Peter Fox, die entscheidende Stimme des Berliner Dancehall-Kollektivs Seeed, fragt in der Gemeinde seine fröhlich-freundlichen Texte ab.

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2001 sorgte unter anderem auch das elfköpfige Kreuzberger Kollektiv Seeed mit der noch heute die Clubs rockenden, angenehm zwischen Reggae-Dancehall und Bierzeltschunkeln angesiedelten Berlin-Hymne "Dickes B" dafür, dass in der Nachbarschaft der Musiker bald lustige junge Leute aus der ganzen Welt, der schwäbischen Alp sowie der dänischen Südsee einzogen.

Die Mietpreise fuhren in die Höhe, der Gehsteig wurde nachts nicht mehr in die Höhe geklappt - und heute gibt es bis weit Richtung polnische Grenze bald in der ganzen Stadt tolle Lokale wie Bugaboo-Drive-ins für Latte oder Sushi-Kebap oder Speed-Branntweineser namens "Der Onkel Renate" oder "Zum Raver-Charly". In denen müssen die Kellner neben Englisch auch des Finnischen, Russischen und Heineken mächtig sein, damit die am Vormittag bei zugezogenen Vorhängen unter dem Tisch liegenden Touristen reibungsloser bedient werden können

Ja, Berlin ist eine megageile City. Der Sound der Stadt wummert zwar immer noch voll auf die Vierduracell-häschen- und vogeltanzmäßig aus dem Berghain in die Weltpresse. Als in den breiten Markt wirkender Berlin-Vibe hat sich neben Paul Kalkbrenners Gefälligkeitstechno und der altersresistenten Fröhlichkeit der Ärzte während des letzten Jahrzehnts zumindest im gesellschaftlichen Mainstream, also bei uns allen, der lässig-faule Abhänger- und Absacker-Sound von Seeed durchgesetzt.

Nach dem sagenhaften Erfolg von Peter Foxs Soloarbeit "Stadtaffe" von 2008 und Chart-Hits wie "Alles Neu" oder "Haus Am See" und der "Dickes B" nachgereichten, pessimistischeren Stadthymne Schwarz "Zu Blau (Dreckiges B)" haben sich Seeed nun nach sieben Jahren Albumpause wieder zusammengerauft und eine neue Songsammlung produziert.

Die zwölf Lieder auf dem namenlosen Album legen dabei, wie für die elfköpfige Band üblich, keinerlei Wert auf gesellschaftspolitische Relevanz. Sie basieren auf gemütlich rollenden, basslastigen Dancehall- und Reggae-Tunes, die mit ausladenden Bläsersätzen und allerlei weltmusikalischen Schnipseln von der ewigen Party im Club oder draußen im Grünen künden.

"Grüner Rauch" weht über das mit holprigen Reimen befriedete Volk: "Der Papst und Lady Gaga schmusen/ Araber küssen Juden/ Wir sind Baklava für die Jugend/ Mit 3 'e' im Duden."

Neben den bereits aus dem Vorjahr bekannten, anlässlich von Auftritten bei diversen Sommerfestivals 2011 veröffentlichten Songs wie dem mit verzerrter Metal-Gitarre hyperventilierenden "Molotov" (Seeed goes Metallica) und der jamaikanischen Bearbeitung des aus 1987 stammenden, taschentuchtränkenden Herzerweiterungsballadenklassikers "Wonderful Life" des britischen Eineinhalb-Hit-Wunders Black geht es bei Seeed 2012 im Wesentlichen um eines. Die stilistischen Koordinaten haben sich auf dem Markt bestens bewährt (Seeed ist übrigens die einzige Band, die jemals auf Trinidad und Tobago mit "Waterpumpee" Nummer-Eins-Hits hatte). Deshalb ist es nicht notwendig, nach Neuem Ausschau zu halten.

Jedes Fitzelchen an eventueller Innovation müsste ohnehin nur mühsam im elfköpfigen, gleichberechtigten Plenum diskutiert werden. Lieber lässt man die Mühlen jamaikanisch beeinflusster Musik langsam mahlen. Lieber beschränkt man sich auf eingängige wie den Hörer gleich mitreißende Partykracher wie das gerade zitierte "Seeeds Haus" oder den in diesem Zusammenhang besten Track des Albums, "Augenbling". Mit dem Sample einer türkischen Saz und englisch-deutschem Gesang der Sängergruppe Pierre Baigorry, Demba Nabé und Frank A. Delle wird die wesentliche Aussage dieses Lieds über die Frage, warum es uns allen so schlechtgeht, wenn es uns allen doch so gutgehen könnte, endlos ins Mikrophon gepresst: "Deine Augen machen Blingbling und alles ist vergessen!"

Das macht Spaß und schüttelt verkrampfte Muskelpartien locker. Die zentrale Aussage der wunderbaren Partyband Seeed lautet: Leute, macht euch frei, Deutschland wird locker.

Live wird dieses Vergnügen ohne Reue zwar etwas durch den sonst nur von Casting-Shows bekannten Synchrontanz der Akteure getrübt. Aber Seeed verstehen sich nun einmal als Band des Volkes. Von Pieere Baigorry ist übrigens laut eigener Aussage kein weiteres Soloalbum zu erwarten. Der Erfolgsdruck, dem er dadurch in den vergangenen Jahren ausgesetzt war, wurde ihm zuviel. Lieber brummt er freundlich im Bandgefüge, dass sein Baby ihm doch bitte seine kostbare Zeit verschwenden soll. Guter Mann. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 5.10.2012)