Brandon Flowers (Zweiter von links) und The Killers aus Las Vegas lassen auf ihrem neuen Album den Pappmond über den amerikanischen Highways aufgehen.

Foto: Williams & Hirakawa / Universal

Wenn man gewisse Schamgrenzen zu überwinden bereit ist, kann es mitunter richtig gut werden. Keine halben Sachen. Wenn schon schmalzig, dann richtig triefend. Wenn schon Pathos, dann so, dass man sich zum haltlosen Kitsch bekennende Vollgaskünstler wie Bruce Springsteen und Bono oder Chris Martin von Coldplay locker rechts auf dem Pannenstreifen im dritten Gang überholt.

Brandon Flowers und The Killers kommen aus Las Vegas und haben das Zuviel des Guten mit der Muttermilch aufgesogen. Ihre Kunst ist die Kunst der Übertreibung, des nicht Maßhaltenkönnens. In der kargen Wüstenlandschaft Nevadas leuchten nachts nicht nur die Sterne heller als anderswo. Hier brüllen auch die Neonlichter bis weit hinaus ins Weltall. Am Tag mag alles arm und billig, abgerockt und verlogen aussehen. Die Nacht aber gehört dem Showbusiness und seinen Taschenspieltricks. Mache es groß!

Seit gut zehn Jahren sind The Killers nun aktiv. Gegründet auf eine Annonce des Gitarristen Dave Brent Keuning hin ließ man sich zwar eigenen Angaben zufolge mehr oder weniger hörbar vom Britpop der 1990er-Jahre und Bands wie Oasis beeinflussen. Eine Tatsache, die der Band seitdem ungebrochenen Zuspruch in Großbritannien beschert. Allerdings wurde auf Alben wie dem Debüt Hot Fuss oder später Sam's Town das hemdsärmelige Rowdytum und die Beatles-Verehrung von Oasis immer schon von Bono und U2 und einem Drang zum weitausholenden, einfache Harmonik mit überzogenen Gesten aufblähenden Stadionrock überlagert.

Dies macht die Killers unter Beifügung von anspruchsvollerem Material im Stile Queens, New Orders oder Muse' oder zünftigeren US-Ergänzungen wie Tom Petty & The Heartbreakers, Bruce Springsteen oder den ewigen amerikanischen Autofahrer-unterwegs-Königen Cars und überhaupt glattem West-Coast-Rock aus den 1980er-Jahren von Fönfrisur-Trägern wie Rick Springfield oder Don Hensley zu einer über die Jahre beständigen Größe in den internationalen Formatradios.

Nach dem mediokren dritten Album Day & Age legte die Band mit diversen nicht weiter wichtigen Soloprojekten eine Pause ein. Jetzt holt Brandon Flowers mit dem vorab veröffentlichten Jahrhundertsong Runaways und der neuen Songsammlung Battle Born zum bis dato größten Angriff auf den grundsätzlich zwischen Erwartbarkeit und Eingängigkeit und Wiedererkennbarkeit und Bekömmlichkeit angesiedelten Geschmack eines möglichen Weltmarkts aus.

Der bekennende Mormone besingt mit schneidender Stimme nicht nur den Niedergang der amerikanischen Kleinfamilie in der amerikanischen Nacht. Diese ist streng nach Baukastenprinzip mit sämtlichen Klischees zwischen Flucht ins Ungewisse, endlosen Autofahrten, den Verheißungen der Liebe und auch sonst allem derart vollgestellt, dass zwischen dystopischen Hinterhofidyllen, Vorstadttristesse, beständiger Erhöhung der Benzinpreise und dem ewigen Scheitern und überhaupt dem Verlust der Träume gerade noch für zwölf Lieder Platz ist, die speziell Bruce Springsteen unter besonderer Berücksichtigung der größten US-Hits der 1980er-Jahre im Original wie eine farblose Kopie wirken lassen.

Speziell Runaways erweist sich in dieser Maßlosigkeit, in all diesem Bombast zwischen Keyboardgrößenwahn und breitbeinigen Gitarrenakkorden, wuchtigen Drums und dezent Richtung Disco schielender Bass-Mucke als definitiver Bubble Tea unter den heurigen Hitparadensongs. Mehr zuckerlastige Inhaltsstoffe mit Bitteranteilen und dem Mut der Verzweiflung, dieses Zeug auch hinunterzuwürgen, lassen sich nicht in vier Minuten packen.

Mit einer Handvoll einschlägig vorbelasteter Produzenten, darunter Hallraumexperte Daniel Lanois, Madonna-Hilfskraft Stuart Price, der ehrliche Rocker Brendan O'Brien oder Britpop-Breitwandexperte Steve Lillywhite, ist so eine Arbeit entstanden, die den Hörer ebenso mit akustischem Klebstoff zubetoniert wie mit hohlem Pathos und Klischees niedermäht. Am Stück genossen, ist danach erst einmal Stille angesagt. Mehr geht nicht. Mehr kann man nicht ertragen.

Indem The Killers mit ihrem Versuch, das Wahrhaftige durch die Pose und das Pathos aus ihrem Versteck zu locken, jedwede Coolness beherzt fahren lassen, gelingt so das Unerwartete. Wir hören das Mainstream-Album des Jahres. Und das, ohne uns zu schämen. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 21.9.2012)