Die Arbeitspendler biegen hier, an der Agendorfer Hauptstraße, rechts ab. Radtouristen können auch links weiterfahren.

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Ágfalva/Schattendorf - Europa ist zwei Kilometer lang, vier Meter breit und viel zu teuer. In den Staatskanzleien mag man sich übers Große und Ganze den Kopf zerbrechen, über Nizza, Lissabon, Maastricht, Schengen. Hier, zwischen dem ungarischen Agendorf (Ágfalva) und dem österreichischen Somfalva (Schattendorf), ist Europa zuerst einmal eine Straße: zwei Kilometer lang, vier Meter breit und ein Problem.

Im Vorjahr ist der alte Güterweg, der die beiden Dörfer verbindet, asphaltiert und für den Autoverkehr freigegeben worden. Die beiden Bürgermeister, István Gáal und Alfred Grafl, hatten sich den Mund fusselig geredet, um die da wie dort vorhandenen Widerstände wegzuargumentieren. Im Vorjahr endlich haben Ágfalva und Schattendorf aneinander angedockt. Und seither sind die zwei beschaulichen Dörfer automobile Durchhäuser geworden, weshalb Agendorfs Bürgermeister nun die Notbremse ziehen wollte.

"Ernst gemeint"

Die Dorfverbindung sollte ab September bemautet werden. 100 Forint (rund 35 Cent) Benützungsgebühr stellte man sich vor, Bewohner der umliegenden Dörfer ausgenommen. "Wir haben das ernst gemeint", sagt András Böhm, als Chef der deutschen Selbstverwaltung auch so was wie der Agendorfer Außenminister. Vorderhand muss der Plan freilich auf Eis gelegt werden. Die Straße - in Ungarn genießt sie den Status einer "Dorfstraße", in Österreich den eines "Güterweges" - ist Teil eines EU-geförderten Projekts. Das ist etwa 700.000 Euro schwer und immer noch nicht abgerechnet, weshalb die Errichtung eines Schrankens und die Einhebung einer Maut nicht zulässig sind.

Das "Transboarder-Programm" dient dem Vernarben der großen europäischen Wunde. An diesem Projekt hier sind nicht nur Ágfalva und Schattendorf beteiligt, sondern auch die Nachbarn; das evangelische Loipersbach, seit jeher Filialpfarre Agendorfs, und die kroatischen Dörfer Baumgarten/ Pajngrt und Draßburg/Rasporak. Alle zusammen waren einst Vororte von Sopron/Ödenburg. Und weil sie das im Grunde immer noch sind, hat sich dieses kurze, schmale, asphaltierte Stückerl Europa zum Problem gemausert. Denn was als Verbindung zweier Dörfer gedacht war, wurde im Handumdrehen vom städtischen Berufsverkehr okkupiert. Statt der erwarteten 400 fahren nun täglich um die 1600 Autos, massiert an den Tagesrändern.

Die Straße zu erhalten - sie liegt zur Gänze auf Agendorfer Gemeindegebiet - überfordert das Budget der Gemeinde. Die jährlich rund 800.000 Euro sind verplant, eine "freie Finanzspritze" gibt es nicht, die Vorfinanzierung des Projekts drückt auf die Kassa, da hilft es auch kaum, dass Bürgermeister Gáal in der Direktion einer regionalen Sparkasse sitzt und so Agendorf wenigstes vorm Fremdwährungsschicksal bewahrt hat.

Die angedachte Benützungsgebühr hätte zweckgebunden in die Straßenerhaltung gesteckt werden sollen. Der beabsichtigte Nebeneffekt: die Rückführung des Pendlerverkehrs auf den alten Grenzübergang Klingenbach.

Denkt man sich die Grenze weg - und das zu tun ist ja der Sinn des Transboarder-Programms -, dann stehen Agendorf und Somfalva vor einer stinknormalen Herausforderung. Niemand hier will die Grenze schließen. Man will nur von den Soproner Pendlern umfahren werden. Aber das wäre dann schon wieder eine Aufgabe für eine höhere Verwaltungsebene.

Einbruchsserie in den vergangenen Wochen

Wie übrigens auch jene Angelegenheit, die Schattendorf in den vergangenen Wochen gepeinigt hat und weiterhin peinigt: die "Ostbanden", wie die Krone am Wochenende doppelseitig berichtete. Tatsächlich erlebt die kleine Grenzgemeinde eine beispiellose Einbruchserie, knapp 40-mal in den vergangenen drei Wochen schlugen die unbekannten Täter zu. So mancher hier spricht schon, auch befeuert vom Boulevard, von "Bürgerwehr" .

Diesbezüglich ist der sozialdemokratische Bürgermeister Hans Lotter, der am 7. Oktober sich erstmals der Wahl zu stellen hat, allerdings unbeugsam: "Mit mir gibt es so was sicher nicht." Stattdessen versucht er, das Wiener Innenministerium in die Pflicht zu nehmen. 53 Beamte seien ja einst am Posten Schattendorf "systematisiert" gewesen. Kurioserweise wurde diese Zahl mit dem Ende des Assistenzeinsatzes im Vorjahr auf 15 reduziert, von denen seien aber "sechs bis sieben jetzt im Neusiedler Bezirk".

Wie brisant die Sache ist, zeigen die Gerüchte, die aus Agendorf herübergeschwappt sind. Vierhundert ostungarische Roma seien in der Gegend angesiedelt worden. "Unsinn", sagt András Böhm. Aber gerade so einer macht für gewöhnlich am schnellsten und glaubhaftesten die Runde.

Der Straßenzustandsbericht für Agendorf hört sich beim trácsolni in Ödenburg denn auch so an: Die Straße sei deshalb so schmal, weil ein Teil des Asphalts zur Herstellung privater Hofeinfahrten verwendet worden sei. Der Hinweis, dass die Breite eine Fördervorgabe Brüssels sei, das ja nur lokale Verbindungen unterstützt, stört da beim Tratschen nur. (Wolfgang Weisgram/DER STANDARD Printausgabe, 25.9.2012)