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Friedenspreisträger Liao Yiwu, hier am Freitag bei seiner Pressekonferenz auf der Buchmesse in Frankfurt am Main, kritisiert die getroffene Wahl.

Foto: ap / Alex Domanski

Frankfurt - Die Kür des chinesischen Erzählers Mo Yan zum Literaturnobelpreisträger 2012 stößt keineswegs auf einhellige Zustimmung. Mos Kollege Liao Yiwu, der am Sonntag in Frankfurt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird, ließ anlässlich einer Pressekonferenz keinen Zweifel an seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Osloer Entscheidung.

Liao Yiwu saß in China wegen "Verbreitung konterrevolutionärer Propaganda" vier Jahre im Gefängnis. 2011 setzte er sich über Vietnam nach Deutschland ab. Über Mo Yans Auszeichnung staune er. Es herrsche offenbar ein sehr "diffuses Wertesystem in der heutigen Welt", so Liao Yiwu, dass nun ausgerechnet Mo Yan die Trademark Literaturnobelpreis verpasst bekomme.

"Zuerst die Wahrheit"

Mo Yan sei ein "Staatsautor", der ein diktatorisches Regime vertrete. So hoch die literarische Ebene auch sein möge, auf der er sich bewege, Yans Literatur habe mit Seele oder Erinnerung nichts zu tun. Zuerst, so Lao Yiwu, komme die Wahrheit, erst dann komme die Literatur.

Liao Yiwu - er überstand in den Jahren der Haft zwei Selbstmordversuche - steht mit seiner Meinung nicht allein da. Bereits vor ihm übte der chinesische Künstler und Dissident Ai Weiwei heftige Kritik an der Nobelpreisvergabe. Mo sei vielleicht ein guter Schriftsteller, doch kein Intellektueller, der die heutige chinesische Zeit vertreten könne, richtete Ai in der Zeitung Die Welt aus. Moderne Intellektuelle hätten eine tiefgehende Beziehung zur aktuellen Realität ihres Landes. "Einen Nobelpreis an jemanden zu geben, der von der Realität abgehoben lebt, ist eine rückständige und unsensible Verfahrensweise", so Ai Weiwei.

Noch deutlicher wurde der Künstler in der portugiesischen Zeitung Publico: Die Preisvergabe an Mo sei "unerträglich", die Stockholmer Entscheidung "sehr bedauerlich" und "gelinde gesagt gefühllos". Immerhin richtete er dem Preisträger seine "Gratulation" aus.

Der Kritisierte selbst, seines Zeichens unter anderem stellvertretender Vorsitzer des chinesischen Schriftstellerverbandes, wies den Vorwurf einer allzu großen Staatsnähe seiner Person zurück. Der Nobelpreis sei eine literarische Auszeichnung und "nicht ein politischer Preis", äußerte Mo Yan in seiner Heimatstadt Gaomi. Mo sprach sich allerdings dafür aus, seinen inhaftierten Kollegen Liu Xiaobo   bald aus der Haft zu entlassen. Liu war 2010 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden und verbüßt derzeit eine elfjährige Haftstrafe.

Mo Yan ist sich seines Dilemmas offenbar seit längerem bewusst gewesen. In einem Vorwort zu seinem Roman Frösche, der 2013 auch auf Deutsch erscheint, schreibt er: "Wenn ein Schriftsteller kein heißes Eisen anfasst, gilt er als Opportunist, geschützt von der Regierung. Wenn er es tut, wird er kritisiert, dass er sich beim Westen anbiedert." (steg, poh, DER STANDARD, 13./14.10.2012)