selten tatsächlich in die Quere. Das ist gut so. Deshalb lösen wir uns wie er von schwerer Denke, die wir optimistisch voraussetzen und kommen ob der verstrahlten Gefühlsdichte ins Schwelgen. Wie ein Kind aus einer falschen Zeit wirkte der Deutsche immer schon, doch auf "The Scarlet Beast ..." ergeht er sich nicht nur in dramatischer Opulenz und der Verzweiflung suchender Herzen, er macht mitunter einfach großes Gefühlskino. Weshalb manche Songs hier wie cineastische Etüden noch zu verwirklichender Filme klingen. Ein wenig fehlt diesen der Zusammenhang, weshalb das Album den großen Bogen nicht schafft - was den Vorläufern durchaus gelungen ist. Trotzdem überzeugt er mit einzelnen Songs. Anfang November live in Graz, Wien und Linz.

ANIMAL COLLECTIVE Centipede Hz (Domino)
Auch das mittlerweile neunte Album des Animal Collective lässt die Frage unbeantwortet, welch dramatische Diagnose eigentlich gestellt werden muss, um diese Musik verschrieben zu bekommen. Nun handelt es sich bei dem US-Kollektiv um eine sogenannte experimentelle Band, und die dürfen einiges. Der tierischen Vereinigung gelingt bisher aber nur eines: Sie nervt. Wahrscheinlich wäre David Guetta heute ein Hipster-Gott, würden ihm nicht popelige Melodien für seine Golf-GTI-Mucke einfallen. Dem Animal Collective gelingt das nicht. Ihre Stücke sind nicht mehr als sich überlagernde Schübe aus der Datenbank, angeschoben von einer talent- und gefühllosen Rhythmusabteilung. Das klingt, als würde die Hyperaktiven-Gruppe einer antiautoritär geführten Baumschule mit Musikinstrumenten eine Sandburg bauen. Nichts gegen Randgruppen und ihre Nöte, aber warum man sich als sozial halbwegs kompatibler Mensch derlei Musik anhören soll, wurde noch nicht erklärt. Wahrscheinlich aus derselben Höflichkeit, wegen der man Kakofonie nicht mit "ck" schreibt. (flu, Rondo, DER STANDARD, 7.9.2012)