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Hungerstreikende Diktaturopfer in Tirana. Zwei Männer zündeten sich im Oktober selbst an, einer starb.

Foto: APA/EPA/Babani

Tirana - Einer der beiden ehemaligen politischen Gefangenen, die Mitte Oktober Benzin über sich gossen, ist bereits gestorben. Der andere überlebte verletzt, es geht ihm mittlerweile besser. Lirak Bejko und Gjergj Ndreca sind zwei von zwanzig Opfern der stalinistischen Diktatur in Albanien, die mittels Hungerstreik dar auf aufmerksam machen wollten, dass das Gesetz in Albanien nicht eingehalten wird. Ein Gesetz, das ihnen eigentlich Reparationszahlungen zusichert.

Doch während gerade das hundertjährige Bestehen des Staates gefeiert wird und die EU-Kommission Albanien den Kandidatenstatus in Aussicht stellt, wurden die ehemaligen politischen Häftlinge - 11.000 Fälle wurden von den Justizbehörden bisher bestätigt - von den politischen Parteien gedemütigt. Präsident Sali Berisha nannte die Protestierenden verächtlich "Trinker" und meinte, sie seien nur von Oppositionschef Edi Rama bezahlt. Dieser verweigerte allerdings ebenfalls die Unterstützung.

Albanien hatte von allen osteuropäischen kommunistischen Ländern das brutalste Regime. Diktator Enver Hoxha kehrte sogar Russland den Rücken, weil ihm die Kommunisten in Moskau nach dem Tod Stalins zu wenig orthodox erschienen. Das Geheimdienstnetz war in Albanien dicht, die Arbeitslager voll. Auch aus der Haft entlassene politische Gefangene hatten kein Recht mehr, ihren Job auszuüben, sie waren nicht mehr länger Teil der Gesellschaft.

Das Sterben war in den Lagern etwas Alltägliches. Wie diese aussahen, als Menschenrechtler 1991 Zugang zu dem bislang völlig isolierten Land erhielten, hat Christine von Kohl in ihrem Albanien-Buch beschrieben. Ausgemergelte Menschen, Einäugige oder Menschen, denen ein Auge heraushing, Taube, Verstümmelte mit offenen Wunden kamen den westlichen Beobachtern entgegen.

Ein Drittel als Spione

"Das damalige Innenministerium hatte den Plan, ein Drittel physisch, ein Drittel psychisch zu vernichten, und ein Drittel sollte zu Spionen werden. Das System war auf Vernichtung ausgerichtet", sagt der Schriftsteller Fatos Lubonja. Er selbst war während der Diktatur 17 Jahre in zahlreichen Lagern interniert, heute gilt er vielen als Gewissen Albaniens.

2007 wurde in Albanien ein Gesetz verabschiedet, wonach die ehemaligen politischen Gefangenen eine Kompensation erhalten sollten, für jeden Tag im Arbeitslager oder Gefängnis sollte der Staat 2000 Lek zahlen, 14 Euro. 2009 wurde erstmals ausgezahlt. 18 Jahre nach dem Ende der Diktatur. Insgesamt sollte die Regierung 400 Millionen Euro als Wiedergutmachung an die Ex-Häftlinge zahlen.

Doch während sich viele Politgünstlinge tagtäglich durch öffentliche Auftragsvergabe über die Parteien bereichern, haben die Opfer der Diktatur bisher nur einen lächerlichen Anteil ihres Geldes gesehen. Lubonja sollte 90.000 Euro bekommen - etwa 8000 Euro sind es bisher gewesen. Die nächste Tranche soll angeblich vor den Wahlen 2013 kommen. In Albanien, wie auf dem gesamten Balkan, werden politische Versprechen oft erst kurz vor den Wahlen erfüllt.

Von den ehemaligen politischen Häftlingen sind heute noch etwa 2000 Menschen am Leben. Manchmal begegnet man ihnen in Albanien, und die Leute in ihrer Umgebung weisen meist sehr vorsichtig auf sie hin. Vielen wurde durch die Schufterei und die Haftbedingungen die Gesundheit chronisch ruiniert. Wie haben Sie das überlebt, Herr Lubonja? "Haben wir das überlebt?", fragt er.

Lubonja meint aber, dass ein Lustrationsgesetz oder eine Wahrheitskommission in Albanien nur dann Sinn machen würden, wenn zuvor ein Rechtsstaat aufgebaut würde. "Sonst wird das auch heute dafür missbraucht, die politischen Feinde zu lustrieren", sagt er nüchtern. 1967 wurde in Albanien das Justizministerium abgeschafft. Den mangelhaften Rechtsstaat müssen die albanischen Bürger aber auch noch heute erleben. "Die ganze Frage der Entschädigungszahlungen ist mehr eine Frage der Gegenwart als eine der Vergangenheit. Es geht darum, wer heute welches Geld für welche Zwecke nutzt", sagt Lubonja.

Immerhin habe der Hungerstreik zu einer Sensibilisierung geführt. "Es hat die Leute dazu gezwungen, über ihre Vergan genheit in den Arbeitslagern zu sprechen." (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 6.11.2012)