Matt Bellamy (links) und Muse füllen mit ihren verzweifelten wie hysterisch-verzweifelt vorgetragenen Endzeitliedern seit nunmehr 18 Jahren die Mehrzweckhallen und Sportstadien dieser Welt.

Foto: Warner

Wien - Muse sind aus einem guten Grund zu einem der weltweit größten zeitgenössischen Stadion-Acts mit bis dato 15 Millionen verkauften Alben aufgerückt. Wie bei jeder Band, die nicht gern aus dem Eigenen schöpft, sondern lieber den Gewinn bei großen Alten abzieht, trifft auf sie ein altes balinesisches Sprichwort zu: "We have no art, we do everything well."

Der Musenkuss war früher, es zählt das goldene Handwerk. Wenn Muse rocken gehen, dann nicht, um auszuschweifen - und sie gehen auch nicht in ein Hochamt, das die eigene Großartigkeit feiert. Muse fahren ins Büro. Das Konzert dauert von acht bis zehn Uhr abends. Für die anschließenden Zugaben gibt es nicht mehr Kohle, sondern Zeitausgleich. Die Zeiten sind hart. Und die Zeit geht aus.

Sänger und Gitarrist Matt Bellamy als treibende Kraft des britischen Trios beschränkt sich dabei allerdings nicht darauf, den Pomp und die Glorie von Vorbildern wie Freddie Mercury und Queen oder Bono und U2 hübsch in aufwändig gebasteltem Geschenkpapier zu verpacken und unter die Leute zu bringen. Wobei die Chorharmonien und das sehnsuchtsvoll Richtung obere Stadionränge gerichtete Mondangeheule schon sehr auf der sicheren Seite arrangiert werden.

Bellamy ergänzt die altbekannten Ergriffenheits- und Intensitätsmuster um ein entscheidendes eigenes Element. Bei Bellamy geht es zünftig postmodern immer schon um eine hysterische Verdichtung jener Gewissheit, die da besagt: Eigentlich gehöre ich gar nicht hierher, und wahrscheinlich werde ich unter dieser Last zusammenbrechen, aber machen wir das Beste daraus. Die Welt geht unter - komm, wir gehen mit.

Das neue, mittlerweile 18 Jahre nach Bandgründung sechste Studioalbum "The 2nd Law" bildet keine Ausnahme. Spätestens nach der Hälfte der ohnehin nicht mit Freude am Dasein, dafür aber mit Powerakkorden und handzahmer wie bedeutungsschwerer Elektronik vollgeräumten Songs stirbt die Hoffnung den Schwanentod.

Zuvor waren Muse noch tapfer. Bellamy heulte, aber er blieb gefasst. In Songs wie dem als Siegeszug unzureichend getarnten Trauermarsch "Supremacy" ("Greatness dies, unsung and lost") oder in einem Zwölftakt-Blues wie "Madness" oder im an Queens "Another One Bites The Dust" angelehnten Discorock "Panic Station" geht es unter anderem darum, dass Matt Liebe braucht. Ja, klar. Die Zeit heilt zwar keine Wunden und der Held hat irgendwie schon vor dem Start verloren. Trotzdem wird Bellamy am Ende gewinnen. Das jault auch seine Gitarre. Seinen Schatz rettet er gleich mit dazu. Wir halten jetzt übrigens erst bei Song Nummer sechs.

Ab in die Resignationsecke

Während das siebente Lied, "Animals", im dringlichen Balladenduktus eines Thom Yorke davon erzählt, dass in der Wall Street das Böse umgeht, machen wir kurz Pause in der Resignationsecke. Wir quälen uns durch ein paar trotzige Notoptimismus-Sit-ups oder stechen uns in den Zeigefinger, um uns noch einmal ganz doll zu spüren. Ab "Explorers" ist nämlich endgültig Schluss mit lustig. Am Ende der Straße, auf der wir uns nun schleppen, werden wir von der Erdscheibe fallen: "Once I hoped / To seek the new and unknown / This planet's overrun / There's nothing left for you and me." Und: "All natural and technological processes proceed in such a way that the availability of the remaining energy decreases."

Das Album kulminiert in der mit martialischen Chören und Orchesterstakkato aufgeladenen titelgebenden Suite "The 2nd Law". Dazu verwenden Muse auch noch von Dubstep-Teeniegott Skrillex bekannte Erdplattenverschiebungs-Beats. Die Welt geht unter, weil niemand auf sie Rücksicht nimmt: "An economy based on endless growth is unsustainable."

Ein wenig Trost wäre jetzt schön. Doch den Maschinen geht der Saft aus. Im Stadion wird es dunkel. Noch lange heult es von der Bühne her, dass wir nicht nachhaltig genug gelebt haben. Meine Güte, mit was singt Familienvater Bellamy zu Hause eigentlich seine kleinen Kinder in den Schlaf? Harter Stoff. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 28.9.2012)