Die junge Künstlerin Chelsea Wolfe aus Kalifornien mag Orte, an denen die Sonne selten scheint.

Foto: Kristin Cofer

Kalter Nebel hängt tief in Wald und Flur. Er nimmt die Luft zum Atmen. Klamme Gefühle und Beklemmung sind Schwestern in schwarzer Tracht. Es ist dunkel. Aber nicht ganz. Wenn man die Hand kaum vor Augen sieht, belebt sich das Umfeld mit Geistern und Dämonen. Sie kehren das Innerste nach außen. Das Ende der Geschichte, die Zeitenwende, der Kampf der Finsternis gegen das Licht. Doch siehe, wie es geschrieben steht: Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis!

Voriges Jahr veröffentlichte Chelsea Wolfe mit den Songs des Albums Apokalypsis eine aus der Zeit gefallene Sichtung dieses Themenfelds. Mit knapp neben dem esoterisch angehauchten Schönklang von Gothic-Bands wie Dead Can Dance angesiedelter Sirenenstimme zog es die junge Künstlerin aus Nordkalifornien dann allerdings vor, nicht mit aller Entschiedenheit zum Licht zu streben und dort erlösende Momente zu erleben. Chelsea Wolfe vertraut in ihrer Kunst dann doch lieber auf den Schutz der Dunkelheit, ohne dabei allzu sehr dem Teufelsglauben zu verfallen.

Nicht umsonst wurde und wird diese Kunst, die auf schmucklosen Folkmustern, schwerem "Blues" im Stile PJ Harveys beruht und etwa im Song Demons Siouxsie And The Banshees mit Sonic Youth kurzschließt, nicht ausschließlich von Anhängern einer neuen, doch ein wenig trendigen Gothic- und Kerzenlicht-Zappenduster-Esoterikszene verehrt. Die todessehnsüchtige Grundgestimmtheit und bleierne Schwere mancher Lieder findet interessanterweise auch in der Black-Metal-Szene Anklang. Immerhin coverte Chelsea Wolfe mit ihren beschriebenen Mitteln in ihrer Frühzeit ja auch einmal einen Track der irren norwegischen Gründerväter Burzum, über deren aufsässige westliche Teenager nach wie vor pubertär begeisternde Mordgeschichten, Kirchenbrandstiftungen und rechtsradikalen Irrsinn man jetzt nicht weiter reden muss, weil sich diese ins Extrem gehende Idiotenpartie in weiten Teilen der Szene ohnehin selbst erledigt hat.

Auf ihrem neuen Album Unknown Rooms: A Collection of Acoustic Songs, das als Vorarbeit zu einer Anfang 2013 erscheinenden Sammlung schmerzensreicher Liebeslieder dienen soll, hat sich Chelsea Wolfe zwar mit Akustikgitarre und Streicherbegleitung nicht wirklich neu erfunden. Zu schwer wirkt die einmal getroffene Entscheidung, sein Haupt auf Moos zu betten und mit den wilden Tieren im Wald zu heulen. Immerhin hat der frische Wind der Instrumente jenseits von traurig gekratzten E-Gitarren und im Unterbewusstsein wühlendem Bass sowie den Lauf der Zeit beklopfender Basstrommel aber dafür gesorgt, dass sich die Nebel etwas lichteten und ein wenig Tageslicht ins Geäst vordringt. Mit heller, klarer, nicht immer von Verzagtheit und Schwermut gekennzeichneter Stimme erzählt Chelsea Wolfe ihre Geschichten ohne glückliches Ende. "I remember everything you said into my heart right before you died. It was a weekend, it was November ..."

Dazu tritt Chelsea Wolfe in einen gesanglichen Dialog mit sich selbst. Sie konterkariert ihr lebensmüdes Hauchen mit mildem, zart jubilierendem Schmerz in den singvogelhohen Begleitchören. Eine Marschtrommel weist den möglichen Weg zurück in die Zivilisation. Aber jetzt noch nicht. Erst noch ein wenig schön leiden im tiefen Wald. Schwester Mond trifft Bruder Baum. Ein schöneres Lied als das getragene Appalachia wird man aus dieser Ecke heuer kaum raunen hören. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 19.10.2012)